Die Gesellschaft ist ausgelaugt von einem Jahr Pandemie, von Lockdown und Grundrechtseinschränkungen. Viele sehnen privat und beruflich Lockerungen herbei. Gleichzeitig warnen Virologen und Kanzlerin Angela Merkel vor einer dritten Welle und raten zur Geduld. Eben diese beiden Pole in der Diskussion um die Corona-Politik waren an diesem Abend auch bei "Markus Lanz" vertreten.
Politiker und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach vertrat die Position der begründet Vorsichtigen und sprach sich selbstbewusst für eine Verlängerung des Lockdowns aus. Autor Heribert Prantl platzte bei so viel Selbstbewusstsein in der Einschränkung von Grundrechten regelrecht der Kragen.
Diese "Markus Lanz"-Sendung war eine wirklich gute Sendung, denn sie beinhaltete vieles, was eine gute Talksendung ausmacht: Gegensätzliche Positionen, die ihre Rollen in der Debatte solide vertraten. Gäste, die sich zwischen diese beiden konträren Positionen stellten und den Blick dadurch erweiterten. Einen Moderator, der sich an den richtigen Stellen in die Debatte einbrachte. Und es gab ordentlich Streitpotential.
Wie schon Kanzlerin Angela Merkel warnte Mediziner Karl Lauterbach gleich zu Beginn der Sendung vor Lockerungen der Corona-Maßnahmen und hielt eine dritte Welle der Pandemie "für unabwendbar". Lauterbach erklärte: "Wenn wir zu früh lockern ist das rettende Ufer vielleicht noch zu weit weg." Damit meinte er die Impfung, die uns alle an Land bringen soll.
Wir müssen viel mehr differenzieren, stufenweise vorgehen, wir müssen uns fragen: Ist das Ziel die individuelle Gesundheit oder die Volksgesundheit? Der Jurist forderte auch einen Untersuchungsausschuss zur Klärung von Fehlern in der Corona-Politik des vergangenen Jahres sowie eine Rückkehr zum freiheitlichen Verfassungsstaat.
"Auch dem Corona-Management müssen Grenzen gesetzt werden", erklärte Prantl. Medizinethikerin Prof. Alena Buyx, von Autor Heribert Prantl als das "Scharnier" in der Diskussion bezeichnet, nahm eine vermittelnde Position in der Debatte ein.
So friedlich, so gut. Weniger harmonisch blieb der Diskurs, als es um das Thema Schnelltests ging. Diese seien aufgrund von Lobbyismus und aus politischen Gründen nicht schneller realisierbar gewesen, erklärte Lauterbach.
Autor Heribert Prantl blieb bei dieser Aussage, wie er sagte, der Atem stehen. Er kritisierte: "Weil etwas anderes politisch nicht durchsetzbar war greifen wir in einer Brutalität in die Grundrechte ein, die wirklich abenteuerlich ist." Dies wiederum befand SPD-Politiker Karl Lauterbach für ungerecht und hielt seinem Kontrahenten im Diskurs vor:
Jedoch habe das Parlament die von den Virologen und medizinischen Experten vorgeschlagenen strengeren Maßnahmen blockiert.
Mit rotem Kopf und sichtlich erregt reagierte Jurist Heribert Prantl: "Lieber Herr Lauterbach, ich hätte mir doch gewünscht, dass das Parlament den Mund aufmacht." Dieses habe jedoch vorschnell "den Löffel abgegeben an die Exekutive". Das Parlament könnte sich laut Prantl nicht auf diese Weise aus der Verantwortung stehlen.
Karl Lauterbach wehrte sich gegen die Anschuldigungen. Medizinethikerin Prof. Alena Buyx sprang ihm hier zur Seite: Grabenkämpfe, wie wir sie in der Sendung erleben würden, würden nicht die gesamte Debatte abbilden. Dass nicht um die Maßnahmen gerungen und die Rechte der Bürger möglichst geschützt worden seien, diese Behauptung lehnte Ethikerin Buyx ab – und überzeugte damit sogar Heribert Prantl.
Zugegeben, die Grabenkämpfe in dieser „Markus Lanz“-Sendung waren heftig – und doch waren sich die beiden Kontrahenten in einem Punkt einig: „Wenn man Kritiker als Idioten bezeichnet, besteht die Gefahr, dass sie auch zu solchen werden.“ Als Idiot ging am Mittwochabend keiner der Beteiligten Gäste aus der Talkshow. Im Gegenteil: Ein Streit bei "Markus Lanz" zeigte sich selten so produktiv.