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Sollte Prostitution strafbar sein? Was Sexworker vom Nordischen Modell halten

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Eine bunte Gruppe von Supportern wird sich zum Feiern und Debattieren treffen. Bild: www.imago-images.de / Shotshop
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Sollte Prostitution in Deutschland strafbar sein? Sexworker erklären, warum sie dagegen sind

04.05.2024, 08:08
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In der öffentlichen Debatte ist das Nordische Modell wieder in aller Munde, seitdem sich das Europaparlament im Herbst 2023 für die Einführung in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union aussprach.

Das würde bedeuten, dass Prostitution, wie sie derzeit in Deutschland existiert, nicht mehr möglich wäre, der Kauf von Sex wäre dann strafbar. Die CDU/CSU ist für die Gesetzesänderungen, sonstige Parteien lehnen das Modell bislang ab, auch wenn intern darüber zum Teil Uneinigkeit herrscht.

Von Seiten der Zivilbevölkerung fordern insbesondere einige Feminist:innen in Verbänden und sozialen Netzwerken eine Einführung des Sexkaufverbots. Die aktiven Sexworker:innen selbst, zumindest jene, die öffentlich sichtbar sind, halten dagegen – und das durchaus laut.

Am Samstagnachmittag (4. Mai 2024) werden sie sich unter dem Motto "We are Sexworkers" sogar zu einer Tanzdemo am Berliner Roten Rathaus treffen. Als Support werden unter anderem das Black Sex Workers Collective; Trans Sexwork, Tauwetter e.V. und die Deutsche Aidshilfe Reden halten.

Die Bizarrlady (gewerbliche Prostituierte, die von der "Norm" abweichende sexuelle Dienstleistungen erbringt) Fräulein Angelina moderiert das Event und sagt gegenüber watson, sie hoffe darauf, "dass wir vielleicht einige Menschen aufklären können, zum Nachdenken bringen, mit ins Boot holen. Dass wir laut und sichtbar genug sind, um zumindest einen kleinen bleibenden Eindruck zu machen."

Was ist das Nordische Modell überhaupt?

Das Nordische Modell soll Prostitution als Gewerbe einschränken. Es besteht aus mehreren Bestandteilen, die im Optimalfall ineinander greifen sollen:

  • Kriminalisierung der Sexkäufer:innen, Zuhälter:innen etc.
  • Straffreiheit für die Prostituierten
  • Ausstiegsprogramme für Prostituierte
  • Bildungsmaßnahmen in der Bevölkerung gegen Prostitution

Umgesetzt ist das Modell bereits in Schweden, Norwegen, Island, Kanada, Frankreich, Irland und Israel. Mit durchwachsenen Ergebnissen.

So nahm die sichtbare Prostitution und die Akzeptanz von Sexkauf in diesen Ländern eher ab (Beispiel Norwegen und Schweden), zugleich nahmen Fälle von Polizeiwillkür, Gewalt und das Verdrängen von Prostituierten in heimlichere und ungeschützte Orte eher zu (Beispiel Irland und Frankreich).

Yaroslav Shuraev Rotlicht
Was denken Sexworker:innen in Deutschland über das Nordische Modell?Bild: Pexels / Yaroslav Shuraev

Wie ist Prostitution in Deutschland geregelt?

Bislang ist es in Deutschland so, dass Prostitution seit 2002 (rot-grüne Koalition) als "normales" Gewerbe behandelt wird. 2017 trat zudem das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft, das Bordellen zum Beispiel eine Betriebserlaubnis abverlangt, Prostituierte zur Anmeldung verpflichtet und auch, regelmäßig zur Gesundheitsberatung zu gehen.

"Das Nordische Modell wird oft als vermeintlich 'feministisch' verkauft."
Fräulein Angelina

Menschenhandel kann hingegen strafrechtlich verfolgt werden. Schon jetzt gilt auch, wenn ein Freier eine Zwangslage "zumindest für möglich" hält und billigt, "dass die sexuelle Handlung nur im Hinblick darauf erfolgt", kann er mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden, wie der Deutsche Bundestag informiert.

Es liegt auf der Hand, dass solche Fälle kaum juristisch nachweisbar sind, auch weil gerade Menschen in ausbeuterischen Verhältnissen sich nicht öffentlich zu Wort melden (können).

Wie feministisch ist das Nordische Modell?

Die Debatte ist auch ein Clash zweier feministischer Lager. Das Ziel des Nordischen Modells ist aber nicht nur, eine juristische Handhabe einzuführen, sondern auch der Gesellschaft das Kaufen von Sexleistungen insgesamt abzugewöhnen.

Terre des Femmes erklärt das so:

"Durch das Sexkaufverbot wird Prostitution nicht plötzlich verschwinden, aber das ist bei Gesetzen gegen Diebstahl und Mord auch nicht der Fall. Dennoch ist es wichtig, dass der Staat Gesetze erlässt, die diese Straftaten sanktionieren. Gesetze haben eine normative Wirkung. Man konnte in den letzten 20 Jahren in Schweden beobachten, wie sich die Gesellschaft verändert hat und wie Sexkauf nicht nur gesetzlich verboten, sondern auch gesellschaftlich geächtet wurde."
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Aktuell wird ein Sexkaufverbot in Deutschland erneut diskutiert.Bild: Pexels / Cottonbro

Die Frage, die hinter der Einführung eines Nordischen Modells steht, ist also auch ideologisch: Wie verwerflich ist es insgesamt, dass sexuelle Dienstleistungen käuflich sind? Ist jeder Sexkauf Gewaltausübung, wenn man von einer patriarchalen Gesellschaft ausgeht? Oder ist jeder Job eine geldwerte Bereitstellung des Körpers aus wirtschaftlichen Motiven heraus?

"Von den Freiern bleiben dann noch diejenigen übrig, die es mit Recht und Ordnung sowieso nicht so genau nehmen."
Fräulein Angelina

Freier können nie wissen, wie freiwillig ein:e Prostituierte:r die Tätigkeit ausübt und nehmen diese Unsicherheit in Kauf, sagen Kritiker:innen. Doch genauso wie Freier von Freiwilligkeit ausgehen, würde das Gegenlager immer Zwängen vermuten, bemängelt Fräulein Angelina:

"Das Nordische Modell wie auch die Teile der feministischen Szene, die Sexarbeit abschaffen wollen, gehen per se von einer Opferrolle der Frau in der Sexarbeit aus und wollen sich gern als Retter dieser 'Opfer' verstehen."

Gegen diese Erzählung wehrt sich Angelina entschieden. "Das Nordische Modell wird oft als vermeintlich 'feministisch' verkauft", sagt sie. "Frau Schwarzer zum Beispiel zieht schon seit vielen Jahren vehement gegen Prostitution ins Feld." Das sei also "ein alter Hut".

Diese "Retter"-Haltung entstünde aus einem Missverständnis heraus. Es sei der größte Fehler der Debatte, dass "freiwillige, selbstbestimmte Sexarbeit und Menschenhandel in einen Topf" geworfen würden, meint Angelina. Dabei sei das eine ein "Beruf, der dem Recht auf freie Berufswahl unterliegen sollte", das andere "ist Zwangsarbeit, moderne Sklaverei und längst illegal."

Das Nordische Modell: Segen oder Fluch für die Prostitution?

Die Einführung des Nordischen Modells würde die Situation der Prostituierten nur verschlechtern, ist sie überzeugt:

"Da mit einem Sexkaufverbot weder die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen verschwindet, noch die Notwendigkeit der Sexarbeitenden, Geld zu verdienen, verschiebt sich die Angelegenheit mehr und mehr in die Illegalität."

Räume dürften nicht mehr für Sextreffen vermietet werden, damit ginge ein ganzes Sicherheitsnetz verloren, wie Angelina erklärt: "Unter dem Nordischen Modell wird jede Form von 'Zuhälterei' unter Strafe gesetzt, das heißt auch Taxifahrer, die jemanden zu einem Date fahren, Freundinnen, denen man sagt, in welchem Hotel man einen Gast trifft, könnten belangt werden..."

Aus Angst vor der Strafverfolgungen (auch des Umfelds) würden Übergriffe dann seltener angezeigt. "Von den Freiern bleiben dann noch diejenigen übrig, die es mit Recht und Ordnung sowieso nicht so genau nehmen", glaubt die Berlinerin. Sexarbeit würde also bestehen bleiben. Nur gefährlicher.

Gibt es eine Alternative zum Nordischen Modell?

Doch was ist die Alternative? Gibt es einen Weg, Prostitution sicherer zu machen, ohne das Nordische Modell anzuwenden?

Antworten auf diese Fragen erhoffen sich viele nun von der derzeitigen Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Im Juli 2025 werden die Ergebnisse erwartet, die Aufschluss darüber geben sollen, wie Prostitution in Deutschland effektiver reguliert werden kann, um Frauen wirklich zu schützen. Denn: Es fehlt an belastbaren Zahlen zu dem Thema.

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Ein Problem in der hitzigen Debatte. "Echte Alternativen müssen auf Fakten basieren", sagt Fräulein Angelina zum Schluss. Bis dahin geht sie tanzen.

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