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Familie: Wenn erwachsene Kinder die Beziehung zu den Eltern abbrechen

Woman with dark hair stands on a top cliff over blue sea view while wind.
Für viele Kinder ist der Kontaktabbruch zu den Eltern oder einem Elternteil der einzige Weg, um als Erwachsener glücklich und frei zu sein.Bild: iStock / Getty Images Plus / Rawpixel
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Wenn Kinder Schluss machen: "Ich habe die Beziehung zu meinem Vater beendet"

13.02.2020, 15:10
Jana Schütt
Jana Schütt
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Antonia (Name von der Redaktion geändert) ist 25 Jahre alt, als sie den Kontakt zu ihrem Vater abbricht. Alles, was sie ihm zu sagen hat, hat sie in einer E-Mail zusammengefasst, die sie monatelang nicht abschickt. Zu groß die Hoffnung, die Beziehung würde sich doch noch ändern – zu groß die Angst, einen unwiderruflichen Fehler zu machen.

Doch als ihr Vater zum Neujahr 2019 einen Versöhnungsversuch startet, weiß Antonia plötzlich: Das war's, für immer – und schickt die E-Mail ab.

Eine Kindheit geprägt von Unzuverlässigkeit

Es ist 1993, als eine von vielen Ehen in Deutschland zerbricht. Es ist die Ehe von Antonias Eltern. Sie ist kein Jahr alt, als ihr Vater die Familie verlässt, um eine neue zu gründen. Mit seiner zweiten Frau bekommt er drei weitere Kinder, um die sich ab jetzt seine Welt dreht – Antonia und ihr Bruder interessieren ihn nur selten. Zwei ihrer Halbgeschwister werden sie niemals kennenlernen.

"Unsere Kindheit war geprägt von der Unzuverlässigkeit meines Vaters: unregelmäßige Unterhaltszahlungen und Kontaktabbrüche ohne Ankündigung. Wir hatten keine gemeinsame Zeit, in der wir eine Beziehung hätten aufbauen können", erzählt Antonia. Wenn sie über ihren Vater redet, wirkt sie neutral. So, als würde es um einen Fremden gehen. Keine Wut, keine Trauer – dafür viel Klarheit.

Wenn der Vater einem das Gefühl gibt, lästig zu sein

Während Antonias Bachelorstudiums zerbricht auch die zweite Ehe ihres Vaters nach einer Affäre, mit der er dann zusammenkommt. "Meine neue Stiefmutter war deutlich interessierter daran, unseren Vater, der nun wieder komplett ohne Kinder dastand, mit den Kindern aus seiner ersten Ehe zusammenzuführen", erinnert sich Antonia.

"Ich schätze die neue Freundin meines Vaters sehr. Sie war sein Sprachrohr und erledigte, was er versäumte."

Es begann eine Zeit von gemeinsamen Treffen, er half bei Umzügen und schickte Weihnachtsgeschenke. Dinge, die für andere Kinder selbstverständlich sind.

Das Problem: All das tat ihr Vater nicht Antonia zuliebe –sondern seiner neuen Freundin. “Ich sah bei meinem Vater immer einen genervten Blick. Ein Blick, den ich als Kind öfter gesehen hatte und nicht vermisste. Ein Blick, der einem das Gefühl gibt, jemandem lästig zu sein. Dieses Gefühl trage ich seit jeher in mir.

Finanzielle Abhängigkeit macht den Kontaktabbruch unmöglich

Der Kontakt nahm ab, worauf Antonias Vater mit unregelmäßigen Unterhaltszahlungen und willkürlichen finanziellen Kürzungen reagierte. "Das veranlasste mich dazu, netter zu ihm zu sein und öfter den Kontakt zu suchen", erklärt Antonia, die finanziell auf ihren Vater angewiesen war.

"Ich wollte meine Mutter entlasten, schließlich finanzierte sie auch noch das Studium meines Bruders." Antonias Vater wusste, wie er Geld geschickt als Druckmittel einsetzen konnte, um seine Tochter zu manipulieren.

"Von meinem Vater habe ich zu diesem Zeitpunkt außer Geld nichts mehr erwartet."

Also traf sie sich weiter mit ihm, reagierte auf seine Nachrichten, doch der Kontakt riss sie immer wieder runter. "Jedes Treffen hinterließ in mir Leere. Keine Fragen oder zumindest vorgegaukeltes Interesse."

Mit dem ersten Job änderte sich alles

Dann kam der Dezember 2017, in dem Antonia ihr Masterstudium in Hamburg beendete. Es ist auch der Monat, in dem sie ihren Vater zum letzten Mal sah. Nach dem Abschluss findet sie direkt eine Festanstellung bei einem großen Medien-Unternehmen. Damit ist zum ersten Mal in ihrem Leben finanziell unabhängig von ihrer Familie.

"Dieses Gefühl von Freiheit
ist für jedes Kind etwas Besonderes. Für mich tat
sich eine komplett neue Welt auf – eine Welt ohne meinen Vater."

Für den Job zieht Antonia zurück in ihre Heimatstadt Köln – und damit wieder näher zu ihrem Vater. "Einer Versöhnung hätte jetzt eigentlich nichts mehr im Weg gestanden". Eigentlich.

Denn statt ehrliches Interesse am Leben seiner Tochter zu zeigen, fragt er sie nach Kontoauszügen, die er bei Ämtern einreichen möchte und will ihr Wohnungen vermitteln, die angeblich zu seinem Vermögen zählen. "Das kam mir alles sehr dubios vor. Diese und viele weitere Gründe haben mich immer weiter darin bestätigt, keinen Kontakt mehr zu ihm haben zu wollen", erzählt Antonia.

Eine Abschiedsmail, die über Monate wuchs

In einer E-Mail formulierte sie ihre Gedanken und Gefühle ihrem Vater gegenüber. Monatelang schlummert sie in ihrem Postfach. "Ich habe die Mail immer wieder umformuliert und ergänzt. Doch einen richtigen Anlass, auf Senden zu klicken, gab es nicht." Bis zum Neujahr 2019.

Ihr Vater schrieb ihr eine Mail, in der er ihr ein frohes neues Jahr wünscht und um ein Treffen bittet, um sich auszusprechen. Die beiden hatten sich seit knapp einem Jahr nicht mehr gesehen und Antonia hatte die letzten seiner Nachrichten ignoriert.

"Ich habe mich nach dem Abschicken befreit gefühlt.
Ich hatte das Gefühl, mich von jahrelanger Missachtung zu emanzipieren. Dieser Schritt hat mich unglaublich stark gemacht."

Als Antonia die versöhnenden Worte ihres Vaters las, musste sie nicht lang überlegen und schickte die Mail ab, die die Beziehung zu ihrem Vater beendete. Plötzlich war alles klar: Der Gedanke, ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen, kam ihr unvorstellbar vor.

Ihr wurde bewusst, dass die Beziehung nicht mehr zu retten ist. Eine Antwort auf die E-Mail hat sie von ihm bis heute nicht bekommen.

"Mein Bruder war stolz auf mich"

Danach gefragt, ob sie den Kontaktabbruch heute bereut, muss Antonia kurz schmunzeln und wird dann ernst. "Ich bin ein Papa-Kind und habe viel von meinem Vater, mir fehlt dieser Teil. Doch der Mensch, der mein Vater geworden ist – oder schon immer war –, kann diese Leere nicht füllen. Daher gab es für mich keine Alternative, bis heute nicht."

"Ich würde jederzeit wieder genauso entscheiden. Ich vermisse meinen Vater nicht, weil ich ihn nicht kenne."

Ihr Bruder hat den Kontakt zum Vater schon Jahre zuvor abgebrochen – "als ich ihm von meinem Kontaktabbruch erzählte, war er erleichtert und stolz". Auch Antonias damaliger Freund und ihre Mutter empfanden den Schritt als längst überfällig. Doch nicht alle in der Familie standen hinter ihr.

Die enttäuschten Großeltern

Antonias Großeltern väterlicherseits sind nach wie vor enttäuscht von ihr und lassen sie das spüren. Beide hat sie seitdem nur einmal zu Weihnachten gesehen – das Thema wurde totgeschwiegen. Damit es keinen Streit gibt, haben sie Antonia und ihren Vater zum Fest zu unterschiedlichen Tagen eingeladen.

Auch der Opa mütterlicherseits kann ihre Entscheidung nicht verstehen und ergreift die Partei des Vaters – "mein Vater wusste schon immer, wie er meinen Opa manipulieren kann."

"Es steht ihnen frei, sich ihm als Eltern gegenüber loyal zu verhalten, das akzeptiere ich. Doch ich werde mich nicht mehr an einen Tisch mit ihm setzen."

Auch wenn es für Antonia anfangs schwer war, das Verhalten ihrer Großeltern zu verstehen und auszuhalten, hat sie damit ihren Frieden geschlossen.

Die Erleichterung über den Kontaktabbruch überwiegt: "Ich fühle mich seitdem so befreit. Wenn die Eltern meines Vaters mich deshalb nicht mehr bei sich als Gast begrüßen oder die Entscheidung nicht gutheißen, ist das nicht meine Sorge."

Viele können meine Entscheidung nicht verstehen

Wenn Antonia vom Kontaktabbruch erzählt, erntet sie oft Kritik. Viele sind fassungslos, wie sie so handeln konnte. Schließlich sei er doch ihr Vater und habe eine Versöhnung gewollt. Doch Antonia steht zu ihrer Entscheidung und möchte andere dazu ermutigen, sich von gesellschaftlichen Idealbildern von Eltern-Kind-Beziehungen zu befreien.

"Häufig werfen mir Kinder und Väter vor, ich hätte nicht so hart sein dürfen. Das kränkt mich nicht, weil ich weiß, dass Kinder aus funktionierenden Familien dieses Gefühl so nicht nachempfinden können."

Denn für sie steht fest: Ohne ihren Vater geht es ihr besser – auch wenn viele das nicht glauben können oder wollen. "Der Kontaktabbruch hat mich geprägt und gehört zu mir. Die Entscheidung ist mehr als 25 Jahre in mir gereift. Ob ich beim nächsten Mal wieder so lange bräuchte? Wahrscheinlich nicht. Aber dafür ist sie nun endgültig."

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