
bild: zdf / sascha baumann
Interview
watson-Redakteurin Christina zur
Nedden schrieb zum Start der 2. Staffel einen Kommentar. Annette Hess, Drehbuchautorin der ZDF-Serie,
meldete sich daraufhin bei uns.
28.03.2018, 09:4811.06.2024, 11:48
watson: Frau Hess, die Ku'damm-Hauptdarstellerin Monika ist eine Kämpferin. Sie tanzt gegen den Willen ihrer Mutter Rock n' Roll und deckt die Nazi-Vergangenheit ihrer Eltern auf. Doch die Vergewaltigung durch
Joachim lässt sie durchgehen und macht ihm später sogar einen Heiratsantrag.
Wieso verhält sie sich so?
Annette Hess: Mir
war es wichtig, die Geschichte eines Verzeihens zu erzählen. Und darüber
hinaus, dass nicht nur verziehen wird, sondern dass das Opfer den Täter sogar
lieben kann. Ich habe mich viel mit posttraumatischer Belastungsstörung bei
sexueller Gewalt beschäftigt und mit Menschen gesprochen, denen so etwas
wiederfahren ist. Und ich kam dabei zu dem Schluss, dass das einzige, was hilft,
das Verzeihen ist, um aus dieser Opferrolle rauszukommen. Das ist meine
persönliche Meinung, aber auch viele Therapeuten arbeiten nach diesem Ansatz. Mich
hat dazu besonders die Autobiographie von Ursula Buchfellner beeindruckt: "Lange war ich unsichtbar. Wie Versöhnung mein Leben rettete".
Auf diesen Kommentar reagiert Annette Hess:
Das heißt: Monika
hatte keine andere Möglichkeit als zu verzeihen?
Auch das. Vor allem in den 50er Jahren, in denen die Serie
spielt. Vergewaltigung war ein absolutes Tabu-Thema. Wenn eine Frau
vergewaltigt wurde, hatte sie halt Pech gehabt. Als wäre sie in
Hundekacke getreten. Vor allem in einer Ehe gab es Vergewaltigung im
offiziellen Sprachgebrauch nicht. Die Männer nahmen sich, was ihnen
gesetzlich zustand.
Es gab sogar Ratgeber, wie Frauen ihren Männern vorgaukeln können, dass sie Vergewaltigung schön finden. Es war ganz schlimm.
Hätte Monika heute
anders reagiert und Joachim angezeigt?
Nicht unbedingt. Es ist auch heute noch sehr schwer, zur
Polizei zu gehen, selbst wenn da eine psychologisch geschulte weiblicher
Beamtin sitzt. Dann werden die Fragen irgendwann sehr unangenehm: "Wo war die
Hand, war sie vorne, war sie hinten? Sie haben doch eben noch gesagt.. usw.".
Dem Opfer wird auch heute noch misstraut. Es durchlebt das Trauma nochmals,
da hat sich heute nicht viel geändert. Man muss sehr stark sein und unterstützt
werden, wenn man das anzeigt.

Monika (Sonja Gerhardt), stehend, neben ihrer Mutter und den beiden Schwestern.Bild: ZDF/ stefan erhard
Nach der
Vergewaltigung bittet Joachim Monika um ein Treffen. Sie gehen ins Kino und als
er sich ihr nähert, sticht sie ihn mit einem Messer in den Bauch. Eine Folge
später knutschen sie verliebt und haben einvernehmlich Sex miteinander. Gab es
den einen Moment, in dem Monika Joachim vergibt?
Als Joachim im Krankenhaus liegt, sagt sie ihm, was er ihr angetan hat: Dass sie Panikattacken hat,
Berührungen nicht aushält und jede Nacht Albträume durchlebt. Und dann gibt es
einen Moment, in dem er sie fragt, ob er sie in ihrer Schwangerschaft unterstützen kann, was ja sowas heißt wie: "Wie kann ich das wieder gut
machen?" Und dann schlägt ihre Mutter ihr vor, das zu instrumentalisieren und
zu sagen, das Kind sei von ihm. Das will sie auch zunächst tun, sie will ihn
benutzen. Doch als sie ihm gegenüber steht und er so offen zu ihr ist und ihr
sagt, dass sie die erste Frau ist, die ihm etwas bedeutet, kann sie ihn nicht
mehr hintergehen und sagt ihm die Wahrheit. Das ist für mich der Moment
der Katharsis.
Obwohl es ungeheuerlich ist, dass sie vergewaltigt wurde, kann sie mit diesem Menschen eine Sexualität haben, die frei ist von dieser Belastung.
Annette Hess
Sie ist nicht mehr das unmündige Opfer vom Anfang, sondern weiß, was sie will. Sie ist stark – wie Phönix aus der Asche - aus diesem Trauma hervorgegangen. Es war uns aber allen bewusst, dass dies eine Gratwanderung ist.
Haben sich die
Zuschauer darüber aufgeregt?
Das interessante ist, dass es für 90 Prozent der Zuschauer
überhaupt kein Problem war. Ich war selber überrascht. Die meisten wollten,
dass Monika und Joachim zusammen kommen, sie wollten ein "Happy End". Dazu
beigetragen hat natürlich auch, dass es Sabin Tambrea gelungen ist, die
Vielschichtigkeit und Charakterentwicklung von Joachim so großartig und glaubhaft
darzustellen.
Da reagieren Opfer
von sexueller Gewalt doch sicher anders?
Die meisten Opfer von sexueller Gewalt, mit denen ich gesprochen habe oder die die Serie gesehen haben, konnten da nicht mitgehen. Für sie war die Handlung undenkbar.
Vielleicht ist diese Ansicht aber auch der
Kürze der Zeit geschuldet, es war eine Fernsehserie und kein 600-seitiger Roman,
in dem man die Entwicklungen der Charaktere besser hätte ausführen können. Eine
Person, die sexuelle Gewalt erfahren hat,
sagte mir aber, ihr habe gefallen, dass man Monika ja nicht vorschreiben
kann, wie sie als Vergewaltigungsopfer zu reagieren hat. So nach dem Motto: "Das kannst du doch nicht machen."
Sie haben sich viel
mit Traumabewältigung beschäftigt. Nur zu Recherche-Zwecken für "Ku’Damm" oder
auch aus persönlichen Gründen?
Beides. Ich bin auch in meinem Umfeld damit konfrontiert.
Dazu kommt, dass ich zwei Töchter habe, sie sind 18 und 20 Jahre alt. Ich sorge mich um
sie und beschäftige mich immer wieder mit männlicher Gewalt. Ich finde es ganz
schrecklich, dass ich keine dunkle Straße entlanggehen kann, ohne Angst zu haben.
Ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich dem begegnen kann, wie man sich
davon lösen kann. Indem man Männer dämonisiert, kann man es nicht. Dadurch
können Frauen keine Stärke entwickeln sondern nur Angst.
Mir gefällt daher auch dieser Ausruf #metoo überhaupt nicht, da es die Opferrolle der Frauen wieder und wieder betont. So kommen wir da nicht raus, im Gegenteil wird so die vermeintliche Schwäche der Frau manifestiert.
Ist Vergewaltigung wirklich verzeihbar?
Vor allem in Beziehungen geschieht das ja oft, jedenfalls oberflächlich. Frauen, die sich schwören, dass sie sich trennen, bleiben bei ihren Männern und hoffen auf Besserung. Viele Frauen (und ein kleiner Teil Männer) verdrängen Gewalt und machen das jahrelang mit.

Sonja Gerhardt (Monika) zwischen Trystan Pütter (Freddy, mit Hut) und Sabin Tambrea (Joachim) am Set von "Ku'damm 59".Bild: dpa
Ich schrieb in meinem
Kommentar, die Vergewaltigung werde verharmlost, indem sie zum Beispiel in
Staffel 2 nicht mehr angesprochen wird. Was sagen Sie dazu?
Nein, die Vergewaltigung wurde nicht verharmlost. Im
Gegenteil. Es war uns wichtig, sie drastisch und realistisch zu schildern. Das
waren lange, intensive Diskussionen mit dem Regisseur Sven Bohse und der ZDF-Redaktion. Man hätte
es sich ja einfach machen können und es nicht so deutlich zeigen
müssen.
Man sieht eine junge Frau, die vergewaltigt wird und sich danach umbringen will. Wir verharmlosen nicht, wir verzeihen.
Ein Mensch ist nicht für immer schlecht, wenn er ein Verbrechen
begangen hat, deswegen haben wir ja auch keine Todesstrafe. Menschen ändern
sich. Das ist im übrigen auch ein christlicher Gedanke. Man verzeiht, wenn
jemand wirklich bereut.
Und trotzdem
entschuldigt sich Joachim nie bei Monika.
Das war in den 50er Jahren so. Die meisten Männer waren so
erzogen, dass sie sich nicht entschuldigen konnten, genauso wenig wie sie über
ihre Gefühle sprechen konnten. Aber Joachim zeigt Reue, indem er immer wieder
Monikas Nähe und das Gespräch mit ihr sucht und ihr Hilfe anbietet.
Eine Szene hat mich
überrascht. Als Monikas Schwester Eva misshandelt wird und man nicht weiß, wer
es war, wird mit der Möglichkeit gespielt, dass Joachim der Täter ist. Auch weil er
durchaus gewalttätig ist, sie von sich wegstößt, woraufhin sie fällt. So
verändert ist er dann also doch nicht. Warum diese Szene?
Es ist interessant, wie tendenziös diese Szene wahrgenommen
wird. Die Frau kann nur das Opfer sein. Aber schauen Sie sie noch einmal an:
Eva geht Joachim massiv an, greift ihm zuerst zwischen die Beine. Das muss man
sich mal umgekehrt vorstellen. Jede Frau würde den Mann auch zurückstoßen. An
der einseitigen Wahrnehmung kann man sehen, wie in unseren Köpfen diese Rollen
festsitzen. Und an der Szene, in der Monika Joachim misstraut und überlegt, ob
er es war oder nicht, habe ich lange gesessen und auch überlegt, ob er etwas
sagen könnte wie: "Ja, so wie du mich kennengelernt hast, ist ja klar, dass du
denkst, dass ich es war". Aber wir haben
es dann rausgelassen, obwohl es sicher immer ein Thema bleiben wird zwischen
den beiden.
Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass sie dann in den 70er Jahren, in denen in Ehen gestritten wurde wie nie zuvor, darüber reden, wie sie sich kennengelernt haben. Das ist ja nicht weggewischt, das ist immer noch da.
Und dann gibt es ja
doch noch ein Happy End und die beiden heiraten.
Das stimmt, aber es ist ein bittersüßes Happy End. Das
gefällt mir, denn so ist es im Leben: Das ideale Paar gibt es meiner Meinung
nicht. Und gerade in den 50er Jahren, als die Machtverhältnisse zwischen Frau
und Mann noch viel ungerechter verteilt waren als heute, waren alle Hochzeiten
bittersüß.