Die sozialen Medien haben großen Einfluss. Warum der einzelne Nutzer nur noch ein Produkt ist, erklären Experten in einer Netflix-Dokumentation.screenshot: youtube
Digital
03.10.2020, 18:3903.10.2020, 18:40
Die sozialen Medien haben unser Leben verändert. Soviel steht fest. Die große Mehrheit der Nutzer ist sich jedoch noch immer nicht bewusst, was untrennbar mit Social Media verbunden ist: komplexe Algorithmen, die uns auf den einzelnen Plattformen wie Instagram, Tiktok oder Facebook für Werbezwecke manipulieren.
Der Netflix-Film "The Social Dilemma" widmet sich den Schattenseiten der sozialen Medien und lässt dafür hochrangige Ex-Mitarbeiter des Silicon Valley zu Wort kommen.
"Das Problem der sozialen Medien" – Was ist das überhaupt?
Die sozialen Medien haben ein Problem, das schwer in Worte zu fassen ist. Ausdrücklich weist Filmemacher Jeff Orlowski, der Regisseur der Dokumentation, in seinem Werk darauf hin. Gleich zum Einstieg werden ein paar der wichtigsten Pioniere der sozialen Netzwerke gefragt, wo genau denn das Problem liege. Die Antwort: "Das lässt sich schwer in einem Satz beantworten."
Wichtige Protagonisten aus Unternehmen wie Google, Facebook, Apple oder Twitter versuchen, die abstrakte Wahrheit über die Allgegenwärtigkeit der sozialen Medien in unserem Alltag zu erklären. Einer der Hauptredner: Tristan Harris, früherer Designethiker bei Google.
Tristan Harris war bei Google als Designethiker angestellt. Jetzt stellt er das ganze Prinzip von "Social Media" infrage.screenshot: youtube
"Wenn man die Leute fragt, was heutzutage in der Tech-Branche falsch läuft, hört man eine Reihe von Beschwerden und Skandalen. Datendiebstahl, Technologieabhängigkeit und Fake News. Es wird polarisiert und Wahlen werden gehackt. Doch gibt es etwas, das all diesen Problemen zugrunde liegt, das dafür sorgt, dass all das gleichzeitig passiert?"
Mit diesen Worten beginnt Harris einen Vortrag, und genau das untersucht "The Social Dilemma".
Hier könnt Ihr Euch den Trailer zum Film anschauen:
Werbeanbieter kaufen ein Produkt von den sozialen Medien: Wir sind das Produkt
Roger McNamee war einer der ersten Investoren von Facebook. Er erklärt, dass früher im Silicon Valley hauptsächlich mit Hardware gehandelt wurde. "Ein sauberes Geschäft" sei das gewesen. Doch in den letzten zehn Jahren sei das Einzige, was im Silicon Valley gehandelt wurde, der Nutzer. Der Grund, warum wir nicht für die Nutzung von sozialen Netzwerken bezahlen, sei, dass das die Werbung erledigt. "Die Werber sind die Kunden, wir sind das, was verkauft wird", sagt Aza Raskin, früherer Mitarbeiter bei Firefox und Mitbegründer des "Center for Humane Technology", eine gemeinnützige Organisation, die sich auf die Ethik der Verbrauchertechnologie konzentriert. Tristan Harris wählt in diesem Zusammenhang eine eindrückliche Formulierung:
"Wenn Du nichts für das Produkt bezahlst, bist Du das Produkt."
Das Geschäftsmodell aller sozialen Medien ist gleich: Sie versuchen, ihre Nutzer so viel und so lange wie möglich an die Bildschirme zu fesseln. Eine Strategie, die sich für Werbepartner perfekt eignet. Sie sorgt – anders als bei TV-Werbung oder Plakaten – dafür, dass eine Anzeige beim Kunden ankommt. Immer bessere Algorithmen können ermitteln, welche Dinge eine Person tut, wo sie sich aufhält, kurz: Sie können einen Menschen nach Belieben ausspähen – und mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen manipulieren. Je mehr Zeit man auf sozialen Netzwerken verbringt, desto mehr Einfluss haben die Algorithmen auf die Persönlichkeit. Selbst der Feed deines besten Freundes, der sich vermeintlich für dieselben Dinge interessiert wie du, denselben Leuten folgt wie du und dieselben Inhalte konsumiert wie du, wird laut Tristan Harris eine gänzlich andere Realität präsentiert bekommen.
Tim Kendall war bis 2018 CEO von Pinterest. Heute sieht er die sozialen Medien als große Gefahr.screenshot: youtube
Der Unterschied zu normalen TV-Werbespots etwa ist, dass es nicht darum geht, einer Person ein bestimmtes Produkt schmackhaft zu machen. "Das Produkt ist die allmählich schleichende, kaum spürbare Veränderung des eigenen Verhaltens und der Wahrnehmung." Das sagt Jaron Lanier, einer der Erfinder der Virtual Reality.
Bezeichnend dafür, wie groß das Suchtpotenzial sozialer Medien tatsächlich ist, sind die Schilderungen der Erfinder dieser Technologien. "Ich arbeite tagsüber und erschaffe etwas, dem ich selbst zum Opfer falle", erzählt Tim Kendall, Mitentwickler von Facebook und Ex-Präsident von Pinterest. Tristan Harris gesteht: "Meine größte Sucht sind E-Mails". Während seiner Zeit bei Google war Harris maßgeblich an der Entwicklung des E-Mail-Anbieters Gmail beteiligt.
Die Gefahr der "Social Media"-Algorithmen
Die Algorithmen der sozialen Medien sind so perfekt, dass sie praktisch jeden Bereich unseres Alltags beherrschen. Das Produkt "Nutzer" ist längst nicht mehr nur für die Werbebranche interessant. Wahlen, Meinungen und Kriege können beeinflusst und polarisiert werden von einer Technologie, die ständig lernt. Das Problem an der Sache ist, dass diese mächtigen Algorithmen nicht zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden können. Sie sind lediglich darauf programmiert, einem Nutzer das zu zeigen, was er sehen will.
Der Film nutzt dieselben Methoden, vor denen er warnt.
Das Interessante an der Filmproduktion ist allerdings, dass auch dieser Film sich genau der Methoden bedient, die er als Problem beschreibt. Es handelt sich bei der Dokumentation nämlich nicht um eine rein sachliche Erklärung. Regisseur Jeff Orlowski hat immer wieder gespielte Szenen verwendet, um die komplexen Aussagen der Experten in Alltagsbeispielen zu verdeutlichen. Mit dem Nebeneffekt, dass der Zuschauer an den Bildschirm gefesselt wird.
(vdv)