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Corona: Alarmierende Studie – Long-Covid verursacht nicht nur körperliche Probleme

Sad and contemplative young woman.
Genesen, aber nicht gesund: Einige Long-Covid-Betroffene fühlen sich noch Monate später psychisch belastet. Bild: iStockphoto / dragana991
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Long-Covid kann "psychische Krankheiten auslösen" – auch ohne Vorbelastung

02.04.2022, 15:4404.04.2022, 08:14
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Fast jeder Deutsche kennt wohl inzwischen jemanden, der an Covid-19 erkrankt war oder durchlief die Virusinfektion selbst. Für viele fühlte es sich nur wie eine Grippe an, doch etwa 10 bis 20 Prozent der "Genesenen" erleben auch noch Wochen später Krankheitssymptome, die einfach nicht mehr verschwinden wollen – und das geht auf die Psyche.

Long-Covid, wie die Erkrankung nach der Erkrankung auch genannt wird, scheint nicht nur eine körperliche Schwächung mit sich zu bringen, sondern auch psychische Störungen, wie Mediziner zunehmend beobachten. Welche Rolle das Virus dabei spielt, ist unter Forschern jedoch noch umstritten: Mehrere Studien aus dem Ausland zeigten, dass Patienten nach einer Corona-Erkrankung Halluzinationen erlebten, sogar Psychosen entwickelten. Es handle sich dabei jedoch um Einzelfälle, die Datenlage sei noch zu dünn, um das Virus selbst als Auslöser zu identifizieren, kritisieren wieder andere.

Wo sich Betroffene austauschen können
Die Initiative "Long COVID Deutschland" wird von Betroffenen organisiert und gibt Auskunft über behandelnde Ärzte, Kliniken, aktuelle Forschungserkenntnisse und Selbsthilfegruppen: longcoviddeutschland.org

Sicher ist, dass immer mehr offiziell Corona-Genesene noch Wochen und Monate nach ihrer Krankheit psychologische Hilfe benötigen. Sei es, weil sie nach einer schweren Erkrankung mit Atemnot posttraumatische Belastungsstörungen entwickeln, sei es, weil ihnen Long-Covid den Alltag umgeschmissen hat und sie mit ganz neuen Schuldgefühlen und Ängsten konfrontiert sind.

Chefarzt Prof. Dr. Thomas Kraus, Frankenalb-Klinik Engelthal
Chefarzt Prof. Thomas KrausBild: Frankenalb-Klinik Engelthal

Solche Fälle erlebt auch Prof. Dr. Thomas Kraus im Arbeitsalltag. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Frankenalb-Klinik Engelthal und erklärte gegenüber watson, inwiefern das Virus das Hirn beschädigt, wie Corona-Traumata behandelt werden und warum psychische Folgen wirklich jeden treffen können – nicht nur Vorerkrankte.

Er sagt:

"Über eine Aktivierung der Stress-Hormon-Achse kann es (das Coronavirus) sowohl psychische Krankheiten auslösen als auch verstärken."

watson: Welche Auswirkungen hat eine Long-Covid-Erkrankung auf die Psyche – nach derzeitigem Kenntnisstand?

Prof. Thomas Kraus: Es kann zu Depressionen, Angststörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen kommen. Neben einer nicht nur körperlich, sondern auch psychisch erlebten Erschöpfung und Müdigkeit (Fatigue) sind Konzentrations- und Gedächtnisstörungen besonders einschränkend. Sie führen teils zu massiven Leistungseinschränkungen.

Wie viele Menschen erleben psychische Belastungen nach einer Covid-19-Erkrankung?

Es gibt hierzu bisher wenige Daten, und diese stammen eher aus der Anfangszeit der Corona-Pandemie. Demnach soll es in der Post-Covid-Phase – also ab 12 Wochen nach Infektion – 40 Prozent milde und 20 Prozent schwere psychische Probleme geben. 10-20 Prozent der ambulant behandelten Patienten und 50-70 Prozent der stationär behandelten Patienten beklagen Symptome noch nach vier bis zwölf Wochen im Anschluss ihrer Corona-Infektion.

Hat das neurologische Ursprünge?

Ja, zum einen Teil löst das Virus direkte Gehirnschädigungen aus, indem es Gewebe zerstört, eine Entzündung hervorruft sowie eine starke Autoantikörper-Bildung verursacht, die wiederum kleine Gehirngefäße schädigt und die Blut-Hirn-Schranke stört. Zum anderen Teil spielen aber psychisch-traumatisch ausgelöste (Stress-)Reaktionen und damit hormonelle Faktoren eine Rolle.

Authentic shot of multiracial people in the city wearing face mask and walking on the pavement commuting to work - Lifestyle and health issues concepts
10 bis 20 Prozent aller Corona-Erkrankten entwickeln Long-Covid-Symptome, darunter PTBS und Angststörungen. Bild: iStockphoto / william87

Sind davon nur Menschen betroffen, die schon vorher psychisch vorerkrankt waren?

Nein. Wie bei jedem Trauma und jeder Gehirnentzündung kann es hier jeden treffen. Menschen, die allerdings psychisch vulnerabel sind, die also eine Vorprägung und Anfälligkeit für psychische Erkrankungen besitzen, sind besonders leicht verwundbar. Sie sind damit gefährdet, von einer unterschwelligen Störung in eine manifeste Erkrankung zu rutschen, beziehungsweise einen Krankheitsrückfall, ein Rezidiv, zu erleiden.

Kann Long-Covid psychische Erkrankungen auslösen? Mehrere Studien legen nahe, dass Patienten in Einzelfällen sogar Psychosen entwickelten.

Über eine Aktivierung der Stress-Hormon-Achse kann es sowohl psychische Krankheiten auslösen als auch verstärken. Wie für alle psychischen Erkrankungen, so gilt auch für die Psychosen die Stress-Vulnerabilitäts-Hypothese, die besagt, dass auf der Basis einer Prädisposition – also einer individuellen, vor allem genetisch bedingten Verwundbarkeit – bei entsprechend starken Auslösern eine Erkrankung entstehen kann.

"Zum einen Teil löst das Virus direkte Gehirnschädigungen aus, indem es Gewebe zerstört, eine Entzündung hervorruft sowie eine starke Autoantikörper-Bildung verursacht."

Können schwere Covid-19-Erkrankungen traumatisch wirken, zum Beispiel nach dem Erleben von Luftnot?

Selbstverständlich, das ist eine typische psychische Folge von beatmeten Intensiv- und OP-Patienten, nicht nur von Covid-Betroffenen. Das Gute ist, dass die meisten Traumafolgen mit der Zeit von alleine ausheilen. Ansonsten gibt es vielfältige Techniken in der Traumatherapie, die gut helfen können, zum Beispiel die EMDR-Methode, bei der innerhalb weniger Sitzungen regelrecht "Löschungen" der Traumafolgen vorgenommen werden können.

Was für Gefühle begleiten Long-Covid-Erkrankte häufig?

Neben Schuld- und Schamgefühlen stehen vor allem Ängste im Vordergrund, wieder belastungs- und leistungsfähig werden zu können. Existentielle Sorgen und Zukunftsängste treten massiv auf. Kann ich wieder in die Arbeit gehen, wieder Sport machen, meinen Alltag – ohne Schmerzen und Einschränkungen – bewältigen.

Was sind Strategien, um diese psychischen Belastungen aufzufangen?

Ein längerfristiger Aufbauplan mit realistischen Zielen und Teilzielen, körperlich und psychisch, der langsam und stufenweise vorgeht. Keine Überforderung im Training, kleine Schritte – großer Erfolg! Hier ist ein interdisziplinäres Zusammenspiel zwischen Psychotherapie, Ergo- Sport- und Physiotherapie zu empfehlen. Auch die Musiktherapie kann gut helfen.

"Überforderungen durch die Familie können das Scham- und Schulderleben bei den Patienten vergrößern."

Wie können Therapeuten den Patienten helfen, Strategien für ein Leben mit Einschränkungen zu entwickeln?

Das ursprüngliche Leistungsniveau wird in kleinen Stufen von beispielsweise 10, 20, 30 Prozent als Teilziel langsam wieder auftrainiert und damit auch das Selbstwirksamkeits- und Kontrollerleben reaktiviert. Die ganze Umgebung, vor allem das nahe familiäre Umfeld sollte mit einbezogen werden, damit nicht unnötig Druck und schlechtes Gewissen erzeugt werden. Überforderungen durch die Familie können wiederum das Scham- und Schulderleben bei den Patienten vergrößern. Rückschritte durch Über-Training verlangsamen den Ergebnisfortschritt insgesamt eher, als dass sie motivierend wären.

Wo können Long-Covid-Patienten Hilfe finden, die sich durch die Krankheit psychisch belastet fühlen?

Es gibt Long-Covid-Spezialambulanzen in psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken. Oft finden sich hierzu auch Telefon-Hotlines sowie Informations- und Beratungsmöglichkeiten im Internet, wie sie sie auch die Bezirkskliniken Mittelfranken anbieten. Dort gibt es auch ein stationäres Spezialprogramm für Long-Covid-Patienten.

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