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Nach Übergriffs-Vorwürfen gegen Islands Fussball-Star: Das sagt ein Psychologe

Islands Kolbeinn Sigthorsson
Kolbeinn Sigthorsson wird vorgeworfen, gegenüber einer Frau in einem Nachtklub übergriff geworden zu sein Bild: imago sportfotodienst / VI Images
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Nach Übergriffs-Vorwürfen gegen Island-Star: Das sagt ein Psychologe über Missbrauchsfälle im Profi-Sport

08.09.2021, 21:12
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2016 war Kolbeinn Sigthorsson der isländische Held bei der Europameisterschaft. Mit seinem Treffer zum 2:1 im Achtelfinale gegen England sicherte er seinem Heimatland den ersten Viertelfinal-Einzug bei einer EM. Fünf Jahre später ist er nicht mehr der Held, sondern wird in der Öffentlichkeit des Missbrauchs bezichtigt.

2017 soll er die heute 25-Jährige Thorhildur Gyda Arnarsdottir in einem Nachtklub in Reykjavik am Hals gepackt und zwischen die Beine gefasst haben. Auch eine weitere Frau soll er attackiert haben. Die Vorwürfe wiegen schwer und scheinen nur die Spitze des Eisbergs im isländischen Fußball zu sein. 2010 soll es zu einer Gruppenvergewaltigung einer Frau durch mehrere isländische Nationalspieler gekommen sein, dieser Vorwurf wurde nun in der isländischen Zeitung "Visir" laut.

Vorwürfe gegen Isländer sind keine Ausnahme

Das Pikante: Zumindest von den Anschuldigungen gegenüber Sigthorsson wusste der isländische Fußballverband. Präsident Gudni Bergsson bot dem Opfer über einen Anwalt Schweigegeld an und behauptete, dass es solche Vorfälle nicht gebe. Mittlerweile sind er und 16 weitere Vorstandsmitglieder zurückgetreten. Sigthorsson äußerte sich mittlerweile zu den Vorwürfen. Er sei nicht der Meinung, dass er die Frau belästigte oder Gewalt angewendet habe. Er schrieb aber auch: "Ich bereue mein Verhalten immer noch."

Aber nicht nur bei den Isländern, die am Mittwoch (20.45 Uhr) gegen Deutschland spielen – und zwar ohne Kolbeinn Sigthorsson, sind Missbrauchs-Vorwürfe im Profisport aufgetaucht.

Im Frühjahr 2021 wurde Christoph Metzelder nach einem Geständnis verurteilt. Er hatte kinder- und jugendpornografische Dateien besessen und weitergeleitet. Manchester Citys Verteidiger Benjamin Mendy wurde von seinem Klub suspendiert, da er aktuell in Untersuchungshaft sitzt. Ihm wird Vergewaltigung in vier Fällen und ein weiterer sexueller Übergriff vorgeworfen. Bei den Vorfällen zwischen Oktober 2020 und August 2021 soll ein Opfer minderjährig gewesen sein.

Ruben Semedo (r.)
Ruben Semedo wurde Ende August wegen eines Missbrauchs-Vorwurf in U-Haft genommen.Bild: www.imago-images.de / Giannis Panagopoulos

Auch der portugiesische Fußballprofi Ruben Semedo befindet sich in Untersuchungshaft. Er soll ein 17-jähriges Mädchen vergewaltigt haben. Und ebenfalls bei Football-Stars in der NFL gibt es solche Vorwürfe. Deshaun Watson, der Star-Quarterback der Houston Texans, sieht sich insgesamt 22 zivilrechtlichen Klagen wegen sexueller Belästigung gegenüber.

Wie häufig werden Profi-Sportler zu Tätern?

Klar ist aktuell: Bis auf Metzelder ist keiner der Stars verurteilt. So lange gilt die Unschuldsvermutung. Dennoch stellt sich die Frage, ob bekannte Profi-Sportler öfter solchen Vorwürfen ausgesetzt sind und vielleicht sogar öfter zum Täter werden als unbekannte Menschen. Oder werden gerade durch die mediale Aufmerksamkeit solche Fälle schneller bekannt?

Watson hat mit dem Sportpsychologen René Paasch gesprochen. Er arbeitet unter anderem für Rot-Weiß Oberhausen und ist Dozent an der Deutschen Hochschule für Gesundheit & Sport (DHGS). Er sagt zur Häufigkeit der Vorwürfe gegenüber Profi-Sportlern:

"Wir haben eine sehr hohe Dunkelziffer diesbezüglich. Das macht es ganz besonders schwierig. Missbrauch ist in der Gesellschaft so breit gestreut und allgegenwärtig, deshalb sind explizite Zahlen für den Profi-Sport nicht bekannt."

Etwas allgemeiner kann aber gefasst werden, dass Täter oft aus besser gestellten Gruppen der Gesellschaft kommen. Paasch erklärt: "Pauschal kann man es nicht sagen, aber man weiß schon, dass dieses Klientel sich solche Nischen sucht. Da, wo sie Macht ausüben können, haben sie die Sicherheit, dass sie sich so verhalten können, ohne dass es Konsequenzen gibt. Deswegen findet man es nicht nur im Kontext von Sport, sondern auch in vielen anderen Situationen wieder."

Prof. Dr. René Paasch
Sportpsychologe René Paasch

Potentielle Täter suchen daher Machtpositionen und manipulieren ihre Opfer laut Paasch auf zwei mögliche Weisen. Einerseits gaukeln sie eine persönliche Beziehung zum Opfer vor, "sodass der Gegenüber – was ein Kind, ein Jugendlicher, ein Mann oder eine Frau sein kann – das Gefühl einer Beziehung hat. Oder sie arbeiten mit Druck und Angst und drohen Strafen an." Bei der zweiten Variante wären beispielsweise Trainer zu nennen, die ihren Athleten androhen, aus dem Kader zu fliegen und damit wichtige Fördergelder zu verlieren.

Aber die Profi-Sportler könnten nicht nur Täter, sondern auch selbst Opfer werden. Nämlich von falschen Beschuldigungen und Vorwürfen. Paasch: "Diese Fälle sind gering, aber man kann nicht ausschließen, dass sich die Rollen auch vertauschen. Das vermeintliche Opfer kann solche Vorwürfe auch nutzen, um Profi-Sportler unter Druck zu setzen, beispielsweise, wenn die Person nicht die Zuneigung erwidert."

"Man kann es sich so vorstellen: Wenn man jemanden einstellt und eine Person einen Weg mit solchen Vorwürfen hinter sich hat, bleiben immer Zweifel und man geht davon aus, dass ein Stück Wahrheit dran ist."
Sportpsychologe René Paasch

Menschen, die wenig Selbstvertrauen haben und auf Bestätigung und Aufmerksamkeit von außen angewiesen sind, seien für dieses Verhalten bekannt. So schildert es Paasch.

Schlechtes Image kann Karrieren beenden

Stehen einmal die Vorwürfe im Raum – ob zu Recht oder zu Unrecht – sieht es mit der Karriere, auch unabhängig davon, ob die Person Sportler ist oder nicht, düster aus. "Das ist natürlich für jemanden, für den ein gutes Bild in der Öffentlichkeit wichtig ist, sehr fatal und kann die Karriere versauen. Vor allem, wenn es medienwirksam wird und viele Menschen es lesen," berichtet Paasch.

So verdeutlicht der Sportpsychologe: "Man kann es sich so vorstellen: Wenn man jemanden einstellt und eine Person einen Weg mit solchen Vorwürfen hinter sich hat, bleiben immer Zweifel und man geht davon aus, dass ein Stück Wahrheit dran ist. Dieses Image abzulegen ist gerade im Leistungssport unglaublich schwierig."

Das zeigt sich besonders in einem aktuellen Fall. Zweitligist Schalke 04 steht laut "Bild"-Zeitung kurz vor der Verpflichtung des Spaniers Sergi Enrich. Der Haken: Der Stürmer filmte 2016 sich und einen Teamkollegen beim Sex mit einer Frau und verbreitete im Anschluss ohne die Einstimmung der Sexpartnerin das Video im Internet. Im Januar 2021 wurde er zu einer zweijährigen Haft auf Bewährung verurteilt und musste eine Strafe von 100.000 Euro zahlen.

Kurz nach Bekanntwerden des Wechsel-Gerüchts zu Schalke wurde in den sozialen Medien heftig diskutiert, ob der Spieler zu den Vereinswerten passe oder nicht. Am Mittwochnachmittag gab der Verein dann bei Twitter bekannt, dass man sich gegen eine Verpflichtung Enrichs entschieden habe. Begründet wurde die Entscheidung nicht.

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