Seit über einer Woche trauert Großbritannien um die Queen, mehrere Prozessionen sind bereits in verschiedenen Städten über die Bühne gegangen. Bis zur eigentlichen Beisetzung am 19. September ist der Leichnam von Elizabeth II. in der Westminster Hall aufgebahrt. Dort haben Menschen aus aller Welt insgesamt vier Tage lang die Möglichkeit, Abschied von der Königin zu nehmen.
Vor Ort ergibt sich am Samstag vor der Beerdigung ein teils sehr überraschendes Bild zwischen skurriler Kommerzialisierung und trauernden Briten, die ihren Humor trotz allem nicht verloren haben.
Am späten Samstagvormittag wage ich es einfach: Ich fahre mit der U-Bahn zur Station Westminster und zu meiner Überraschung hält sie dort tatsächlich weiterhin. Die Ernüchterung folgt, sobald ich auf dem Bürgersteig stehe: Es geht keinen Meter vor und keinen Meter zurück.
Und nein, das ist nicht die Warteschlange, die zur Westminster Hall führt. Das hier ist eigentlich die Straßenseite, über die der Fußgängerverkehr noch laufen sollte. Sollte.
Für die ersten Meter brauche ich eine geschlagene Viertelstunde und nutze die Gelegenheit, eine Frau aus Birmingham neben mir anzusprechen, die einen Strauß Blumen in der Hand trägt. Nein, so etwas habe sie noch nie gesehen, bestätigt sie mir. Sie wolle ihre Blumen aber unbedingt für die Queen im Park ablegen. Sie habe Zeit.
Überhaupt fällt auf, dass sich niemand über diese Situation beschwert – in Deutschland wäre das vermutlich anders. Auch die zahlreichen Sicherheitskräfte vor Ort in Westminster haben die Ruhe weg, während es für mich unmöglich ist, mir auch nur einen groben Überblick über die Schlange zu verschaffen.
Dann mache ich eine spektakuläre Entdeckung: An einer Straßenecke, mitten im Getümmel, stehen nebeneinander mehrere Zelte. Menschen campen tatsächlich, um sich für den Montag eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. So, wie es eigentlich nur Hardcore-Musikfans vor Konzerten tun.
Zu den besonders Beharrlichen in Westminster zählt eine 62-jährige Frau, die ihr Zelt allein aufgeschlagen hat. Heute sie sie angereist, Montag geht es für sie zurück. Sie fühle sich sicher und sei ja "schon ein großes Mädchen", meint sie süffisant. Als wir anfangen zu reden, schaltet sie, britisch höflich, ihr mitgebrachtes Radio aus. Sie vergleicht die Ausnahmesituation schließlich mit den Tagen nach Lady Dianas tragischem Tod 1997. Damals waren ähnlich viele Menschen auf der Straße, ist sich die Frau sicher.
Für sie scheint es, wie auch für die anderen hier, eine unausgesprochene Pflicht zu sein, diese offensichtlichen Strapazen (nachts ist es bereits relativ kalt) auf sich zu nehmen – aber keine, die sie ungern erfüllt. Ich werde in diesem Leben sicherlich keine Anhängerin der Monarchie mehr, aber an dieser Stelle bin ich auf eine subtile Weise gerührt.
Ich hatte erwartet, dass die meisten Trauernden in London klischeehaft schwarz tragen und konstant auf den Boden schauen würden und in dieser Situation vielleicht auch gar nicht von Fremden angesprochen werden wollen. Wie falsch ich doch lag. Es mag ein bisschen makaber sein, aber ausgerechnet der Tod der Königin scheint das in vielerlei Hinsicht gebeutelte Großbritannien zu einen.
Ich biege rechts ab in Richtung Trafalgar Square. Im Weiteren ist es ein einziges Stop-and-go, aber ich bin zu neugierig darauf, was mich noch erwartet. Dazu gehören unweigerlich Souvenir-Shops, die in England wohl einen Teil des Geldes wieder reinholen, das die Monarchie beziehungsweise der Lebensstil der Royals kostet. Dem Tourismus sei Dank.
Und siehe da: Merchandise rund um die Königin hat in diesen Tagen Hochkonjunktur. Flaggen mit dem Gesicht von Elizabeth II. und Postkarten mit Trauer-Motiv sind dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Als ich eine Wackelfigur entdecke, die allen Ernstes "Dancing Queen" heißt (Kostenpunkt: 8 britische Pfund), bin ich doch verwundert, wie humorvoll anscheinend auch mit dem Tod der Königin umgegangen wird. Erst am Vortag hatte ich darüber gelesen, dass zwei britische Amateur-Fußballmannschaften hart zur Rechenschaft gezogen werden soll, weil sie am Wochenende nach dem Queen-Tod auf den Rasen traten, gleichwohl alle Spiele abgesagt waren. Wie passt das zusammen?
Die Inhaber der Stores erweisen sich jedenfalls als geschäftstüchtig, haben ihre Ware teils reduziert, um noch mehr Leute anzulocken. Ebenfalls nicht unklug: Zu kaufen gibt es nicht nur Royal-Merchandise und Teddybären, sondern auch Artikel zu Premiere-League-Mannschaften und sogar Mr. Bean. Produkte zum neuen König Charles III. habe ich zwar nicht gefunden, aber das dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein.
Auf Nachfrage verrät mir ein Verkäufer, dass die Queen-Handtücher der aktuelle Bestseller sind – und auch, dass in der vergangenen Woche mehr Umsatz gemacht wurde als üblich. Ich kann mich darüber nicht einmal aufregen. Wenn es den Briten aus der Krise hilft... warum nicht?