Nach Putins Teilmobilisierung verlassen immer mehr junge Männer das Land. Wie geht es für den Kreml-Chef weiter? Wie sollte der Westen reagieren? Wie lange können die Menschen in Deutschland noch den Druck der Sanktionen bewältigen? Für die Debatte rund um diese Themen hat Sandra Maischberger sieben Gäste eingeladen.
Heute im Studio anwesend:
Im Gespräch mit dem ehemaligen Russland-Botschafter Rüdiger von Fritsch und dem Chefredakteur des Kreml-kritischen Fernsehkanal Doschd Tichon Dsjadko, bespricht Sandra Maischberger die aktuellen Bilder aus Russland. Sieben Monate nach Kriegsbeginn haben sich Szenarien entwickelt, mit denen Putin niemals gerechnet hat: Seine eigenen Leute fliehen vor ihm und seinen Oppressionen. Er habe einen wichtigen Pakt gebrochen, erklärt Dsjadko. "Es war eigentlich so: Ihr haltet euch aus der Politik raus und wir lassen euch in Ruhe", führt der Regierungskritiker weiter aus.
Mit der Teilmobilisierung würde Putin der russischen Bevölkerung enorm viel zumuten. Die Frage, ob und wie die Ausreise der flüchtigen Russen toleriert werden kann, bleibt ungeklärt. Da Putin den Krieg gegen die Ukraine nicht als Krieg betitelt, sondern als Sonderoperation, kann er kein Ausreiseverbot ausrufen. "Für ein Ausreiseverbot ist der Kriegszustand nötig", so Rüdiger von Fritsch. Es gebe jedoch andere Optionen, wie Putin die Leute von der Ausreise stoppen könnte. "Da muss er sich noch was überlegen."
Der Journalist Tichon Dsjadko befürwortet die Ausreise der Männer, sie seien die "Bündnisse der zivilisierten Welt". Darüber hinaus sei es besser, wenn sie aus dem Land flüchten und somit nicht in den Krieg ziehen.
Dass sich die Bevölkerung gegen die eigene Regierung stellt, sei recht unwahrscheinlich, berichtet von Fritsch. Die Situation werde jedoch immer unvorhersehbarer und alles sei möglich.
Die Bevölkerung würde sich zwar nicht gegen Putin stellen, man sieht dennoch immer mehr Menschen protestieren. "Werden Proteste jetzt was ändern?", fragt Maischberger. Es sei zu früh für eine Einschätzung, antwortet Dsjadko. Putin sei jetzt jedoch instabiler und die Situation werde für ihn immer schwieriger. Er habe im Februar nicht mit so einem langen Krieg und einer starken ukrainischen Armee gerechnet. Abgesehen davon würden die Sanktionen des Westens der russischen Wirtschaft massiv schaden.
Sollte sich die gesellschaftliche Situation um Putin verschlechtern, schließt der ehemalige Russland-Botschafter Rüdiger von Fritsch eine starke Opposition und Massenbewegung nicht aus. Dennoch dürfe man die Macht von Putin nicht unterschätzen. Er handele nämlich in seiner eigenen Rationalität.
Wenn er militärisch nicht weiterkommt, weil die Ukraine weiter Teile zurückerobert und der Westen ohne sein Gas auskommt, müsse er zu anderen Optionen greifen und eventuell im eigenen Land einen Sieg verkünden und der Ukraine einen Waffenstillstand anbieten. Aber zu russischen Konditionen, was die Ukrainer nicht akzeptieren würden, so von Fritsch.
In der Ostsee wurden drei große Lecks an den Nord-Stream-Pipelines festgestellt. Die Bundesregierung gehe von einem gezielten Angriff aus. Die Ökonomin Veronika Grimm deutet auf eine erhöhte Problematik bezüglich des Gassparens hin. "Wir müssen trotzdem Gas sparen und es darf keine Gasmangellage entstehen." Unmittelbar nach den mutmaßlichen Detonationen in der Ostsee sei der Preis für Gas gestiegen, so Grimm. Eine Unabhängigkeit von russischem Gas sei jetzt wichtiger denn je.
Für die Bevölkerung in Deutschland hat die Gasproblematik schwerwiegende Folgen und die Bundesregierung macht es mit ihrer Planlosigkeit und Unordnung rund um eine Gasumlage nicht einfacher. Diese war lange geplant, sollte eigentlich zum 1. Oktober in Kraft treten und wird jetzt doch vor der Einführung abgeschafft. Das verkündete der Finanzminister Christian Lindner.
"Man hätte die Menschen niemals so verwirren dürfen", sagt der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider. Er warnt vor einer massiven Krise für die unteren 40 Prozent der Bevölkerung. Diese hätten in der Regel "keinen Cent Erspartes" und werden die erhöhten Strompreise nicht zahlen können. "Zwei Millionen Menschen gehen regelmäßig zur Tafel. Das machen sie nicht aus Geselligkeit, sondern aus Hilflosigkeit", berichtet Schneider.
Ulrich Schneider plädiert für Direktzahlungen an die 40 Prozent der Bevölkerung. Diesen Menschen würde es nämlich wirklich schlecht gehen. Es nütze ihnen nichts, wenn Hartz 4 um 50 Euro erhöht wird, so Schneider. Bei den Entlastungspaketen solle Geld nur an die ausgezahlt werden, die es wirklich benötigen. So könne der mittleren Hälfte wirksam geholfen werden. In diesem Kontext kritisiert er den Bundesfinanzminister, welcher sich bei solchen Vorschlägen eher kontraproduktiv zeigt.
Die vorgeschlagenen Direktzahlungen seien schwer umzusetzen, erläutert Grimm. Es bedürfe viel Arbeit herauszufinden, wer zu den unteren 40 Prozent gehört, um diese mit Direktzahlungen zu unterstützen. Schneider findet diese Begründung unzulässig. "Das kann ich nicht akzeptieren", sagt Ulrich Schneider über das Argument von Veronika Grimm. Der Staat könne Bürger mit Direktzahlungen wohl erreichen, denn von fast allen kenne der Staat die Bankdaten. Alle anderen könnten selbstständig Anträge stellen. Er ist sich sicher: Zielgerichtete Zahlungen sind das richtige Instrument. Gleichzeitig fügt er in Richtung Lindner an: "Solange Lindner auf die Finanzbremse tritt, wird sich nichts tun."