Er schultert Kleidersack und Tasche. Die Sonnenbrille hat er in den Ausschnitt seines weißen T-Shirts gehängt. Man sieht die Tattoos an den Armen. Die Kamera beobachtet Maximilian Parger (Florian Silbereisen), wie er quasi inkognito auf sein Schiff kommt und in der Tür mit dem goldenen Schild "Captain" verschwindet. Er setzt sich noch seine Mütze vor dem Spiegel auf. "Los geht’s." Wenig später auf der Brücke dann tritt er vor die versammelten und verwirrten Kollegen: "Hallo zusammen, mein Name ist Maximilian Parger." Der neue Kapitän ist da.
Es hatte einen kleinen Aufruhr gegeben, als bekannt wurde, dass Silbereisen das ZDF-"Traumschiff" lenkt. Zum einen, weil das "Traumschiff" ein Stück TV-Geschichte ist, zum anderen, weil die vermeintliche Traumbesetzung Sascha Hehn, der sich innerhalb der Serie vom Steward zum Kapitän hochgearbeitet hat, auscheckte.
Und dann hat auch noch das "Traumschiff"-Urgestein Heide Keller alias Chefstewardess Beatrice nach ihrem Ausstieg über Silbereisen gelästert: Natürlich habe Silbereisen ein großes Publikum und sie wünsche ihm auch, dass das für immer so bleibe. "Aber ich halte die Entscheidung für eine totale Fehlbesetzung." Ihre Begründung: "Mit dem 'Traumschiff'-Kapitän verbindet man nicht einen fröhlichen Jungen, der mit guter Laune zu Musik auf der Bühne rumhüpft."
Nun, das tut Silbereisen zum Glück auch nicht. Als Kapitän darf er sich betont männlich markant zeigen: Er fährt waghalsig durch eine alte Fahrrinne ("Ich bin in diesem Jahr schon dreimal mit größerem Schiffen als diesem da lang gefahren. Ich weiß in jedem Moment, was ich tue.").
Er macht Klimmzüge und einarmige Seitstützen an Deck und der Reeling, zwischendurch entert er mal schnell per Sprung ein Boot, dessen Kapitän einen Herzanfall erlitten hat und das auf das Traumschiff zutuckert. Den seit Minuten leblos über dem Steuerrad hängenden Seemann rettet er mit einem Glas Wasser: "Wird alles gut." Und das ist ja auch sowas wie das "Traumschiff"-Mantra seit 38 Jahren – egal welcher Kapitän es steuert.
Am 22. November 1981 stach es zum ersten Mal in See und steuerte die Bahamas an. Seitdem wurden 84 Episoden gedreht, die in mehr als 50 verschiedenen Ländern spielen. Fünf Kapitäne standen vor Florian Silbereisen auf der Brücke: In den ersten sechs Folgen verkörperte Günter König Kapitän Braske. Auf ihn folgte 1983 Heinz Weiß als Kapitän Heinz Hansen. In Folge 34 nahm Siegfried Rauch als Kapitän Jakob Paulsen 1999 erstmals das Steuer in die Hand.
37 Folgen und 14 Jahre später übernahm Sascha Hehn 2013 als Victor Burger den Kapitänsposten auf dem "Traumschiff". Der verließ den Pott im vergangenen Jahr relativ überraschend. Lieblos, Fließbandarbeit beklagte er. Alte Plots würden wiederholt. "Zum Schluss wurden auch die dramaturgischen Fehler unerträglich", so Hehn. Lange wurde nach einem Nachfolger gesucht. Sogar zu lange für den bevorstehenden Dreh. Darum übernahm erstmal Daniel Morgenroth als Staff-Kapitan Martin Grimm im Jahr 2018. Und dann wurde Florian Silbereisen erkoren.
Im Film hat sich Staff-Kapitän Grimm bis zuletzt Hoffnungen auf die Herrschaft auf der Brücke gemacht und findet den frischen Vorgesetzten untragbar. "Er ist zu jung und unerfahren, er geht ein zu hohes Risiko ein", sagt er und schwärzt ihn sogar bei der Reederei wegen seiner Rinnenfahrt an. Bei jedem anderen Film wäre das ein Spoiler, aber doch nicht doch beim "Traumschiff": In einer der letzten Szenen will der Staff-Kapitän von Bord gehen, doch Silbereisen/Parger überredet ihn zu bleiben. Gemeinsam schippern sie in eine große Zukunft.
Eher überraschend hingegen: Es kommt der Bruder von Kapitän Max Parger (Joko Winterscheidt) aufs Schiff, erklärt erstmal was zur Haarpflege, tritt dann als Bauchredner auf und der Kapitän weiß von nichts, obwohl die beiden sich herzlich begrüßen und in gutem Kontakt stehen. Joko hat als Kapitänsbruder eine Gnadenrolle bekommen – wahrscheinlich wollte er auch endlich mal nach Antigua, oder wollte seinem Berufs-Bruder Klaas und dessen "Millenial Traumschiff" etwas entgegen setzen. Übrigens heißt der Bruder von Kapitän Max in seiner Rolle wie? Ja, Sie können es sich denken, der Vorname endet mit -oritz.
Eine weitere Gnadenrolle hat Sarah Lombardi abgestaubt: Als musikalisches Kabinenmädchen schüttelt sie Betten, singt und darf am Ende auch noch auf der Bühne "How will I know" trällern.
Die Hoteldirektorin des Schiffs, Hanna Liebold (Barbara Wussow), schlägt sich mit einem aufdringlichen Ex herum, der leider ausgerechnet Kreuzfahrt-Kritiker im Dienst ist. Er mäkelt an allem rum, bis er – weil er einen durch Medikamente und Alkohol bedingten Filmriss hatte – denkt, sie hätte seinem Drängen nachgegeben und sie hätten die Nacht miteinander verbracht. Übrigens sind die Ausfall-Symptome so schlecht gespielt, dass man eigentlich noch aufs dicke Ende wartet. Nämlich auf die Enthüllung des Bordarztes, dass es eigentlich zwei Schlaganfälle und nicht nur Filmrisse waren, die der Kritiker erlitten hat.
Ein Mann, der seinem Freund einen Hochzeitsantrag machen will, lädt die ehemals beste Freundin seines Liebsten samt ihrem pubertierenden Sohn als Überraschung aufs Schiff. "Seid ihr beide schwul?", fragt der Junge entsetzt und hat Angst davor, was seine Klassenkameraden im Jahr 2019/20 sagen, wenn er erzählt, dass er mit zwei Homosexuellen auf einer Kreuzfahrt war. Überraschung: Es werden wohl noch einige mehr Homosexuelle auf dem Schiff gewesen sein. Aber der "Tatort"- und "Traumschiff"-routinierte Drehbuchautor Jürgen Werner hält es noch härter für den Jungen bereit: Schnell stellt sich heraus, dass die freundschaftliche Beziehung seiner Mutter und ihres schwulen besten Freundes nach einer schicksalhaften Nacht vor 14 Jahren versandete. Für alle Leute mit Tomaten auf den Augen und Karotten in den Ohren: Der Sohn sucht übrigens nach seinem unbekannten Vater.
Natürlich werden Schauspieler fürs "Traumschiff" mit ihrer Paraderolle engagiert. Aber der eigentlich so wunderbare Michael Gwisdek muss langsam aufpassen, dass er nicht nur noch als Witze erzählendes One-Trick-Pony gebucht wird ("Kommt ne Schwangere zum Bäcker: 'Ich bekomme ein Brot.' Bäcker: 'Sachen gibt's!'"). Andererseits – läuft ja gut für ihn, am zweiten Weihnachtsfeiertag auf dem "Traumschiff" mit Uschi Glas als Gattin nach Antigua und sendezeitmäßig direkt davor mit dem "In aller Freundschaft"-Film "Zwei Herzen" (ARD) nach Thailand.
Besser läuft es nur für Florian Silbereisen. Er hat seine Sache gut gemacht. Richtig gut. Als hauptberuflicher Moderator fällt er neben den anderen Darstellern auf keinen Fall negativ auf. Eher positiv. Vielleicht weil er sich der Wichtigkeit seiner Rolle bewusst ist.
Silbereisen steuert schließlich auch andere ZDF-Entertainment-Tanker souverän, zielgruppenorientiert und mit vollem Herzen. Er nimmt seine Rolle voll an und distanziert sich nicht von ihr, wie Sascha Hehn es oft mit einem ironischen Unterton und Schmunzeln getan hat als Kapitän Victor Burger. Silbereisen gibt dem "Traumschiff"-Kapitän und der ganzen Reihe ihre Würde zurück. Am 1. Januar geht es weiter nach Kolumbien. Nimm uns mit, Käpt'n Flori!