Nachhaltigkeit
Interview

Luisa Neubauer verteidigt Klimaprotest der "Letzten Generation"

Die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer spricht bei einer Protestaktion von Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future vor dem Schloss. Der Aufruf zum sogenannten Klimastreik erfolgte als ...
Klimaprotest hat laut Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer unterschiedliche Aufgaben – die Sicherheit von Menschen aber habe immer höchste Priorität.Bild: dpa / Jens Büttner
Interview

Luisa Neubauer verteidigt Klimaprotest: "Würden niemals Menschen in Unsicherheit bringen"

04.11.2022, 18:28
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Klimaproteste und ziviler Ungehorsam der "Letzten Generation" oder "Just Stop Oil" halten die Gesellschaft auf Trab. Die Diskussion dreht sich im Kreis. Und bei der Frage, wie weit Klimaprotest gehen darf, scheiden sich die Geister: Blockierte Autobahnen und Kreuzungen, Tomatensuppe und Kartoffelbrei auf Kunstwerken bekanntester Maler.

Aber was droht, wenn dieser Protest plötzlich ungeahnte Folgen mit sich bringt?

In den Niederlanden wurden zwei Aktivisten von "Just Stop Oil" zu zwei Monaten Haft verurteilt, weil sie das Gemälde "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" von Johannes Vermeer mit Tomatensoße beworfen und sich mit Klebstoff an der Schutzscheibe festgeklebt hatten. Die Rückseite des Bildes, der Rahmen und die Wand hätten dadurch leichte Schäden erlitten, wie das Museum bekannt gab.

Und in Berlin ist am Donnerstag eine Radfahrerin gestorben. Ihr Rettungseinsatz am Montag gestaltete sich laut der Polizei schwierig, da die Einsatzkräfte der Feuerwehr im Stau standen – wohl aufgrund der Klimaproteste der "Letzten Generation". Nach Einschätzung der behandelnden Notärzt:innen hatte der Stau der "Süddeutschen Zeitung" zufolge aber keine Auswirkungen auf die Rettung der verunglückten Radfahrerin.

BERLIN, GERMANY - MARCH 15: Climate activist Luisa Neubauer speaks at a FridaysForFuture climate protest march on March 15, 2019 in Berlin, Germany. According to organizers striking students took to t ...
Die Proteste von Fridays for Future mobilisieren Massen, wie Klimaaktivistin Luisa Neubauer erklärt.Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup

Watson hat mit der Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer darüber gesprochen, wie weit Klimaprotest gehen darf und ob sie genervt davon ist, dass nicht über das Klima diskutiert wird, sondern nur über die Art des Protests selbst.

Hinweis der Redaktion: Dieses Interview hat stattgefunden, bevor die verunfallte Radfahrerin schließlich für hirntot erklärt wurde. In diesem Zusammenhang sind die Antworten von Luisa Neubauer zu verstehen.

watson: Bei den Protesten der "Letzten Generation" gibt es mit einem Mal eine krasse Schlagzahl. Warum?

Luisa Neubauer: Weil die Klimakrise immer schlimmer wird und die Dringlichkeit zunimmt – wir können es uns nicht leisten, länger zu warten und nicht zu handeln. Ohne Druck aus der Öffentlichkeit gibt es keine Chance, unser Klima auch nur halbwegs zu stabilisieren.

"Wir würden durch unsere Proteste niemals Menschen kategorisch in Unsicherheit bringen."
Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer

Gibt es denn in deinen Augen Grenzen des Protests?

Wir als Klimabewegung stehen ein für friedlichen und gewaltfreien Protest. Das war schon immer so und das wird sich nicht ändern. Was für Konzepte hinter den Fridays-for-Future-Demos oder auch den Sitzblockaden stecken, bekommen die Menschen ja in der Regel mit, aber die Sicherheit wird bei solchen Aktionen immer mitgedacht. Wir setzen uns ja überhaupt nur für den Klimaschutz ein, damit wir Menschen sicherer leben können – und vor Krisen und Katastrophen geschützt werden.

Das heißt, die Sicherheit der Menschen ist auch bei euren Protesten ein wichtiger Punkt?

Ja. Wir würden durch unsere Proteste niemals Menschen kategorisch in Unsicherheit bringen. Und das ist uns auch wichtig, denn damit steht und fällt natürlich auch die Legitimation von unseren Protesten und auch denen der "Letzten Generation". Damit Menschen aber etwa im Straßenverkehr sicher sein können, sind wir auf alle anderen angewiesen, auch ihren Teil zu tun. Und derzeit – das ist die Lage – sind etwa Innenstädte für Fahrradfahrer:innen durch autofokussierte Verkehrsplanungen de facto nicht sicher genug.

Als wie sinnvoll empfindest du diese Aktionen, wenn immer mehr Menschen genervt sind – und es bei den Klimaprotesten ja eigentlich darum geht, die Leute von der Dringlichkeit und vom Klimaschutz zu überzeugen, damit sie mitziehen?

Ich glaube auch nicht, dass diese Art von Protest jetzt eine Maßnahme ist, die geeignet ist, um Mehrheiten zu generieren. Aber das muss auch gar nicht das Ziel von den Protesten der "Letzten Generation" sein. Mehrheiten zu schaffen, ist beispielsweise etwas, das Fridays for Future als Bewegung erfolgreich schafft und viel authentischer machen kann.

"Wir als Klimabewegung gehen auch arbeitsteilig vor: Manche schaffen Mehrheiten in der Öffentlichkeit, andere erhöhen den Druck auf die Politik."
FFF-Aktivistin Luisa Neubauer

Und worauf setzt die "Letzte Generation"?

Was die "Letzte Generation" macht, ist auf die Dringlichkeit einzugehen und durch ihre Aktionen das Thema wieder auf die Tagesordnung zu katapultieren. Und die Tatsache, dass wir jetzt wieder darüber reden, zeugt davon, dass das relativ gut klappt. Viele Leute machen sich das Leben ganz schön leicht, indem sie sagen, der Protest würde nicht wirken, weil das, was sie denken rauskommen müsste, nicht eintrifft.

Sondern?

Das muss gar nicht – nicht jeder Protest muss eine Mehrheit schaffen. Wir als Klimabewegung gehen auch arbeitsteilig vor: Manche schaffen Mehrheiten in der Öffentlichkeit, andere erhöhen den Druck auf die Politik.

Festgeklebt am Asphalt lösten Aktivist:innen einen Stau in der Berliner Innenstadt aus.
Festgeklebt am Asphalt lösten Aktivist:innen einen Stau in der Berliner Innenstadt aus. bild: watson / josephine andreoli

Nervt es dich, dass eher über die Art des Protests als die Klimakrise selbst gesprochen wird?

Das höre ich von den Medienvertreter:innen oft, und ich finde es ganz schön unehrlich.

Wieso?

Ohne die Proteste wird ja auch nicht über die Klimakrise gesprochen. Und welche Debatten die Aktionen anregen, entscheiden Gesellschaft, Bewegung und Medienwelt mit: Sprechen wir über die Aktivist:innen, die sich an Kunstwerke kleben, oder sprechen wir über die Klimakrise, die rasend schnell voranschreitet. Die Reports sind eindeutig, die Wissenschaft schreit so laut, wie sie kann – es gibt 1000 Gründe, über das Thema zu reden. Dass die Menschen, aber ja auch viele Medien, alles geben, um nicht über das Offensichtliche sprechen zu müssen, ist ja kein neuer Effekt, sondern etwas, das wir nur allzu gut kennen. Die Energie, die investiert wird, um bei alldem bloß nicht über das Offensichtliche zu sprechen, ist ungebrochen.

In den Niederlanden wurden zwei Aktivisten zu zwei Monaten Haft verurteilt, weil sie sich an das Gemälde "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" geklebt hatten. Was sagt eine solche Verurteilung über das System aus? Ist die Verurteilung gerechtfertigt, wo die Aktivist:innen doch mit aller Vehemenz nach Aufmerksamkeit für die Klimakrise schreien?

Überall auf der Welt wird gerade deutlich gemacht, wie paradox der Umgang mit der Klimakrise ist. Es ist bis heute bequemer, sicherer und gesellschaftlich anerkannter und folgenloser, die Klimakrise voranzutreiben, statt sich gegen sie zu stellen.

"Solange die Regierung sich nicht traut, Lebensgrundlagen so zu behandeln, als würde die menschliche Existenz von ihnen abhängen, wird es auch immer mehr Proteste geben."
FFF-Aktivistin Luisa Neubauer

Gibt es deiner Meinung nach noch immer zu wenig Protest?

Es gibt zu wenig politisches Handeln – und das ist ja erstmal die entscheidende Feststellung. Es gibt zu wenig Verständnis darüber, wie drastisch die Lage eigentlich ist. Und es gibt aktuell keine Instanz in der Regierung, die erfolgreich für Maßnahmen eintritt, die den 1,5-Grad-Pfad noch halten könnten. Genau wie im Finanzhaushalt darauf geachtet wird, dass die Haushaltsbilanz stimmt, müsste eine ökologische Bilanz verteidigt werden.

Wie in etwa sollte das dann aussehen?

Für neue fossile Infrastrukturprojekte wie Gaskraftwerke oder die Ausweitung der Kohlekraft bräuchte es belastbare Konzepte, wie dennoch die Klimaziele eingehalten werden. Und wenn das nicht möglich ist, kann es diese Projekte nicht geben. Aber solange das nicht passiert, und die Regierung sich nicht traut, Lebensgrundlagen so zu behandeln, als würde die menschliche Existenz von ihnen abhängen, wird es auch immer mehr Proteste und gesellschaftliche Spannungen geben.

Was würde das nach sich ziehen?

Menschen werden sich immer mehr missverstanden fühlen. Deswegen ist Klimaschutz auch immer eine demokratiefördernde Maßnahme. Das wäre auch eine sehr fühlbare Entlastung von Menschen, wenn es selbstverständlich wäre, dass Regierungen den Ernst der Lage anerkennen und entsprechend handeln. Diese großen Konflikte sollten nicht am Familientisch ausgetragen werden, sondern am Kabinettstisch.

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