Etwa 10 Prozent der genutzten Smartphones in Deutschland stammen aus zweiter Hand.Bild: iStockphoto / VladTeodor
Gute Nachricht
07.10.2021, 11:5407.10.2021, 12:10
Bei der Neuanschaffung eines Autos ist es Usus, den alten Wagen an
einen Händler zu verkaufen. Bei Smartphones wandern dagegen viele
Altgeräte in die Schublade. Hier sehen Experten in Deutschland großes
Potenzial – auch im Sinne der Nachhaltigkeit.
Reparieren statt Wegwerfen
Mit geschickten Fingern hat Sebastian
Heyn das Smartphone in Einzelteile zerlegt. Erst musste er das Gerät
in einem Automaten erwärmen und so den Kleber lösen. Nun liegen die
Teile säuberlich sortiert vor ihm: Akku, Platine, Koaxialkabel,
Frontkamera. "Bei diesem Gerät muss das Display ausgetauscht werden",
sagt der 35-Jährige. Ist es einmal zerlegt, könnten auch andere
Bauteile, deren Lebensende naht, gleich gewechselt werden.
Werkstätten wie hier in Hartmannsdorf bei Chemnitz reparieren Handys
für ihre Besitzer oder Garantiefälle. Doch auch ausrangierte
Altgeräte landen dort und bekommen ein zweites Leben eingehaucht.
Rund 206 Millionen solcher Handys und Smartphones schlummern in den
Schubladen von Privatleuten in Deutschland. Das hat eine Befragung im
Auftrag des Branchenverbandes Bitkom ergeben. Im Sinne des Klima- und
Umweltschutzes sei anzustreben, die Geräte länger zu nutzen, erklärt
Bitkom-Experte für Nachhaltigkeit, Niklas Meyer-Breitkreutz. Denn die
Herstellung mache den Großteil ihres ökologischen Fußabdruckes aus.
Innovationssprünge bei neueren Modellen seien inzwischen geringer als
früher, so dass gebrauchte Geräte attraktiver bei einer Neuanschaffung
werden, schätzt der Experte. Das "Refurbishment", wie Fachleute die
Generalüberholung gebrauchter Elektrogeräte nennen, sei ein
Wachstumsmarkt mit großem Potenzial.
Gebrauchte Handys wurden bisher häufig privat verkauft. Für Käufer
und Verkäufer lauern dabei Gefahren. Private Daten könnten in falsche
Hände gelangen und eine Garantie gibt es für den Käufer nicht.
Etliche Verbraucher horten die Geräte deswegen lieber in ihrer
Schublade, wie die Bitkom-Befragung ergab. Auch um im Notfall ein
Ersatzgerät zur Hand zu haben.
Refurbishment durch KI
Pierre-Pascal Urbon sieht im bisherigen Abwicklungsprozess beim Handel mit gebrauchten Handys eine
Hürde. Er ist Vorstandschef der Komsa AG, eines der größten
Familienunternehmen in Ostdeutschland. Mehr als eine Million Geräte
werden im sächsischen Hartmannsdorf pro Jahr repariert oder
aufbereitet. Nun will Komsa bei Ankauf, Aufbereitung und Verkauf
gebrauchter Smartphones stärker mitmischen. Bisher ist die Firma
dabei etwa über Fachhändler aktiv, nun wird ein digitaler Marktplatz
für Endkunden vorbereitet. Vorstandschef Urbon will unter anderem künstliche
Intelligenz für die optische Bewertung der Geräte einsetzen.
Das Potenzial haben auch andere Unternehmen erkannt. Hersteller wie
Apple und Samsung bieten beim Kauf neuer Geräte an, das alte in
Zahlung zu nehmen. Sie werden aufbereitet oder gehen ins Recycling,
um Rohstoffe zurückzugewinnen. Laut Apple wurden im vergangenen Jahr
weltweit 10,4 Millionen Geräte dem Refurbishment zugeführt und 39.000
Tonnen Elektroschrott dem Recycling. Das ist aber nur ein Bruchteil
der verkauften Neugeräte, von denen im vergangenen Jahr schätzungsweise über 200 Millionen Stück erworben wurden.
Daneben verzeichnen Internetplattformen wie Refurbed und Back Market
in Deutschland nach eigenen Angaben hohe Wachstumsraten. Auf solchen
Marktplätzen werden generalüberholte Elektrogeräte angeboten und Verbraucher können ihre Altgeräte zu Geld machen. "Der Markt wächst
massiv", sagt Refurbed-Mitgründer Kilian Kaminski. Sein Unternehmen
habe den Umsatz im vergangenen Jahr mehr als verdreifacht. Für den
Verbraucher sei der Erlös umso höher, je neuwertiger ein Gerät sei.
"Ich schätze, dass bereits mehrere Millionen refurbishte Geräte in
Deutschland pro Jahr verkauft werden." Smartphones machten dabei den
größten Anteil aus.
"Eine Menge Luft nach oben" – Anteil gebrauchter Smartphones in Deutschland noch gering
Im Vergleich zu anderen Ländern hinkt Deutschland jedoch hinterher.
Während in Frankreich etwa 40 Prozent der Menschen solche Smartphones
nutzten, seien es in Deutschland erst rund 10 Prozent, erläutert der
Deutschlandchef von Back Market, Martin Hügli, mit Verweis auf
interne Daten. "Da ist noch eine Menge Luft nach oben und wir stehen
hier erst am Anfang." Das wichtigste Argument für Verbraucher sieht
er in einem besseren Preis-Leistungsverhältnis im Vergleich zu
Neugeräten. Die größte Nachfrage gebe es für Smartphones, die vier
bis sechs Jahre alt seien.
Doch auch das Umweltbewusstsein spielt den Experten zufolge zunehmend
eine Rolle. "Nachhaltigkeit nimmt bei Endkunden einen immer größeren
Stellenwert ein", sagt Komsa-Chef Urbon und verweist etwa auf die
Fridays-for-Future-Bewegung. "In Zukunft könnte es hip sein, ein
gebrauchtes Gerät zu haben statt ein neues." Neben Privatleuten sieht
er Firmen als Zielgruppe, die etwa eine große Zahl von Beschäftigten
mit dezentralen Arbeitsplätzen ausstatten, wie etwa Service-Mitarbeiter
oder Paketzusteller.
Und nicht nur Unternehmen haben die ausgemusterten Smartphones im
Blick. Seit einigen Jahren sammelt etwa das katholische Hilfswerk
Missio Handyspenden. Rund 240.000 Geräte wurden dessen Angaben zufolge
abgegeben. Der überwiegende Teil sei recycelt und daraus Gold, Silber und
Kupfer zurückgewonnen worden. Rund 20.000 Geräte wurden aufbereitet
und weiterverkauft, wie ein Sprecher informiert.
Handys für Hummeln
Für einen guten Zweck sammelt auch der Naturschutzbund (Nabu)
ausrangierte Handys und Smartphones. Unter dem Motto "Handys für
Hummel, Biene und Co." kooperiert der Verein dabei mit dem
Telekommunikationsprovider Telefónica Deutschland (O2) bereits seit
2011. Für die gesammelten Handys spendet Telefónica jährlich eine
feste Summe, die in den Nabu-Insektenschutzfonds fließt.
(fs/dpa)
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