Weil zuvor zum 71. Mal der "Orden wider den tierischen Ernst" verliehen wurde, läuft "Hart aber fair" erst um 23 Uhr. "Ist ein bisschen später geworden heute, dafür umso herzlicher: Guten Abend", begrüßt Frank Plasberg seine Zuschauer. Ausnahmsweise ist die Sendung aufgezeichnet. Das Thema "Hauptsache friedlich und warm – scheut Deutschland klare Kante gegen Putin?" diskutierte er mit folgenden Gästen:
Der WDR-Redakteur Vasili Golod kam mit zwei Jahren nach Deutschland, hat Verwandte sowohl in der Ukraine als auch in Russland. Niemand von seinen Verwandten erwarte wirklich einen Krieg, sagt er. Auch sein Onkel nicht, ein ehemaliger sowjetischer Marineoffizier in Sewastopol, der größten Stadt auf der Krim. Seine russischen Verwandten würden nur mit einer kriegerischen Reaktion Putins rechnen "wenn die Nato weiter provoziert".
Die Nato als Aggressor, so laute das vom russischen Staatsfernsehen verbreitete Narrativ, sagt Golod. "Ich habe das Gefühl, dass die letzten 30 Jahre spurlos an Wladimir Putin vorbeigegangen sind." Und auch bei den Russen gebe es, befeuert vom Staatsfernsehen, durchaus Zustimmung für Putins Vorgehen. "Ich höre Sätze wie 'Wir sind so ein großes Land, wir brauchen einen mächtigen Zaren'". Wer Putin kritisiere, gelte als "unpatriotisch".
Bei der jüngeren Generation sei das aber ganz anders. Sie würden das Staatsfernsehen nicht mehr gucken. Politikunterricht in der Schule gebe es nicht, aber eine Gefahr für das System Putin sieht Golod bei Instagram: Viele junge Russen würden den Sprösslingen von Oligarchen auf Instagram folgen und das lockere Luxus-Leben beobachten, das diese im westlichen Europa und nicht in Russland führen. Und viele würden finden, dass "diese Freiheiten etwas Spannendes sind, die sie sich für ihr Land durchaus wünschen". Für die Zivilgesellschaft gelte ohnehin schon lange: "Der große Wunsch ist immer Europa."
Medienberichten zufolge hat der US-Geheimdienst CIA die Nato-Mitglieder über eine mögliche Invasion am 16. Februar unterrichtet. Die Politikwissenschaftlerin Sarah Pagung ist höchst skeptisch, was das konkrete Datum angeht. "Es ist nicht seriös, das an einem Tag fest zu machen", findet sie, aber wahrscheinlich sei, dass sich "das Fenster für Diplomatie möglicherweise schließt" angesichts des fortgeschrittenen Truppenaufmarschs. Dass gleich mehrere Länder ihre Bürger aufgefordert haben, die Ukraine zu verlassen, sehe sie "als ernstzunehmendes Zeichen" für die Bedeutsamkeit der Lage.
Auch die "Zeit"-Journalistin Mariam Lau beurteilt die Lage gerade als "sehr gefährlich" und glaubt, dass von der Weiterentwicklung in der Russland-Ukrainie-Krise auch im Rest der Welt viel abhänge, etwa bei den Gebieten, auf die China Anspruch erhebt. "Was hier passiert, wird auch in Taiwan und Hongkong wahrgenommen."
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth findet, Russland betreibt seit Jahren massiv die Destabilisierung Osteuropas. "Putin will die Welt wieder in zwei Welten einteilen." Putin geht es seiner Meinung nach nicht nur um den Nicht-Eintritt der Ukraine in die Nato. Er wolle vielmehr "ein klares Zeichen, dass das östliche Europa eine Region ist, in die sich der sogenannte Westen nicht einzumischen hat". Seiner Einschätzung nach ist der Plan, Europa zu spalten, aber erstmal nicht aufgegangen.
Im Gegenteil, Putin habe, ohne es zu wollen, eine "Frischzellenkur für die Nato" provoziert. "Die größte Angst von Herrn Putin geht doch nicht von den paar Nato-Soldaten aus, sondern von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit", meint Roth. Man müsse den "ganzen Instrumentenkasten" bereithalten, falls Putin die Ukraine wirklich angreifen sollte. "Es muss klar sein, diese Konsequenzen sind sehr, sehr schmerzhaft für das Umfeld von Putin und die Oligarchen." Auch Nord Stream 2 steht zur Disposition.
Auch Norbert Röttgen, CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, glaubt:
Es werde deutlich, dass er sich "historisch nicht abfindet, dass die Sowjetunion nicht mehr existiert" und Russland keine imperiale Rolle mehr hat. Aber die Zeit laufe gegen ihn. Es gebe in ehemaligen sowjetischen Staaten wie Georgien, Moldau oder Kasachstan Demokratie-Bestrebungen. "Wenn sich das Bahn bricht, ist es eine Frage der Zeit, dass die Russen sagen, warum sind wir die Einzigen, die das nicht haben?"
Putin habe an der Grenze zur Ukraine die Situation geschaffen, um angreifen zu können, würde nun aber überlegen, welche Kosten das für ihn bringe. Nicht nur im Verhältnis zum Westen, sondern auch innenpolitisch. "Die russische Bevölkerung hat keine Lust auf Krieg, keine Lust, Ukrainer zu töten." Einen Krieg mit vielen Opfern auf russischer Seite würde für Putin zum Problem werden.
Ein Missgeschick leistet sich Frank Plasberg in der Diskussion. Obwohl die Sendung aufgezeichnet ist, wurde dieser Moment nicht herausgeschnitten: Ungefähr zur Halbzeit der Sendung fällt ihm sein Sender aus dem Sakko und baumelt herab. "Können Sie mal, Frau Lau, dann kann ich mich hier sortieren", spielt der Medienprofi mit offenen Karten den Ball an die "Zeit"-Redakteurin weiter, die über die Lage spricht, während er seine Verkabelung richtet.