Ein Feierabendbier oder ein Sekt zum Anstoßen – Alkohol ist in unserer Gesellschaft fest verankert. Die Deutschen gehören zu den Hochkonsumnationen der Welt: Laut aktuellem Alkoholatlas liegt der jährliche Durchschnittsverbrauch bei 10,6 Litern reinen Alkohols pro Kopf (circa 200 Liter Bier oder 75 Liter Wein). Zeit, mal zu schauen, wie es sich ohne Alkohol lebt, denken daher viele und legen im Januar eine Fastenpause ein: den sogenannten "Dry January".
Lohnt es sich, "nur" einen Monat auf Alkohol zu verzichten? Wie verändert Abstinenz den Schlaf, Gewicht und Haut? Was, wenn ich am "Dry January" scheitere? Watson fragte bei Expert:innen nach.
"Alkoholverzicht ist immer sinnvoll", erklärt Reingard Herbst, Chefärztin der Nescure Privatklinik am See, gegenüber watson. Dem absoluten Großteil geht es nach einem erfolgreichen "Dry January" besser. Das zeigte auch eine Studie der Universität von Sussex, an der 800 Menschen teilnahmen.
93 Prozent der Befragten spürten demnach Stolz, durchgehalten zu haben, 88 Prozent sparten Geld, die Mehrheit berichtete von besserem Schlaf (71 Prozent), besserer Haut (54 Prozent), mehr Energie (67 Prozent) und Gewichtsverlust (59 Prozent). Auch Krankenkassen machen auf positive Effekte aufmerksam.
Nach ein paar Tagen:
Nach ein bis zwei Wochen:
Auch mental gäbe es "spürbare Veränderungen", sagt Herbst:
Nach einem Monat
Ärztin Reingard Herbst ergänzt:
Nach drei Monaten
Nach einem Jahr
Doch manch einer merkt erst beim Alkoholfasten, wie häufig er oder sie vorher zum Glas gegriffen hat. Einigen fällt es sogar richtig schwer, sich die Drinks zu verkneifen.
Roman Kipp ist der Leiter der Suchtberatung Kodrobs in Hamburg-Eimsbüttel und erklärt auf watson-Anfrage: Wenn es nicht gelingt, mal einen Monat auszusetzen, könnte bereits ein "Konsumzwang" dahinterstecken. Kipp dazu:
Ein starker Wunsch, Alkohol konsumieren zu wollen, sei ein mögliches Zeichen für eine Sucht. Allerdings gäbe es insgesamt sechs Kriterien, von denen mindestens drei erfüllt sein müssten, um als abhängig zu gelten, so Kipp (entsprechende Leitlinien findest du hier).
Aber auch ohne Diagnose lohne es sich, die Trinkerei einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Man soll sich fragen: "Welche Vorteile, aber auch welche Nachteile bringt mein Alkoholkonsum?" Dabei helfen diplomierte Suchtberater: "Wir Suchtberatungsstellen stehen Menschen zur Verfügung, die ihr Konsummuster ändern wollen. Dabei könnte die Reduktion, aber auch ein zeitlich begrenzter Verzicht auf Alkohol ein Ziel sein."
Grundsätzlich sei der "trockene" Start ins Jahr sinnvoll, denn Alkohol ist Gift für die Zellen und je weniger davon getrunken wird, desto besser. "Viele Menschen, die eine Zeit keinen Alkohol trinken, stellen fest, wie sehr der Alkoholkonsum Teil des eigenen Lebens, aber auch unserer Gesellschaft ist", sagt Roman Kipp.
Allerdings würden Menschen, die viel Alkohol trinken, beim Verzicht auch negative Erfahrungen machen. So könnte es sein, dass sie zum Beispiel anfangs "schlechter abends Einschlafen können" und sich in Geselligkeit, besonders wenn alle anderen Trinken, "unwohl fühlen".
"Über diesen Weg kann man gut erkennen, ob sich bereits Suchttendenzen entwickelt haben", bestätigt auch Herbst. Wenn sich die Gedanken stark um Alkohol drehen, "oder körperliche Entzugserscheinungen wie starkes Schwitzen oder Zittern auftreten", wäre es sinnvoll, Expert:innen zu Rate zu ziehen.
Für Gelegenheitstrinker:innen hat der "Dry January" allerdings nur Vorteile. Auch die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs-und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) e.V. rief daher zum Alkoholfasten auf.
"Über den 'Dry January' hinaus könnte es zudem sinnvoll sein, regelmäßige Abstinenzphasen in den Alltag einzubauen", glaubt Ärztin Reingard Herbst, "zum Beispiel einmal in der Woche komplett auf Alkohol zu verzichten."
Im Idealfall führen positive Erfahrungen zum Entschluss, den Konsum weiter zu reduzieren – nur dann könne der "Dry January" die Gesundheit auf lange Sicht positiv beeinflussen.
Dieser Meinung ist Roman Kipp. "Bei einem regelmäßigen, fast täglichen Konsum ist aus meiner Erfahrung ein Monat ein zu kurzer Zeitraum, um eine dauerhafte Veränderung des Trinkmusters zu erlangen", erklärt er. Und rät, mindestens sechs Monate, bestenfalls einen ganzen Jahreszyklus durchzuhalten, um das eigene Verhalten bei allen Anlässen (wie Partys, Urlaub, Stress auf der Arbeit) zu prüfen:
Durchhalten ist schwer, aber es gibt Tricks. Herbst gegenüber watson: "Im Falle von Alkoholverzicht hilft Belohnung. Sich etwas Gutes tun, kleine Ziele setzen, einen Entspannungs-Wohlfühltag einlegen, Sport treiben."
Am meisten beim Durchhalten hilft aber das Durchhalten selbst. Daher solle man "das gute Gefühl genießen, es geschafft zu haben. Dieses beflügelt oftmals zum Weitermachen", sagt die Ärztin. "Das neue Körpergefühl stärkt den inneren Antrieb." Ein positiver Teufelskreis, den es sich lohnt, auszuprobieren – so ganz nüchtern betrachtet.