Bis gestern war es noch die 50, seit heute steht fest: Eine Inzidenz von 35 pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen ist der neue Richtwert für die Lockerung der Corona-Maßnahmen. Und die wird es nicht vor dem 7. März geben. So haben es Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten am Mittwoch gemeinsam beschlossen.
Hamburgs Erster Bürgermeister, Peter Tschentscher, war mit von der Partie – bei der Ministerpräsidenten-Konferenz und am Abend bei "Markus Lanz". In der Talkshow musste er die Beschlüsse rechtfertigen und dabei vor allem der Kritik von Philosophin Dr. Svenja Flaßpöhler standhalten.
Das waren die Gäste bei "Markus Lanz" am 10. Februar 2021:
Seit Wochen erleben wir in Deutschland einen harten Lockdown, die Corona-Infektionszahlen sinken – und mit ihnen auch die Grenze, die als Richtwert für Öffnungen in der Pandemie gelten soll. Die sinkenden Zahlen sollen nun noch weiter sinken, bis es Öffnungen geben kann, mindestens auf eine Inzidenz von 35.
Was zunächst klingt wie ein Widerspruch hat laut Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher einen einfachen Grund: "Wir haben einen neuen Unsicherheits-Faktor: die Virus-Mutationen. Und weil wir diesen neuen Unsicherheitsfaktor haben, brauchen wir mehr Sicherheit." Das klingt erst einmal logisch. Verständnis gab es dafür in der ZDF-Talkrunde dennoch erst einmal nicht.
Philosophin Dr. Svenja Flaßpöhler hielt die Beschlüsse nicht allein psychologisch, sondern gesamtgesellschaftlich und möglicherweise auch rechtlich für ein Problem. Die Chefredakteurin des "Philosophie"-Magazins erklärte aufgeregt: "Ich würde davor warnen, sich geradezu fetischistisch auf diese Zahlen zu fokussieren. Eine Gesellschaft besteht aus mehr als nur aus Inzidenzwerten."
Peter Tschentscher dagegen warnte davor, Erwartungen zu wecken, die nicht eingehalten werden könnten. Gelassen gab der Politiker zu, dass in der Datenlage zu den Virus-Mutationen noch große Unsicherheit bestünde. Bildhaft erklärte Tschentscher: "Wir fahren im Nebel und dann muss man vom Gas gehen. Man muss eher auf die Bremse treten, um Sicherheit zu bekommen."
Diese Auffassung teilte auch Virologin Prof. Helga Rübsamen-Schaeff. Sie appellierte: „Lasst uns das Virus so niedrig halten wie möglich, dann kann es auch nicht so schnell variieren.“ Philosophin Dr. Svenja Flaßpöhler hält offenbar nichts von so viel Pragmatismus. Stattdessen forderte sie langfristige Konzepte, die gesellschaftsfähig sind.
Ihren Unmut artikulierend fügte sie hinzu: "Das hat mit Demokratie nichts mehr zu tun. Ich frage mich: Wohin läuft das Ganze?" Eine Antwort auf ihre Frage bekam sie nicht.
Flaßpöhler wehrte sich bei "Markus Lanz" dagegen, einen harten Lockdown als die einzige Strategie gegen das Corona-Virus anzuerkennen. Stattdessen müsse man den Bürgern Möglichkeit bieten, sich selbst zu schützen und gleichzeitig freiheitlich verhalten zu können.
An diesem Punkt jedoch äußerte Virologin Rübsamen-Schaeff ihre Bedenken: "Ich glaube nicht, dass jeder Einzelne so vernünftig ist, dass er immer optimal alles umsetzt, dass man jeden allein laufen lassen kann."
Die Grundschulen, so versicherte es Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher, sollten dennoch im Laufe der nächsten Wochen schrittweise wieder öffnen. In diesem Bereich seien neben der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und anderen Maßnahmen auch ein schneller Einsatz von Corona-Selbst-Tests geplant.
Was hat es nun genau mit dieser 35-Inzidenz auf sich?, wollte Markus Lanz auch gegen Ende seiner Talk-Sendung noch beharrlich wissen. Die Zahl garantierte noch keine weitreichenden Lockerungen der Corona-Maßnahmen, so viel wurde klar.
Peter Tschentscher, der offenbar politisch ebenso wie bei "Markus Lanz" zwischen den Stühlen saß, stellte fest: "Wir möchten diese Öffnungs-Perspektiven bieten, aber wir dürfen dabei nicht unvorsichtig werden. Das ist unser Dilemma."