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FIFA 22: Insider verraten, wie hart der Weg zum Profi eSportler wirklich ist

LONDON, ENGLAND - FEBRUARY 10: Lev Vinken (FaZe Lev) of FaZe clan competes in the Finals of the FIFA eClub World Cup 2019 - Knockout Stage & Final on February 10, 2019 in London, England (Photo by ...
Das Finale des FIFA eWorldCup mit dem Niederländer Lev Vinken fand in der Londoner O2-Arena statt. Den Titel und das Preisgeld von 250.000 Euro gewann vor zwei Jahren der Bremer Mohammed "MoAuba" Harkous.Bild: Getty Images Europe / Clive Rose
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FIFA 22: So wirst du eSportler und machst dich für Vereine unverzichtbar

02.10.2021, 11:59
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Marvin Hintz und Erhan Kayman haben sich schon darauf eingestellt, dass ihr E-Mail-Postfach am Freitagabend oder spätestens am Samstag ziemlich voll sein könnte.

Denn mit der offiziellen Veröffentlichung des Fußball-Simulators FIFA 22 wird auch in vielen Wohn- und Kinderzimmern plötzlich der Gedanke reifen, dass man gut genug ist, um es als eSportler ganz nach oben zu schaffen und damit seinen Lebensunterhalt als Profi zu verdienen.

Hintz, fünffacher Deutscher Vizemeister mit Bayer Leverkusen, und Kayman, Deutscher Meister bei PES 2014, FIFA16 und FIFA 20, haben genau diesen Traum über viele Jahre gelebt.

"Ich glaube, dass viele Gamer noch gar nicht so genau wissen: 'Wo muss ich überhaupt hin, um jetzt eSportler zu werden."
Ex-eSportler Marvin Hintz

Jetzt wollen sie mit ihrer "Academy of eSports" dafür sorgen, dass sich auch andere genau diesen Traum erfüllen können. Doch der weite Weg dorthin wird von vielen unterschätzt. Es reicht nicht, einfach gut FIFA spielen zu können, um dann von einem der 26 Vereine der 1. und 2. Bundesliga in ihre Teams in der Virtual Bundesliga aufgenommen zu werden – und auch Frauen haben in der FIFA eSports-Szene noch einen schweren Stand.

"Mix aus Nachwuchsleistungszentrum und Beraterfirma"

Der 25-jährige Hintz bezeichnete die Academy in einem Interview mit dem "kicker" vor einigen Monaten als einen "Mix aus Nachwuchsleistungszentrum und Beraterfirma."

Diese beiden Dinge gibt es auch im echten Fußball-Business, doch dort würde es nie zu dieser Vermischung kommen. Die Nachwuchsleistungszentren (NLZ), die jeder Profi-Klub in Deutschland betreiben muss, sind die Talentschmieden für das eigene Team. Hier sollen die Stars von morgen gefordert und gefördert werden.

Berater hingegen genießen keinen guten Ruf. Viel mehr wird ihnen oft vorgeworfen, selten zum Wohl ihres Spielers zu handeln und stattdessen nur auf die nächste große Provision aus zu sein.

"Ich möchte andere Frauen und Mädchen inspirieren, auch mutig zu sein und in vermeintliche Männerdomänen einzudringen."
eSportlerin Lena Güldenpfennig

Ähnlich, aber noch nicht in den Ausmaßen wie im bezahlten Profi-Fußball, stellt sich das auch im eSports dar. "Wir haben gemerkt, dass viele junge Spieler einen vertrauenswürdigen Ansprechpartner brauchen. Und ich glaube, da haben die Jungs mit unseren ehemaligen Karrieren ein großes Vertrauen zu uns", erzählt Marvin Hintz im Gespräch mit watson.

Doch, dass sich immer mehr unseriöse Berater im eSports tummeln, ist auch ein Zeichen dafür, dass mittlerweile einige Leute gemerkt haben, wie viel Geld sich dort verdienen lässt. Laut einer Prognose des Statistikportals "statista" wird der Umsatz des eSports im Jahr 2024 bei 152 Millionen Euro liegen.

Berufliche Ausbildung steht
im Vordergrund

Das Konzept des NLZ und der Nachwuchsförderung findet aktuell in kleinen Schritten Einzug in den eSports. Gerade da der FIFA eSports Wettbewerb erst seit 2017 richtig wächst, sei es den Vereinen zunächst darum gegangen, überhaupt gute FIFA-Spieler in ihrem Team zu haben.

Aktuell gibt es mit Werder Bremen und Hertha BSC zwei Vereine, die bewusst ihre eigene Nachwuchsakademie gegründet haben, um junge Gamer zu fördern. Ein ähnliches Ziel verfolgen Hintz und Kaymann auch – nur eben mit dem Fokus auf die persönliche Entwicklung. Sie geben zwar hin und wieder Tipps, doch trotz ihrer persönlichen Erfolge übernehmen sie nicht das wöchentliche Training ihrer Schützlinge.

"Wenn du FIFA wirklich auf einem guten Niveau spielen willst, brauchst du einen freien Kopf. Und wenn du beispielsweise in der Schule nicht so gut bist, dann wird es schwierig, dass du auch in FIFA gut performst."
Ex-eSportler Erhan Kayman

"Ich glaube, dass viele Gamer noch gar nicht so genau wissen: 'Wo muss ich überhaupt hin, um jetzt eSportler zu werden?' Wir stehen mit den Vereinen im Kontakt und schauen dann, ob es vielleicht passt", erklärt Marvin Hintz.

Wichtig ist dem Duo aber dabei auch immer, dass ihre Spieler nicht den Blick auf das richtige Leben verlieren. Denn: "Wenn du FIFA wirklich auf einem guten Niveau spielen willst, brauchst du einen freien Kopf. Und wenn du jetzt beispielsweise in der Schule nicht so gut bist, dann wird es schwierig, dass du auch in FIFA gut performst", sagt Erhan Kayman gegenüber watson.

12.05.2019, xlakx, Esports VBL, Grand Final - in Berlin 2019 emspor, v.l.Erhan DrErhano Kayman, E-Sportler, steht beim �Grand Final� der Virtual Bundesliga (VBL) im Westhafen Event & Convention Ce ...
Erhan Kayman (r.) während des FIFA Grand Final 2019. Bild: www.imago-images.de / bJan Huebner/Lakomski

"Wir versuchen die Jungs auf den Weg zu bringen, dass sie neben dem FIFA spielen auch ein Studium oder eine Ausbildung angehen", fügt er hinzu.

Karriere kann schnell abstürzen

Und so manche FIFA-Karriere ist auch schon innerhalb eines Jahres zwischen den verschiedenen Teilen steil bergab gehen. Das weiß Erhan Kayman aus eigener Erfahrung.

Denn von Jahr zu Jahr würden sich die FIFA-Spiele und die Most Effective Tactics Available (META) extrem verändern. So kann es sein, dass ein Top-Ten-Spieler plötzlich nur noch zu den besten 100 gehört.

"Ich war in FIFA 19 auf bei Platz 13 der Welt und in FIFA 20 dann nur noch 200 und in FIFA 21 nur noch zwischen Platz 300 und 400", erzählt Erhan, der im Anschluss seine Karriere beendete. Den eigentlich gilt es, nach jedem Ranglisten-Absturz im kommenden Jahr noch härter zu arbeiten, um wieder aufzusteigen. Daher seien Trainingsfleiß und enorme Disziplin die wichtigsten Eigenschaften auf dem Weg zu einer erfolgreichen Karriere. Aber das sei eine extrem schwierige Aufgabe, erklärt der 30-Jährige.

Gerade in dieser Hinsicht versuchen die beiden mit ihren Schützlingen viel im mentalen Bereich zu arbeiten. Denn eSports sei nicht einfach nur ein bisschen zocken, sondern körperlich und mental enorm fordernd.

"Es ist unglaublich, welchen psychologischen Widrigkeiten man als Spieler ausgesetzt ist. Allein, wenn man während der Saison mal zwei, drei Turniere nicht so gut performt. Das ist eine extreme Belastung für den Kopf."

Social-Media-Auftritt und FIFA-Skills müssen zusammenpassen

Auf der Suche nach neuen Talenten sprechen Kayman und Hintz gezielt Talente bei Turnieren an oder werden auf Gamer aufmerksam, die ihre Ergebnisse über ihre die Social-Media-Kanäle teilen.

Doch es gibt auch die Option, sich initiativ über die Webseite der Academy bei dem Duo zu bewerben. "Es gibt mittlerweile so viele krasse FIFA-Spieler und es kommen sehr viele Bewerbungen rein, aber am Ende schaffen es nur ganz wenige", dämpft Kayman die Erwartungen.

Dabei sind zwei Dinge wichtig: die Leistungen in der Fußball-Simulation und die Affinität zu Social Media.

"Weil die beiden Faktoren im eSports sehr wichtig sind. Wenn du sportlich sehr gut bist, aber auf Social Media gar nicht aktiv und kein Interesse daran hast, dort Präsenz zu zeigen, dann wird es schwierig, dich an einen Verein zu vermitteln", berichtet der dreifache Deutsche Meister Kayman. Zudem würden die Vereine auch immer häufiger auf eine gewisse regionale Verbundenheit der Spieler achten.

"Es ist unglaublich, welchen psychologischen Widrigkeiten man als Spieler ausgesetzt ist"
Erhan Kayman, zweifacher Deutscher Meister in FIFA

Denn mittlerweile haben auch die Vereine festgestellt, dass sie durch eSports eine komplett neue Zielgruppe ansprechen können. Wenn die eSports-Teams ihre neuen Spieler vorstellen, liest man immer häufiger, dass sie auch als "Content Creator" für den Verein arbeiten und nicht nur FIFA spielen, sondern zusätzliche Inhalte auf der Streamingplattform Twitch, bei Youtube oder Instagram produzieren.

"Digitale Reichweite ist für Fußballvereine mittlerweile ein sehr wichtiger Faktor. Mit ihrem eSports-Engagement möchten sie eine junge Zielgruppe ansprechen und dadurch im besten Fall neue Fans generieren. Das ist dann ein perfekter Mix für den Verein, wenn jemand in beiden Bereichen sehr gut ist", sagt Kayman.

Anzahl von Frauen in FIFA-eSports-Szene gering

Eine Zielgruppe, die bisher kaum bis gar nicht angesprochen wird, sind Frauen. Bei einem Blick auf die eSport-Teams gibt es nur wenige Gamerinnen, die in der Virtual Bundesliga (VBL) antreten. "Es ist ein Fußballspiel, das häufig einfach von Jungs und Männern gespielt wird. In anderen eSports wie "Counter Strike" oder "Valorant" gibt es sogar Female Leagues, weil das häufiger von Frauen gespielt wird als FIFA", spekuliert der dreifache Weltmeister Kayman. In ihrer Anfangszeit seien bei den Turnieren auch gar keine Frauen dabei gewesen, erinnert sich Marvin Hintz zurück.

"Aber ich glaube, in den kommenden zwei, drei Jahren werden einige nachkommen. Generell merkt man jetzt auch in der Streaming-Branche, dass viele Frauen jetzt noch dazukommen, die dann vor der Kamera sitzen und zocken", ergänzt er.

Eine von ihnen ist Lena Güldenpfennig, die im Team "RBLZ Gaming", der Mannschaft von Bundesligist RB Leipzig spielt. Sie war die erste Frau, die im März in der VBL eine Partie absolviert hat. "Das war schon etwas Besonderes für mich, da es ein Riesenecho gab und mir bewusste wurde, dass ich eine Verantwortung trage", erzählt die 20-Jährige gegenüber watson.

Lena Güldenpfennig spielt bei RB Leipzig im eSports-Team und in der Frauenmannschaft.
Lena Güldenpfennig spielt bei RB Leipzig im eSports-Team und in der Frauenmannschaft.bild: RBLz gaming

Ihre Rolle als Pionierin im FIFA eSports hat sie daher schnell angenommen. "Ich möchte andere Frauen und Mädchen inspirieren, auch mutig zu sein und in vermeintliche Männerdomänen einzudringen. Denn meistens ist der Respekt vor dem ersten Schritt in diese Richtung die größte Hürde."

Damit es aber noch mehr Frauen werden, möchte sie mit ihrem Engagement einen Stein ins Rollen bringen. "Denn gerade beim Thema Videospielen spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass Frauen genauso gut sein können – oder besser sind als Männer", sagt sie lachend.

Doch Güldenpfennig ist nicht nur im virtuellen Fußball talentiert, sondern spielt auch für die zweite Mannschaft von RB Leipzig in der Regionalliga Nordost. Zudem absolviert sie neben ihrer eSports-Karriere eine Ausbildung.

26 Bundesligisten nehmen an virtueller Bundesliga Club Championship teil

Doch egal, ob es nun eSportlerinnen oder eSportler sind: in der Öffentlichkeit wird eSports häufig noch unterschätzt. Laut Güldenpfennig würden die Leute immer noch zu schnell in ein Schubladendenken verfallen.

"eSportler sitzen in der dunklen Kammer, essen Chips und trinken Cola und zocken die halbe Nacht durch. Wer sich aber anschaut, wie professionell die Szene mittlerweile geworden ist – beispielsweise mit Spiel- und Gegneranalysen, Fitnesstraining, Ernährungsberatung – merkt schnell, dass wir hier von Leistungssport sprechen", berichtet Güldenpfennig.

"Es gibt mittlerweile so viele krasse FIFA-Spieler, aber am Ende schaffen es nur wenige"
Ex-eSportler Erhan Kayman

Gerade durch die Corona-Pandemie habe eSports aufgrund der finanziellen Engpässe aber nicht in allen Vereinen allerhöchste Priorität genossen. Dennoch hat die von der Bundesliga ins Leben gerufene "#stayatHome"-Challenge im April 2020 dafür gesorgt, eSports weiter in den Fokus der Fußballfans zu rücken. Denn während des mehrwöchigen Turniers traten Fußballprofis gegen eSportler an und sorgten in der Zeit ohne Live-Spiele für ein wenig Ablenkung.

Und obwohl es noch reichlich Potenzial gibt, die eigene digitale Reichweite zu erhöhen und die Teilnahme an der virtuellen Bundesliga von der Deutschen Fußball Liga (DFL) gefördert wird, nehmen noch nicht alle Teams der 1. und 2. Liga daran teil.

"Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die virtuelle Bundesliga Club Championship erst 2018 gestartet ist und mittlerweile 26 von 36 Teams dabei sind. Ich bin mir sicher, dass in zwei bis drei Jahren alle Bundesligisten dabei sein werden. "

Und dann auch mit Spielern, die in der eSports-Academy von Marvin und Erhan ausgebildet wurden.

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