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Technoparty in der Ukraine: Ein Symbol des Widerstands

Party mitten im Ausnahmezustand: Für einen wohltätigen Zweck wurde in Kiew jetzt wieder an den Turntables gedreht.
Party mitten im Ausnahmezustand: Für einen wohltätigen Zweck wurde in Kiew jetzt wieder an den Turntables gedreht. bild: Base ua
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Tanzen, um zu überleben: Warum die Ukrainer trotz Krieg wieder feiern gehen – "Beim Techno kannst du wieder aufladen"

03.09.2022, 15:39
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Die Ukraine galt als Hotspot der Techno-Szene. Wegen der günstigen Mieten, viel Platz und einem gewissen Post-Sowjet-Ambiente wurde gerade Kiew oft mit Berlin in den 90ern verglichen. Seit letztes Jahr dort der Club "∄" eröffnet wurde, der von Architekt:innen des legendären Berliner Partyclubs Berghain mitgestaltet wurde, liegt dieser Vergleich noch näher.

Unter den Partygängern ist der Kiewer Technoclub als "K41" bekannt, in Anlehnung seiner Adresse in der Kyrylivska Uliza 41. Die Straße liegt in Podil, dem ältesten und hippsten Stadtteil Kiews. Doch seit Februar gibt es in der ehemaligen Brauerei keine Partys mehr: Die Mitarbeiter:innen des Clubs sind mit Kriegsbeginn nach Berlin geflohen. Dort haben sie ein Hilfsnetz für Geflüchtete und in der Ukraine Verbliebene aufgebaut.

Mit Techno etwas Gutes tun will auch die Organisation Base UA, die gegründet wurde, um den Menschen im Krieg zu helfen. Deren Mitglieder sind normalerweise damit beschäftigt, unter Einsatz ihres Lebens humanitäre Hilfe zu leisten und Menschen aus der den umkämpften Gebieten im Osten der Ukraine zu evakuieren. Aber auch kulturelle Veranstaltungen und Projekte, der Wiederaufbau von Dörfern und künstlerische Kindercamps organisiert der Hilfsverein.

Für all das braucht man Geld und dieses wird nicht nur über Social Media Spendenaufrufe, sondern auch mit Kulturevents wie einer Techno-Party gesammelt.

Künstler:innen und Musiker:innen aus der Ukraine berichten watson, wie sich die Musik- und Technoszene verändert hat und warum sie für die Ukraine eine so wichtige Rolle spielt.

Der ukrainische DJ Volodymyr Baranovskyi hatte ebenfalls einen Auftritt bei dem Event der Organisation Base UA in der Keller-Bar, die nur wenige Gehminuten neben dem legendären Club "K41" liegt. Er berichtet, dass vor der Corona-Pandemie und dem Kriegsbeginn in Kiew "jeden Tag, von Montag bis Sonntag" gefeiert wurde. Dann erstmal nicht mehr. Nun aber sei die Stadt seit dem kriegerischen Angriff fast vollständig wieder erwacht.

Der Krieg verändert das Nachtleben

So wie früher sei es allerdings nicht mehr, die Auswirkungen des Kriegs sind auch im Nachtleben zu spüren. Die Musikbranche hat sich verändert. Volodymyr berichtet watson, es gebe gerade viele neue kreative Impulse: "Die Musik ist bedeutungsvoll, durchdrungen von patriotischen Gedanken, Freundlichkeit und ukrainischer Sprache."

"Um genau zu sein, ist meine Kreativität dunkler geworden, sogar unheimlicher und roher."
Videokünstler Demian Feriy

Die Solidarität unter den Menschen bringe auch neue Musikstile hervor: "Jeder unterstützt den anderen, Musiker:innen kooperieren miteinander in neuen Formaten: Rapper mit Techno-Produzenten, Hardcorefans und Punks mit Jazzmusiker:innen und Folkgruppen", sagt der 32-Jährige.

Auch der ukrainische Videokünstler Demian Feriy merkt, wie stark der Krieg und die Bilder davon seine eigene Arbeit beeinflussen. Er sagt gegenüber watson:

"Generell ist künstlerisches Schaffen eine Arbeit mit Psyche, Wahrnehmung und Gefühlen. Unabhängig vom Thema meiner Kunst sind das alles Faktoren, die den Status Quo und gewisse Bereiche meiner Persönlichkeit beeinflussen. Um genau zu sein, ist meine Kreativität dunkler geworden, sogar unheimlicher und roher."

Techno als Safe Space

Techno spielt in der Ukraine, so wie in vielen osteuropäischen Ländern, eine besondere Rolle. Dies bestätigt auch der bekannte französische DJ Laurent Garnier im Interview mit dem österreichischen Radiosender FM4: "Während Clubbing an vielen Orten der Welt heute völlig normal ist, hat es woanders noch eine politische Dimension." Garnier war vor dem Krieg oft in Osteuropa in seiner Tätigkeit als DJ unterwegs. Eine Technoparty bedeute hier mehr als bloß sinnfreien Hedonismus, es sei häufig ein politisches Statement.

Stichwort LGBTQ-Rechte. Denn die Ukraine ist für queere Menschen kein sicheres Land: Beim Rainbow Europe 2021 Ranking, einer Bewertung der Staaten Europas nach ihrer LGBTQI*-Freundlichkeit, belegt die Ukraine nur Platz 39 von 49.

"Beim Techno kannst du wieder aufladen, in ein positives Umfeld eintauchen."
DJ Volodymyr Baranovskyi

Techno Clubs gelten als sicherer Ort für queere Menschen. "Techno Partys werden meist im Rahmen eines Safe Spaces abgehalten: in einer toleranten, freundlichen Atmosphäre ohne Foto- oder Videoaufnahmen. Beim Techno kannst du wieder aufladen, in ein positives Umfeld eintauchen", sagt Volodymyr.

"Ich glaube, dass wir Ukrainer:innen Techno so lieben, weil wir viele gemeinsame Werte mit der Technokultur verbinden – Freiheit, Pluralismus und Aufgeschlossenheit. Das sind die Werte, für die wir gerade kämpfen", sagt die ukrainische DJane Dana Vereshchagina zu watson.

Techno hat in der Ukraine auch historisch eine besondere Bedeutung

Die Popularität von Techno in der Ukraine hat jedoch auch historische Gründe. Mit der Maidan-Revolution 2014 begann ein wahrer Hype um die Techno-Szene: Mit zahlreichen, teils politischen Raves demonstrierte die ukrainische Jugend nach den Protesten ihre pro-europäische Einstellung.

Vor allem die Technoraves des ukrainischen Organisators "Cxema" in verschiedenen postindustriellen Orten in Kiew erlangten durch die Berichterstattung in internationalen Magazinen Kultstatus. Viele Techno-Clubs wurden seitdem eröffnet und erfreuten sich großer Beliebtheit. Wegen dieser Kulturentwicklung und weil während der Maidan-Proteste häufig Techno gespielt wurde, etablierte sich auch der, oft als romantisiert kritisierte, Begriff des Technomaidan.

Maidan-Revolution oder Euromaidan
Hunderttausende protestierten zwischen November 2013 und Februar 2014 auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz Maidan für eine Annäherung der Ukraine an Europa. Dies führte zur Entmachtung des korrupten, pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Brutale Polizeigewalt kostete über 100 Demonstrierende das Leben.

Tanzen hilft beim Überleben

Ob es moralisch vertretbar ist, in Kriegszeiten zu tanzen, während im gleichen Land Mitbürger:innen sterben, empfinden die Künstler als die falsche Frage. Gerade um zu überleben, sei es wichtig, zu feiern und auch mal Stress abzubauen.

Der 32-jährige Musiker und Designer Demian Feriy findet es außerdem wichtig, in Städten ohne Kriegshandlungen "die Menschen zu beschäftigen und die Wirtschaft zu stimulieren." In diesem Sinne sei eine Party das gleiche wie ein Restaurant oder ein Fitnessstudio. Eine Party "hilft Menschen auf ihre eigene Art und verschafft jemandem einen Job – bei einem Wohltätigkeitsevent außerdem auch Geld für humanitäre Hilfe."

"Der Erhalt unserer Kultur und das Leben in Frieden sind ja gerade das, was unser Militär verteidigt!"
DJ Volodymyr Baranovskyi

Und weil Kiew nun mal die Hauptstadt eines Landes ist, das sich im Krieg befindet, ist eine Technoparty viel mehr als nur eine Party mit Technomusik. Neben dem Musikprogramm veranstaltete die Hilfsorganisation Base UA in der Keller Bar auch ein Erste Hilfe Training, eine Lesung zu Mental Health in Kriegszeiten und verschiedene Ausstellungen mit Bezug auf den Krieg. Trotz allem soll die Kultur und die Musik dabei im Vordergrund stehen.

So schreibt Base UA in der Ankündigung: "Base ist ein Event, das ins Leben gerufen wurde, um zu zeigen, dass eine Wiederbelebung gerade durch Kultur, Kommunikation, Fürsorge für einen selbst und die eigene Gesundheit und seine Mitmenschen geschieht." Gerade die mentale Gesundheit werde dadurch gestärkt.

Auch DJ Volodymyr erzählt, er habe sich erlaubt, beim Fundraising-Event ausnahmsweise zu tanzen:

"Ich glaube, dass das Tanzen ein großartiges Mittel gegen Stress ist, denn überall herrscht gerade sehr viel Stress wegen des Kriegs."

Selbst seine Freunde vom Militär würden das verstehen. "Der Erhalt unserer Kultur und das Leben in Frieden sind ja gerade das, was unser Militär verteidigt!"

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