Ein Bürokratieabbau soll her. Es ist die alte Leier. Seit Jahren, nein schon seit Jahrzehnten, wird der Bundesregierung vorgeworfen, sich selbst in den Abgrund zu regeln. Es herrscht Überdruss beim Thema Bürokratie.
Für alles braucht es einen Antrag, ein Formular. Es fängt im Kleinen an: Man denke an die bloße Pflicht, sich an seinem aktuellen Wohnsitz anzumelden. Weiter geht es beispielsweise mit der Notwendigkeit eines Kindergartenplatzes für den Nachwuchs oder ganz simpel: der jährlichen Steuererklärung. Vermeintlich simpel zumindest.
"Bürokratieabbau ist eine Daueraufgabe", sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in einem Statement in Meseberg im Sommer dieses Jahres.
Allein die Bürger:innen kostete die Erfüllung aller bürokratischer Vorgaben im vergangenen Jahr 103 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Zumindest die dafür aufgewendeten Stunden sanken im Vergleich.
Und trotzdem: Der bürokratische Aufwand ist immer noch enorm hoch. Das beschreibt die Bundesregierung in ihrem Jahresbericht zum Bürokratieabbau. Eine nie enden wollende Daueraufgabe, wie es scheint.
Das ist auch an der Anzahl der bisher auf den Weg gebrachten sogenannten Bürokratieentlastungsgesetze (BEG) zu sehen: In Meseberg wurde im Sommer das vierte seiner Art diskutiert, die vorgelegten Eckpunkte von Buschmann dafür wurden beschlossen. Damit setzt die Regierung ein Vorhaben aus ihrem Koalitionsvertrag um – und will einen wesentlichen Abbau bürokratischer Hürden erwirken.
Doch um dem Problem wirklich auf den Grund zu gehen, muss ein Blick in die Behörden selbst geworfen werden, die vor Genehmigungsverfahren und einzuhaltenden Vorschriften beinahe ertrinken.
Es gibt kaum einen Bereich, der nicht von zu viel Bürokratie betroffen ist, kaum ein:e Minister:in, der oder die nicht darüber klagt. Dennoch wird mit jedem Gesetz noch mehr Bürokratie mitbeschlossen.
Forscher:innen des Basler Prognos-Instituts des Centrums für Europäische Politik in Freiburg und des italienischen Csil-Instituts kommen in einer Studie zu dem Schluss, dass nationale Behörden in der EU ohne Notwendigkeit die bürokratischen Vorgaben aus Brüssel verschärfen.
(Ein Wermutstropfen: Frankreich und Österreich lagen in dieser Untersuchung noch vor Deutschland – sie forderten sogar noch mehr Formulare an, die gar nicht vorgeschrieben wären.)
Dieser Tage ist der Schrei nach weniger Bürokratie besonders laut. Wen man auch fragt, jede:r zeigt sich genervt vom Bürokratiemonster Deutschland. Tatsächlich kam in diesem Jahr etwas ins Rollen. Von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, über Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (EVP) bis hin zu Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): Sie berufen Gremien ein oder machen sich für Gesetze zum Bürokratieabbau stark. Wie etwa das Bürokratieentlastungsgesetz.
Also mehr Bürokratie, um Bürokratie abzubauen.
Rund 30 Maßnahmen sollen einen Abbau von bürokratischen Hürden bringen. Eine Übersicht der Initiativen stellte die Bundesregierung erst im Oktober vor. "Es gibt momentan ein Gelegenheitsfenster, eine große Aufmerksamkeit aus der ganzen Breite der Gesellschaft", wird Benjamin Strasser (FDP) etwa von der "FAZ" zitiert. Er koordiniert den Bürokratieabbau in der Regierung.
Doch es wäre falsch, die Schuld etwa übereifrigen Politiker:innen oder praxisfernen Bürokrat:innen zuzuschreiben. Zwar schreien die Unternehmen gerade am lautesten, die Bürokratie würde die Wirtschaft bremsen, doch eigentlich bremsen sie sich selbst.
Denn wie kommen zahlreiche Gesetze zustande? Ganz einfach: auf Drängen verschiedener Lobbygruppen. Natürlich ist der zentrale Punkt der Arbeit der Lobbyist:innen, das Geschäft ihres Unternehmens oder der jeweiligen auftraggebenden Interessensgruppe zu befeuern. Möglichst unter gleichzeitiger Schwächung der Konkurrenz.
So werden die Vorschriftenberge immer höher, anstatt sie abzubauen.
Ein Beispiel: die EU-Verordnung Grüne Taxonomie. Im Zuge dessen müssen Unternehmen genauestens dokumentieren, wie nachhaltig sie sind oder in welche Technologien sie investieren. Und auf wen ist die Verordnung zurückzuführen? Auf Lobbyist:innen der Finanzbranche. Sie erhoffen sich, von den Investitionen in nachhaltige Finanzanlagen zu profitieren.
Dazu kommt: Die verschiedenen Lobbygruppen agieren nicht selten gegeneinander. Heraus kommt dann ein Kompromiss, zu dem die Regierenden durch die verschiedenen Forderungen gezwungen werden. Einer, der das Ergebnis meist noch komplizierter und bürokratischer macht.
Ein weiteres Problem ist die Undurchsichtigkeit, mit der die Bürokratie einhergeht – oder durch sie erst weiter befeuert wird.
Wer ist denn nun genau wofür zuständig in meiner Gemeinde oder meinem Bezirk, fragen sich viele. Selbst für Profis ist das Herausfinden der richtigen Ansprechpartner:innen oft ein längerer Rechercheakt. Das merkt man spätestens an den teils abweisenden Antworten, der jeweiligen Sprecher:innen, wie etwa "Hier kann ich leider nicht helfen".
Und manchmal geht es dabei nur um einen losen Bordstein vor der Haustüre, der mit einer E-Mail an die richtige Stelle schnell behoben wäre. Auch das sei politisches Engagement, betont Franziska Hollstein im Gespräch mit watson.
Die 27-Jährige ist die fehlende Transparenz leid und hat deshalb ein Start-up gegründet, den Demokratie-Wegweiser. Franziska arbeitet an einer digitalen Karte, die mithilfe von Filtern, die die Anwender:innen setzen können, die richtige Ansprechperson für das jeweilige Anliegen ausspuckt.
Warum es sowas nicht schon längst gibt? "Die Programmierung ist nicht das Problem", sagt Franziska, "aber die Datenstruktur. Wir haben in den Kommunen und Verwaltungen riesige öffentliche Datenberge liegen, die auch den Bürgerinnen und Bürgern nützen könnten, aber einfach digital nicht zugänglich sind."
Alle hätten Vorteile und großes Interesse daran, die vorhandenen Daten sinnvoll zu nutzen. Es brauche aber jemanden, der sich die Mühe macht, sich da durchzukämpfen, erklärt Franziska. Das Projekt wird vom Start-up Join Politics für junge, politisch engagierte Menschen, gefördert.
"Wir schimpfen auf 'die da oben' oder den Rechtsrutsch in Deutschland, aber schaffen es nicht, in den Kommunen transparent zu machen, wer da eigentlich gewählt ist", sagt Franziska. Das sei der erste Schritt zu mehr Demokratie und weniger Bürokratie. "Wir müssen den Menschen auf kleinster Ebene ein Gesicht geben."