Trash-TV spaltet die Deutschen. Während die einen Shows wie "Bachelorette", "Das Sommerhaus der Stars" oder das "Dschungelcamp" für hohl und wertlos halten, erfreuen sich andere Zuschauer eben gerade an dieser sanften Gehirnwäsche, die einen dank enormer Banalität von den Sorgen des Alltags ablenkt.
Normalerweise gehöre auch ich zu zweiter Fraktion und freue mich, wenn ich eine weitere Staffel lang der Bachelorette bei der Rosenvergabe zusehen darf, sich zum gefühlt 50. Mal entscheidet, wer Germany's Next Topmodel wird oder sich ein Sender mal wieder an einem neuen (meist im Ausland eingekauften) Format versucht.
So probiert nun auch RTL mit einer weiteren Dating-Reality-Show, neue Zuschauer auf die hauseigene Streamingseite TV Now zu locken. Ähnlich wie zuvor "Temptation Island" soll nun "Paradise Hotel" Trash-Liebhaber finden. Die erste Folge wurde am Dienstag auf RTL im Anschluss an "Das Sommerhaus der Stars" ausgestrahlt. Die restlichen Folgen erscheinen immer dienstags einzig auf dem Streamingdienst des Senders.
Klingt nach einem guten Konzept, das bereits bei "Temptation Island" aufging. Allerdings hoffe ich inständig für den Sender, dass es dieses Mal nicht klappt.
Das Prinzip der Show erinnert stark an "Love Island":
Also eigentlich entspricht es exakt "Love Island" mit dem einzigen Unterschied, dass es in einem Hotel anstatt auf einer "Liebesinsel" stattfindet.
Das Prinzip der Show ist aber offenbar Nebensache, was jedem Zuschauer nach nur einer Minute klar sein sollte. Denn allein in den ersten anderthalb Minuten der ersten Folge zählte ich sechs Zungenküsse, zwei Sexszenen und zwei Paar nackte Brüste.
Wer denkt, dass das Niveau danach nicht noch weiter sinken könnte, irrt.
Denn was folgt, geht weit über den üblichen Reality-Trash nach dem Motto "Sex Sells" oder Ekelparade à la "Dschungelcamp" hinaus. Ja, selbst "Love Island" ist fernab dieses neuen Niveau-Tiefpunktes.
Schon in den Vorstellungen der einzelnen Kandidaten fallen Sätze wie "Schamgefühl hab ich nicht" (das wäre auch ein Hindernis für die Teilnahme gewesen) oder:
Schnell wird klar: Anders als etwa bei den RTL-Kuppelshowformaten "Bachelor" und "Bachelorette" wird Sex vor der Kamera hier nicht nur toleriert, sondern von Beginn an erwartet und sogar von den Kandidaten geplant. Behilflich sind dabei die Nachtsicht-Kameras, die auch schon bei "Love Island" oder "Promi Big Brother" zur Grundausstattung gehören.
Allerdings kippt diese "versexte" Stimmung schnell, als sich Kandidatin Jaqueline mit Kandidat Aaron gemäß Spielregeln ein Bett teilen muss. Nachdem sie ihn wenige Stunden zuvor erst kennengelernt hat, macht sie ihm dort mehrfach klar, dass er sie nicht weiter anfassen soll – was dieser ganz offenbar nicht akzeptieren möchte.
Die Diskussion der beiden im Bett verlief dann so:
Diese Diskussion ging dann noch ein bisschen weiter, aber wir haben verstanden – im Gegensatz zu Aaron: Jaqueline hat offensichtlich keine Lust, von ihm berührt zu werden, ihn zu küssen oder sonstige körperliche Nähe ertragen zu müssen. Oder noch einmal kurz gefasst: Nein heißt nein.
Eine Sprecherin des "Frauen gegen Gewalt e.V." sagte gegenüber watson:
Doch trotz Jaquelines klarem "Nein" ließ der Kandidat nicht locker, rückte immer wieder an sie heran, berührte ihren Bauch und nahm mehrfach ihre Hand.
Der Sender zeigt diese Szenen ohne einordnenden Kommentar und lässt stattdessen die beiden Kandidaten in Einspielern sprechen.
Warum ausgerechnet diese Szenen unkommentiert ausgestrahlt wird, erklärte RTL so:
Von einer Einordnung der Geschehnisse kann allerdings kaum die Rede sein. Jaqueline kommentierte die Szene einerseits mit: "Aaron ist total verpeilt. Ich glaube jetzt nicht, dass er dabei irgendwie seine Gehirnzellen eingeschaltet hat. Die sind nämlich komplett auf Stand-By", aber betont andererseits genauso: "Das geht gar nicht! Oh Gott!"
Von Aaron sind hingegen nur wenig geistreiche Kommentare wie "Ich habe so Heißhunger. Ich würde reinbeißen!" oder "Ich bin jetzt echt bisschen am... überlegen" in das Geschehen geschnitten worden.
Der Kommentator der Show schaltet sich erst nach der Situation wieder ein und schafft den Übergang zu einer Szene, die die Erektion eines anderen Kandidaten zeigt, mit den Worten: "So unbefriedigend der Abend für Aaron endet, beginnt auch der Morgen für Salvatore." Von einer kritischen Einordnung des Fehlverhaltens des Kandidaten fehlt dabei jede Spur.
Im Anschluss dieser Szene sprechen dann beide Teilnehmer nochmal im Interview über die vergangene Nacht. Jaqueline merkt an, dass Aaron sie ständig gestreichelt und auf die Schulter geküsst habe. "Ich habe ihn immer weggeschoben vom Bett – also auf seine Seite."
Aaron zeigt hingegen Unverständnis für die Situation. Er habe keinen Zugang finden können, obwohl er Jaqueline zuvor bereits beim Flaschendrehen geküsst habe. Er schließt:
Er legt damit eine klassische Legitimierung und Verharmlosung sexueller Belästigung an den Tag: Die Art und Weise, wie sich ein Mensch kleide oder gebe, lade dazu ein, sich derartig übergriffig verhalten zu dürfen.
Die Sprecherin des Verbands "Frauen gegen Gewalt e.V." erklärt:
Dann schenkt RTL Aaron und seinen Mitstreitern auch danach nochmal die Sendezeit, sein falsches Verhalten weiter zu begründen. In der Diskussion mit den männlichen Kandidaten und Teilnehmerin Miriam schildert er nochmals den Abend und seine Verwirrtheit über den Korb:
Dass eine Frau in erster Linie keine Person, sondern nur ein Sexobjekt für ihn sei, bekräftigt er dann noch mit dem Satz:
Als Mario kritisiert, dass es doch erst der erste Tag sei, kommt Salvatore (der war übrigens schon bei "Temptation Island" dabei) dazu und erklärt: "Aber Bruder, das ist doch unsere Mentalität!" Südländer wie er und Aaron würden einfach "schneller zum Zug" kommen und seien viel offener und direkter. Die deutsche Spießigkeit sei hingegen ein Hindernis. "Denk mal an eine Italienerin, ey", bestätigt Aaron.
Auf den Vorwurf Salvatores, dass Jaqueline Aaron "geblendet" habe, erwidert Kandidatin Miriam:
"Oder es war eben so, dass sie für ihre Verhältnisse schon extrem aus sich herausgekommen ist und auf dich zugekommen ist, weißt du? Und dass das dann zu viel für sie war wieder."
Darauf reagieren die anwesenden Männer nur mit Gelächter.