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Inzidenz sinkt – ist die dritte Welle wirklich gebrochen? Das sagt ein Epidemiologe

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Viele Menschen können das Ende der dritten Pandemie-Welle nicht mehr erwarten. Bild: iStockphoto / finwal
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Inzidenzzahl sinkt – ist die dritte Welle gebrochen? Das sagt ein Epidemiologe

12.05.2021, 12:0113.05.2021, 16:51
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Einige Mediziner und selbst Angela Merkel klangen in den vergangenen Tagen in Bezug auf die Corona-Pandemie ungewohnt optimistisch. Sinkende Infektionszahlen, weniger Covid-19-Fälle auf Intensivstationen und zunehmende Impfmöglichkeiten geben Hoffnung.

"In Deutschland scheinen wir auch die dritte Welle gebrochen zu haben", sagte die Bundeskanzlerin beim EU-Gipfel am vergangenen Wochenende sogar. Am Donnerstag lag die Inzidenzzahl in Deutschland nun "nur" noch bei 103 – vor einer Woche lag dieser Wert noch bei 133. Deutschland nähert sich erstmals seit langem wieder der 100er-Marke.

Ist das Schlimmste also überstanden? Können wir uns vorsichtig über das Ende der Pandemie freuen? Oder katapultieren wir uns mit zu großer Vorfreude direkt zurück in den nächsten Lockdown? watson fragte bei dem Epidemiologen Markus Scholz von der Universität Leipzig nach. Er betreibt mit seiner Arbeitsgruppe seit 15 Jahren Infektionsforschung und untersucht aktuell die Corona-Pandemie.

Er sagt:

"Ich gehe davon aus, dass uns die fortschreitende Impfkampagne aus der Epidemie führen wird."

watson: Befinden wir uns schon am Ende der dritten Welle?

Markus Scholz: Ja. Der exponentielle Trend ist im Prinzip schon seit Ende März, Anfang April beendet. Danach stiegen die Infektionszahlen nicht mehr wesentlich. Inzwischen sind deutliche Rückgänge zu verzeichnen.

Woran liegt das?

Die flächendeckende Verfügbarkeit von Schnelltests sowie deren verpflichtende Einführung in Schulen und Betrieben war nach unserer Einschätzung ein wesentlicher Faktor, der zur Beendigung der exponentiellen Phase beigetragen hat. Der aktuelle deutliche Rückgang lässt sich durch die Kombination aus Lockdown, Schnelltests sowie der jetzt gut vorankommenden Impfkampagne erklären.

Kann sich dieser Effekt noch umkehren?

Ich gehe davon aus, dass uns die fortschreitende Impfkampagne aus der Epidemie führen wird. Daten aus Israel, Großbritannien und den USA zeigen das. Die Impfbereitschaft ist in Deutschland sehr hoch. Mit zunehmender Durchimpfung können dann immer mehr Einschränkungen wegfallen. Solange der R-Wert deutlich unter 1 bleibt, kann weiter gelockert werden.

Sind in Zukunft weitere Wellen zu erwarten?

Zwei Risiken bestehen. Zum einen wird eine Durchimpfung der Kinder und Jugendlichen deutlich später erreicht. In diesem Alterssegment könnte es also nochmal zu einer stärkeren Ausbreitung kommen. Andererseits werden Kinder und Jugendliche durch die Impfung der Erwachsenen, also den Herdeneffekt, bereits mit geschützt und erkranken in der Regel nicht schwer. Eine unkontrollierte Durchseuchung erscheint angesichts der Long-Covid-Problematik aber riskant. Ich gehe deshalb davon aus, dass gewisse Hygiene- und Testkonzepte noch eine Zeit lang aufrechterhalten werden, bis auch hier ausreichend geimpft werden kann.

"Zum einen wird eine Durchimpfung der Kinder und Jugendlichen deutlich später erreicht. In diesem Alterssegment könnte es also nochmal zu einer stärkeren Ausbreitung kommen."

Und das zweite Risiko?

Das zweite Risiko besteht in der Ausbreitung von Virusvarianten, gegen die die Impfungen nicht wirken. Aktuell sieht es nicht danach aus, dass die Impfstoffe bei bestimmten Virusvarianten komplett versagen. Möglicherweise werden aber erneute Impfungen mit modifizierten Wirkstoffen perspektivisch notwendig sein, wie zum Beispiel auch bei der Grippeschutzimpfung.

Inwiefern werden sich kommende Wellen von den bisherigen unterscheiden?

Je nach den oben genannten Szenarien könnte eine zukünftige Welle verstärkt den Bereich der Kinder und Jugendlichen treffen oder durch eine neue Virusvariante gekennzeichnet sein. Ich gehe jedoch aktuell davon aus, dass weitere Wellen deutlich schwächer ausfallen werden als die zweite beziehungsweise dritte Welle in Deutschland, bei denen jeweils viel zu spät reagiert wurde bzw. noch keine hohen Impfzahlen vorlagen.

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