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Remdesivir, Avigan und Chloroquin: Wie weit die Corona-Medikamente sind

a female research scientist is analysing a sample on her microscope in a microbiology lab . the lab is brightly lit with natural light . Blurred glassware at side of frame provides copy space .
Pharmazeuten suchen unter Hochdruck nach einem Corona-Medikament. (Symbolbild)Bild: getty / E+ / sturti
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Remdesivir, Avigan und Chloroquin: Wie weit sind die Corona-Medikamente?

12.05.2020, 14:2212.05.2020, 15:08
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Nicht nur Forscher treibt derzeit diese eine Frage um: Wann und wie lässt sich Covid-19 endlich behandeln? In den Laboren wird getüftelt, was das Zeug hält, um endlich ein Mittel gegen den Virus zu finden, das die Welt lahmlegt. Dabei halten sich Pharmazeuten besonders an bereits existierende, im besten Fall sogar schon zugelassene Medikamente, da diese schnell einsatzbereit wären.

In Kliniken werden einige von ihnen schon jetzt bei Corona-Patienten genutzt (z.B. Hydroxychloroquin, Lopinavir/Ritonavir und Remdesivir). Allerdings muss vorher eine "sehr sorgfältige individuelle Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses erfolgen", wie das Robert-Koch-Institut erklärt.

"Aktuell sind zu wenige Daten verfügbar, um für Deutschland eine Therapieempfehlung auszusprechen. Der Einsatz dieser Arzneimittel ist daher allenfalls erst bei schweren Verlaufsformen im Rahmen einer Einzelfallentscheidung zu erwägen."
Statement des Robert-Koch-Instituts

Wir haben für dich zusammengefasst, welche Arzneimittel momentan begutachtet werden, um sie gegen Covid-19 einzusetzen.

Ebola-Mittel Remdesivir

In den USA liegen die Hoffnungen derzeit auf dem Mittel Remdesivir. Dieses ist noch nicht offiziell als Medikament zugelassen, wurde in der Vergangenheit aber immerhin schon an Affen getestet (2014 und 2016). Das Mittel wird gespritzt und hemmt die RNA-Polymerase, stört somit die Replikationsfähigkeit des Virus im Körper.

Das Nationale Institut für Allergien und Infektionskrankheiten in den USA teilte vergangene Woche Studien-Ergebnisse, an der 1063 Covid-19-Patienten aus den USA, Europa und Asien teilgenommen hatten. Demnach verkürzte Remdesivir die Genesungsdauer um rund 30 Prozent. Die mit Remdesivir behandelten Patienten benötigten der Studie zufolge im Schnitt elf Tage bis zur Genesung. Patienten, die ein Placebo erhielten, dagegen 15 Tage.

Trotzdem hält sich das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte in Deutschland mit Jubelschreien noch zurück. Sie genehmigten zwar vier klinische Prüfungen zum Einsatz des Mittels an Covid-19-Patienten, warten jedoch noch auf die entsprechenden Ergebnisse.

"Zahlreiche potenzielle antivirale Therapien werden im Kontext von COVID-19 diskutiert. Für keine dieser Therapien gibt es bisher einen Wirksamkeitsbeleg aus klinischen Prüfungen, sodass auch für keine der diskutierten Optionen derzeit eine Arzneimittelzulassung in Erwägung zu ziehen ist."
Statement des BfArM

In den USA hat Remdesivir hingegen am Freitag eine Sonderzulassung erhalten. Dort darf das Mittel jetzt bei Patienten mit schweren Covid-19-Erkrankungen eingesetzt werden. Die Behörde betonte aber auch, es gebe bislang nur "begrenzte Informationen" über die Sicherheit des Medikaments bei der Behandlung der Lungenerkrankung, die durch Corona ausgelöst wird.

Fazit: Die USA setzen auf Remdesivir, der Nutzen ist jedoch noch nicht belegt.

Grippe-Mittel Avigan

Das japanische Avigan wird von einer Tochterfirma der Fujifilm Holdings seit 2014 als Medikament gegen Influenza hergestellt. Ähnlich wie Remdesivir soll der enthaltende Wirkstoff Favipiravir die RNA-Polymerase hemmen und damit die Verbreitung der Corona-Viren im Körper.

In japanischen Krankenhäusern und Apotheken kommt Avigan derzeit nur als Notfallmedikament zum Einsatz, da es besser geprüfte Alternativen gibt. Die Tablette zeigte in der Vergangenheit Wechselwirkungen mit Paracetamol und führte bei Tieren zu fetalen Fehlbildungen. Dennoch hat sich auch die Bundesregierung Anfang April Avigan liefern lassen, um im Zweifelsfall Covid-19-Patienten stationär mit dem Mittel behandeln zu können. Das BfArm sagt dazu:

"Arzneimittel mit Favipiravir sind in Deutschland nicht zugelassen und verfügen auch in Japan, wo das Arzneimittel zugelassen ist, nicht über eine Zulassung bei Covid-19. Eine Anwendung würde somit im Rahmen eines individuellen Heilversuches erfolgen."
Statement des BfArm zu Avigan

Könnte es denn bei Covid-19 helfen? Eine Preprint-Studie aus Wuhan legt das nahe: 120 moderat erkrankte Corona-Patienten erhielten Avigan und genasen damit schneller, als die Vergleichsgruppe aus 120 Patienten, die das antivirale Arbidol verabreicht bekamen. Bei schweren Krankheitsverläufen wurde jedoch kein Unterschied entdeckt. Groß angelegte klinische Studien zu Avigan als Corona-Medikament stehen noch aus.

Fazit: Deutschland ließ sich Avigan aus Japan liefern – aber nur für den Notfall.

HIV-Mittel Lopinavir/Ritonavir

Lopinavir und Ritonavir werden in Form von Tabletten verabreicht, um HIV-Patienten zu behandeln. Die Wirkstoffe müssen miteinander kombiniert werden, da das antivirale Lopinavir allein keinen therapeutischen Effekt erzielen würde und Ritonavir als Booster braucht.

Lopinavir/Ritonavir war schon in der Vergangenheit (z.B. bei SARS-Erkrankungen 2002/03) mit Erfolg bei Pandemien eingesetzt worden und erzielte auch in Laborexperimenten gute Ergebnisse. Es lag also nahe, dass das Wirkstoff-Duo auch beim neuartigen Covid-19-Virus helfen könnte.

Leider zeigte eine Studie aus Wuhan mit 199 schwer an Corona erkrankten Patienten keine signifikante Verbesserung durch das HIV-Mittel. Forscher vermuten aber, dass Lopinavir/Ritonavir helfen könnte, sofern die Erkrankung noch keinen dramatischen Verlauf genommen hätte. Die HIV-Kombination gehört zu den Mitteln, die von der WHO im Rahmen der Studie "Solidarity" derzeit genauer auf ihren Nutzen bei Covid-19-Erkrankungen geprüft werden. Die Ergebnisse stehen noch aus.

Fazit: Die WHO prüft das Arznei-Duo noch, in der Vergangenheit bewährte es sich aber bei SARS.

Bandwurm-Mittel Niclosamid

In Deutschland setzt Christian Drosten derzeit seine Hoffnung auf altbekannte Wirkstoffe, die die sogenannte Autophagie stärkt, den "Eigenverdauungsapparat der Zelle", wie der Virologe im NDR-Podcast erklärt. Vereinfacht: Die Zelle ist durch Autophagie fähig, eigene Bestandteile abzubauen und das gilt auch für fremd eingedrungene Viren.

In früheren Studien hätten er und seine Kollegen gesehen, dass der SARS-Virus die Befehlskette der Autophagie stört, sie also verlangsamt. Es gäbe jedoch altbekannte Medikamente, die genau diese Autophagie wieder beschleunigen, darunter ein Bandwurmmittel namens Niclosamid.

"Bei dem Niclosamid ist das so. Da haben wir das angeschaut und wir kommen zu dem Schluss: Die Konzentration, die man eigentlich als Tablette nehmen kann, die führt im Blut dazu, dass eine Konzentration erreicht wird, die in unseren Laborversuchen das Virus maßgeblich an der Vermehrung hemmt. Deswegen gibt uns das ein gutes Gefühl."
Christian Drosten

Und Niclosamid hat einen zweiten großen Vorteil: Es ist bereits auf dem Markt und lässt sich in vielen Ländern ganz einfach in der Apotheke kaufen. Es sei gut erforscht und verursache keine schlimmen Nebenwirkungen. Deshalb steht es bei dem Pandemie-Experten ganz oben auf der Liste. Er will es so bald wie möglich an Covid-19-Patienten testen.

"Wir schreiben klinische Studienprotokolle und beantragen die Genehmigung, demnächst Patienten experimentell damit behandeln zu können."
Christian Drosten

Fazit: Drosten will mit Niclosamid experimentieren, weil es schnell verfügbar wäre.

Malaria-Mittel Hydroxychloroquin/Chloroquin

Als riskant stellte sich bislang Hydroxychloroquin und das verwandte Chloroquin heraus. Diese Wirkstoffe werden eigentlich in Form von Filmtabletten gegen Malaria eingesetzt. Nachdem zwei kleine Studien aus China und Frankreich zu Beginn des Frühjahrs positive Ergebnisse bei der Behandlung von Corona-Patienten mit den Mitteln vermeldeten, beteiligten sich Kliniken weltweit an größeren Testläufen – mit zum Teil entmutigenden Ergebnissen.

So wurde Mitte April in einer Preprint-Studie aus Brasilien gemeldet, dass Covid-19-Patienten während der Chloroquin-Therapie häufiger starben – vor allem, wenn zusätzlich andere Medikamente im Spiel waren, oder sehr hochdosiert wurde (hier geht es zur Studie aus Brasilien).
Und auch die European Medicines Agency warnte zuletzt ausdrücklich, dass der Einsatz dieser Arzneien bei einigen Menschen schwere Herzrhythmusstörungen auslösen kann.

Diese Medikamente werden im Kontext der grassierenden Pandemie klinisch geprüft und benutzt, um Covid-19 Patienten zu behandeln. Dennoch sind die klinischen Daten noch sehr begrenzt und unschlüssig, während der Nutzen dieser Medikamente gegen Covid-19 noch nicht bewiesen wurde. Um zu irgendeinem Ergebnis zu kommen, braucht es erst einmal große, gut angelegte Studien.
Statement des EMA zu Chloroquin und Hydroxychloroquin

Die Tabletten sollten nur bei klinischen Tests oder in Notfällen genutzt werden, erklärte die EMA am Mittwoch. Ohne ärztlichen Rat solle das Medikament auf keinen Fall eingenommen werden! Dennoch wird weiter geforscht: In einer von Frankreich aus geleiteten Add-On-Studie namens "Discovery" wird Hydroxychloroquin weiter als Mittel gegen Covid-19 untersucht. Die Ergebnisse stehen noch aus.

Fazit: Die Studienlage zu Hydroxychloroquin ist noch zu unklar. Die EMA warnt vor ernsthaften Risiken!

Kann ein Medikamenten-Cocktail die Lösung sein?

Am Samstag meldeten Wissenschaftler aus Hongkong, die erfolgreiche Behandlung von Coronavirus-Patienten mit mildem und moderatem Krankheitsverlauf durch eine Mischung dreier Medikamente. Es habe sich gezeigt, dass die Kombination der Wirkstoffe die Anzahl der Viren schnell verringere, schrieb Mikrobiologe Kwok-Yung Yuen in der im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlichten Studie.

An der Studie hatten sich 127 Corona-Infizierte beteiligt. 86 von ihnen erhielten den Medikamenten-Cocktail aus Interferon beta-1b (gegen Multiple Sklerose), Lopinavir/Ritonavir (gegen HIV) sowie Ribavirin (gegen Hepatitis). Die Übrigen erhielten nur das HIV-Mittel. Die Behandlung begann im Schnitt fünf Tage nach den ersten Corona-Symptomen. Bei den mit der Medikamenten-Kombination behandelten Studienteilnehmern fielen die Tests auf das Virus im Schnitt nach sieben Tagen negativ aus. In der Kontrollgruppe dauerte dies durchschnittlich zwölf Tage. Das seien "frühe aber wichtige" Erkenntnisse, schrieben die Autoren. Sie regten weitere klinische Tests an

Übrigens: Wer ausführlichere Informationen zu den derzeitigen Arzneimitteln möchte – die WHO hat alle potentiellen Covid-19-Therapeutika und damit einhergehenden Studien hier gelistet.

(jd/afp)