Frauen, die auf schwindelerregend hohen Brücken oder am Abgrund einer atemberaubenden Aussicht balancieren: Sieht cool aus – schon ist die Location in der App gespeichert als Inspiration für den nächsten Urlaub. Instagram ist das neue Reisebüro für die Gen-Z. Lieber lässt man sich von zahlreichen coolen Travel-Influencer:innen inspirieren, als einschläfernde Reiseberichte mit mittelalten Männern zu schauen.
Wer heute in den Urlaub fährt, hat im Hinterkopf auch immer den Gedanken im Gepäck, welche Szenerie sich gut für einen Instagram-Post eignen würde. Und richtet seine Reise oft auch genau danach aus. Instagrammer:innen sind bei der Suche nach dem perfekten Spot oft bereit, viel Geld hinzulegen. Das entdeckt langsam auch die Tourismusbranche – mit verheerenden Folgen.
Es gibt inzwischen einige Reiseveranstalter, die spezielle Instagram-Touren mit den besten Fotospots anbieten. So findet man im Internet zahlreiche Tourguides, die Insta-Sightseeing anbieten, wie die "Instagram-Tour Stuttgart-Mitte", "Weimar for Likes" oder die sieben schönsten Straßen Europas inklusive der "Top-Instagram-Routen für die Planung der nächsten Tour inklusive Stellplatz-Tipps".
International gibt es das auch. Beispielsweise die "Malmö Instagram Tour: Geführte Instagram Tour durch Malmö in Begleitung eines lokalen Guide" oder eine fünf-Sterne-bewertete "Bangkok Instagram Tour: The Most Famous Spots" für Touristen, sowie "Bali: Tagestour zu den schönsten Instagram-Motiven".
Das perfekte Foto für die Insta-Community zu schießen, gehört für viele junge Reisende scheinbar zu einem ihrer Urlaubs-Must-Dos. Aber Achtung: Oft lauert hintern spektakulären Instagram-Fotos keine einsame Landschaft, sondern endlos lange Menschenschlangen. Und statt einem Abgrund hinter einer Hängebrücke nur eine Wiese mit Bach – eine clevere Kameraperspektive oder zur Not Photoshop kann vieles ins rechte Licht rücken.
Gewisse Anbieter wie der Online-Reiseveranstalter loveholidays haben für das perfekte Urlaubsfoto extra einen professionellen Fotografen engagiert, um mittels Google-Pins und -Koordinaten den perfekten Standort und die beste Tageszeit für Europas 15 bekannteste Sehenswürdigkeiten zu finden.
Al Murray, Leiter der Marketingabteilung bei loveholidays, kommentiert den Foto-Guide wie folgt:
Für alle Neugierigen hier einmal alle Spots inklusive Koordinaten und Anleitung:
Der Instagram-Tourismus sieht jedoch nur auf den ersten Blick schön aus. Er führt dazu, dass viele Menschen an ein und denselben kleinen Spot stürmen – oft mit gravierenden Folgen für die Natur. Denn nicht selten befinden sich schöne Orte in einer sensiblen Natur oder auch mitten im Nationalpark.
Wenn Instagram-Nutzende dann diese versteckten Kleinode einem Millionenpublikum verraten, kann das schlimm enden. Eines der Worst-Case-Szenarien ereignete sich vor einigen Jahren im Nationalpark Berchtesgaden in Bayern.
Hier postete eine reichweitenstarke Influencerin Bikinifotos am Fuß des Wasserfalls, direkt im Wasserbecken, von Einheimischen "Gumpen" genannt, und machte verbotenerweise Drohnenaufnahmen vom Ort. Auch die genaue Wegbeschreibung zum "Geheimtipp" teilte sie. Die Folgen waren gravierend, wie eine Mitteilung des Nationalparks beschreibt:
Ganz zu Schweigen von Müll, den Touristen oft übrig gelassen hätten und illegalen Lagerfeuern, die eine Waldbrandgefahr darstellen. Viele Einheimische bleiben dem Wasserbecken eher fern, wegen der Gefahr, sich auf dem schmalen Pfad dahin zu verirren und abzurutschen oder sich zu versteigen.
Als Folge des Instagram-Posts strömten aber so viele junge Leute an den Spot, dass der Nationalpark Berchtesgaden den Wasserfall für fünf Monate sperren musste. Die Ranger:innen der Nationalparkverwaltung sollen das Verbot kontrollieren, Verstöße könnten mit einer Strafe im mindestens dreistelligen Bereich geahndet werden, ein Bußgeld sogar bis zu 25.000 Euro teuer werden.
Außerdem suchte der Nationalpark das offene Gespräch mit der Influencerin und schrieb unter ihren Post:
So kam und kommt es immer wieder zu Rettungseinsätzen von Touristen, die am Königsbach Wasserfall abstürzen oder sich verletzen. 2019 ereignete sich in einer der unteren "Gumpen" des Königsbach Wasserfalls ein besonders schlimmer Vorfall.
Bei Hochwasser wollten zwei junge Männer aus Bautzen dort baden gehen und ertranken. Die 21-Jährigen hatten die starke Strömung durch das viele Schmelzwasser unterschätzt – denn im sauerstoffreichen Weißwasser hat ein Körper keinen Auftrieb und geht trotz Schwimmbewegungen unter.
Die Influencerin selbst löschte die Wegbeschreibung schließlich und rief im Post dazu auf, den Ort künftig zu meiden. Die mediale Aufmerksamkeit aber hat sie selbst bereits erhalten.
Auch andere Orte weltweit kämpfen mit dem Massentourismus an Orten, die durch Instagram berühmt wurden: beispielsweise das romantische Restaurant Aescher-Wildkirchli, das in 1454 Metern Höhe liegt, der Trolltunga-Felsvorsprung über dem Ringedalsvatnet-See in Norwegen, eine Hängebrücke in den Zillertaler Alpen oder eine Mohnwiese in Kalifornien im "Walker Canyon".
Letzterer ist nun ebenfalls geschlossen, da die Blumen zertrampelt wurden. Der Bürgermeister Steve Manos sprach gegenüber des Senders "Sky News" sogar von einer "Mohn-Apokalypse". Aber auch das Verkehrschaos und überlaufende Toiletten ruinierten die Idylle.
Beim massenhaften Teilen kostbarer Naturorte auf Social Media bleibt nur, an die persönliche Verantwortung zu appellieren: Dass die Schönheit der Natur mehr wert ist als ein Like.