Eine Woche nach der Bundestagswahl stellt sich weiterhin die Frage, wer der Partner von FDP und Grünen wird: Die SPD unter einem Kanzler Olaf Scholz oder die Union unter Armin Laschet? Innerhalb der Union scheinen sowohl wichtige inhaltliche als auch personelle Fragen nicht geklärt zu sein. Trotzdem will sie künftig mitregieren. Ist die Ampel also schon in trockenen Tüchern?
Darüber spricht Anne Will am Sonntagabend mit diesen Gästen:
Am Sonntag haben sowohl SPD und Grüne als auch FDP und SPD, sowie die Union und FDP miteinander gesprochen. Kann man mit der Union überhaupt noch eine stabile Regierung bilden, will Will wissen. "Diese Frage müssen sie Herrn Röttgen stellen", sagt FDP-Politiker Otto Fricke. Ihm gehe es doch um das "was", weniger um "mit wem". Wenn man die Programme von Union und SPD neben dem der FDP lege, seien die Gemeinsamkeiten mit der Union aber leichter, stellt er klar.
Es komme darauf an, was man mit der Union verhandeln könnte – darüber soll auch in der Parteibasis abgestimmt werden, sagt Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Viele Grüne seien jedoch nicht die größten Fans der CDU/CSU, betont Will. "Die Union ist eine demokratische Partei und sie will sprechen, das sollte man ihr nicht pauschal absprechen." Das wäre nicht der Stil der Grünen, so von Notz.
Die SPD scheint derweil offensichtlich mit Grünen und FDP zu liebäugeln. "Wir möchten eine Ampel unter der Führung von Olaf Scholz", stellt Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, erneut klar. "Entscheidend neben den Inhalten ist Verlässlichkeit", stichelt sie in Richtung CDU/CSU. Die Union hätte in der letzten Woche gezeigt, dass sie einiges zu klären hätte – und nicht regierungsfähig sei.
Viele sprechen der Union derzeit Regierungspotenzial ab. Jamaika hat sich noch nicht erledigt, sagt CDU-Politiker Norbert Röttgen dennoch. "Die CDU und CSU ist die einzige Volkspartei in Deutschland und das ist auch nach dem Wahlsonntag noch so", so Röttgen. "Wollen Sie, dass Armin Laschet Kanzler wird?", fragt Will. Röttgen zögert und geht der Frage aus dem Weg: "Wir wollen diese Gespräche führen." Auf Nachfrage gibt Röttgen dann zu, dass er nicht "ja" sagen könne, weil die Union nicht stärkste Partei geworden ist.
Röttgens Aussage sei ein "Irrwitz", greift Schwesig dazwischen. Die Union würde das Wahlergebnis anerkennen, sich aber trotzdem nicht in die Opposition begeben. "Einerseits sagen Sie, Sie wollen eine Regierung bilden, andererseits aber nicht, wer die Regierung anführen soll." Doch bei dieser Bundestagswahl sei es nach 16 Jahren Merkel vorrangig um die Entscheidung eines neuen Kanzlers gegangen. Röttgen widerspricht: "Ihre Sicht wird von den anderen beiden Parteien aber nicht geteilt, denn die wollen auch mit uns sprechen." Wenn Grüne und FDP der SPD zustimmen würden, wäre die Union doch bereits in der Opposition.
Von Notz unterbricht: Das Vertrauen gegenüber der Union sei zerbrechlich, von Röttgens Aussagen würde man keinerlei Klarheit bekommen. Christiane Hoffmann, Journalistin im Haupstadtbüro des "Spiegel", stimmt zu. "Die Machtfrage in der Union ist nicht geklärt und wie soll man in Koalitionsverhandlungen gehen, wenn unklar ist, wer die Partei letztendlich anführt?", analysiert sie. "Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gespräche für eine Ampel aufgenommen werden, ist sehr viel wahrscheinlicher."
Röttgen scheint in Erklärungsnot zu kommen und wiederholt, dass bereits im Wahlkampf grundlegende Thematiken zu kurz gekommen seien, weil es um Personalfragen ging. Er halte die Debatte "Wer wird Kanzler?" für falsch, sagt Röttgen. Ein gewagtes Statement, eine Woche nach einer Wahl, bei der es um die neue Regierung unter der Führung eines Kanzlers ging. "Wenn Sie sagen, dass die CDU eine Volkspartei ist, müssen Sie doch auch den Anspruch bei der Person haben, in Führung zu gehen", kontert FDP-Politiker Fricke. Er betont, dass Grüne und FDP zusammen mehr Stimmen erhalten haben als SPD und Union, das habe es in Deutschland noch nie gegeben.
"Wenn FDP und Grüne sich einig sind, dann können sie auch den Kanzler bestimmen", sagt Hoffmann. Beide hätten ein Thema und einen Ton für die Koalition gesetzt, meint sie weiter. Beide würden einen Aufbruch repräsentieren, selbst Olaf Scholz hätte kürzlich davon gesprochen, obwohl er im Wahlkampf Kontinuität und Stabilität verkörperte. Trotzdem sei man von Einigkeit noch weit entfernt.
Von Notz schließt dennoch selbst eine erneute Große Koalition derzeit nicht aus. "Die Union ist sehr verzweifelt, weiterzuregieren und das müssen wir auf den Zettel haben", sagt er. SPD und Union hätten immer wieder einen kurzen Weg zueinander gehabt. Er habe gestern gehört, dass Jens Spahn "ziemlich krudes Zeug" gesagt habe, ins Detail geht er nicht. Er warnt zwar vor der GroKo, spricht sich zugleich aber deutlich für eine Ampel aus – Jamaika erwähnt der Grünen-Abgeordnete kaum, stellt Will fest. "Wir machen die Tür zu Jamaika nicht zu, dafür müsste die Union geordnet auf dem Platz stehen", so von Notz. Derzeit sei das aber nicht der Fall.
Nein, Armin Laschet hätte am Wahlabend nicht zurücktreten müssen, sagt Röttgen. Am Sonntag habe das Ergebnis noch nicht festgestanden. Zudem wolle man mit Grünen und FDP Gespräche führen – das könne man nicht tun, wenn das gewählte Personal zurückgetreten wäre. Jens Spahn, Friedrich Merz und Röttgen hätten Laschet für die Wahlniederlage verantwortlich gemacht, sagen aber trotzdem, dass er Kanzler kann, zeichnet Will als Widerspruch auf.
Wie machtbesessen ist das? "Es ist eine schwierige Lage", resümiert Röttgen. Auch der Spitzenkandidat würde natürlich eine Rolle bei den Konsequenzen des historisch schlechten Wahlergebnisses spielen, alles andere wäre eine "Realitätsverweigerung" jeglicher Art. "Wenn man diese Verantwortung nicht trage, würde man nicht mehr Volkspartei sein und den Weg der SPD gehen", stichelt er dann. Schleswig schüttelt nur den Kopf: "Unfassbar."
Nach 16 Jahren Merkel sei die Union in einem Machtvakuum, hält Journalistin Hoffmann fest. "In der Union wissen alle, dass es mit Laschet nicht weitergehen wird, aber keiner sagt es", glaubt sie. Das sei auch daran zu erkennen, dass Röttgen, Spahn und Merz, die alle einst gerne Parteivorsitzender geworden wären, derzeit präsent in der Öffentlichkeit stehen und die Union vermarkten. "Wir sehen eine Partei, die im Moment führungslos ist", glaubt Hoffmann. Die Konsequenzen? Man werde noch in dieser Woche wissen, dass Jamaika-Gespräche wahrscheinlich nicht weiterverfolgt werden, vermutet sie.