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Coronakrise: Was wir von den Dänen lernen können

Nightlife guests in front of La Boucherie on Vestergade in Copenhagen on the night between Thursday 2 September and Friday 3 September 2021. From Wednesday, nightclubs and bars could be open more or l ...
So sieht das Nachtleben in Kopenhagen schon seit Anfang September wieder aus: Keine Masken weit und breit.Bild: Ritzau Scanpix / Olafur Steinar Gestsson
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Coronakrise: Was wir von den Dänen lernen können

05.11.2021, 19:2906.11.2021, 15:03
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Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Situation bezüglich der Pandemie in Dänemark und Deutschland aktuell gar nicht so sehr: In beiden Ländern steigen die Infektionszahlen seit Herbstbeginn rasant an, Dänemark verzeichnet aktuell eine 7-Tage-Inzidenz von 210 pro 100.000 Einwohner (Stand: 4. November 2021), in Deutschland liegt der Wert laut Robert-Koch-Institut (RKI) bei 169,9 (Stand: 5. November 2021). Eine weitere Gemeinsamkeit findet sich in der Wahrnehmung der Pandemie als psychische Belastung, hier sind Deutsche und Dänen im positiven Sinn weltweite Spitzenreiter: Nur noch 41 Prozent der Deutschen und 39 Prozent der Dänen empfinden Corona als negativen Einfluss auf die Psyche – und befinden sich damit in der Umfrage von YouGov auf Platz 2 und 3 in der Weltrangliste der psychischen Corona-Resistenz. Nur die Saudis zeigen sich von der Krise seelisch noch weniger betroffen.

Damit enden die Gemeinsamkeiten aber auch. Denn Masken, digitale Corona-Impfnachweise und Desinfektionsmittel sucht man im öffentlichen Leben in Dänemark derzeit vergeblich. Seit die dänische Regierung zum 11. September alle Corona-Maßnahmen aufhob und den "Freedom Day" ausrief, ist für die meisten Dänen die hierzulande ersehnte Vor-Corona-Normalität wieder ganz normal. Auch steigende Infektionszahlen können an der Sorglosigkeit der Dänen scheinbar nichts ändern. Während sich in Deutschland so langsam die Panik vor dem kommenden Corona-Winter breit macht, erste Bundesländer bereits wieder den Maßnahmen-Katalog erweitern und die Situation in Kliniken und Pflegeheimen zu Recht mit Sorge betrachtet wird, halten die Dänen immer noch die Füße still.

"Dänemark hat eine deutlich höhere Impfquote als Deutschland und kann damit noch etwas 'entspannter' sein."
Epidemiologe Markus Scholz gegenüber watson

Auch wenn der dänische Gesundheitsminister Magnus Heunicke am Dienstag laut "Der Nordschleswiger" Ende Oktober einen Impf-Apell an die Bevölkerung richtete: "Wenn wir Dänemark offenhalten wollen, dann müssen noch mehr Menschen die Impfung bekommen". So richtig besorgt klingt das noch nicht. Angesichts einer Impfrate von fast 76 Prozent, das sind immerhin fast 10 Prozentpunkte mehr als aktuell in Deutschland mit 66,9 Prozent (Stand: 5. November), kann sich Heunicke auch gut in Gelassenheit üben. Dazu Professor Markus Scholz, Epidemiologe an der Universität Leipzig, gegenüber watson: "Dänemark hat eine deutlich höhere Impfquote als Deutschland und kann damit noch etwas 'entspannter' sein. Ob dies aber für die anstehende Wintersaison ausreicht, ist fraglich, da wir inzwischen deutliche Abnahmen in der Impfwirkung sowohl gegen Infektionen als auch schwere Verläufe sehen. Es kommt jetzt vor allem darauf an, wie schnell die Boosterimpfungen durchgeführt werden können."

Magnus Heunicke scheint diese Ansicht zu teilen, denn sofern man nicht geimpft sei, würde man mit "großer Wahrscheinlichkeit" im Laufe des Winters infiziert werden, sagte Heunicke weiter in seinem Impfaufruf. Diese Bemerkung führt zum ersten Punkt, warum Dänemark die Corona-Krise bisher geradezu vorbildlich gemeistert hat.

Ehrlichkeit & Transparenz

Die dänischen Gesundheitsbehörde verfolgte von Beginn an eine sehr offene Kommunikationsstrategie bezüglich der Pandemie und der angewandten Mittel zur Bekämpfung der Krise. So vermittelten sie der Bevölkerung von Anfang an, dass weder die Politik noch die Medizin zu diesem Zeitpunkt ein Patentrezept zur Bekämpfung des Virus hatte. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hatte den Dänen klar kommuniziert, dass sie bei der Corona-Politik aller Wahrscheinlichkeit nach Fehler machen werde.

"Die Art und Weise, wie Behörden kommunizieren, kann Vertrauen entweder verringern oder fördern. Eine transparente Kommunikation ist vertrauensfördernd."
Politikwissenschaftler Michael Bang Petersen im interview in der neuen zürcher zeitung

Auch der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn hatte im April 2020 ähnliches gesagt: "Wir werden in der politischen und medialen Debatte einander viel verzeihen müssen in ein paar Monaten". Nur lag der Unterschied im Vertrauen der Bevölkerung, welches beim Gesundheitsminister durch die Masken-Affäre, der gefloppten Corona-App, die Spahn dennoch stets als Erfolg darstellte, und durch die missglückte Impfstoffbeschaffung bereits beschädigt war. Der Politikwissenschaftler Michael Bang Petersen von der Universität Aarhus erforscht im im größten dänischen Projekt "Hope" die Ankündigungen der Behörden, die Agenda der Medien und das Verhalten der Bevölkerung im Bezug auf Covid-19, auch im Vergleich mit anderen Ländern. Er sagte im Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ): "Die Art und Weise, wie Behörden kommunizieren, kann Vertrauen entweder verringern oder fördern. Eine transparente Kommunikation ist vertrauensfördernd." Er hat in seiner Forschung herausgefunden, dass die ehrliche Offenlegung unangenehmer Umstände in der Krisenkommunikation kurzfristig den Widerstand gegenüber der Sache erhöht, langfristig aber das Vertrauen stärkt. Will eine Regierung oder Behörde nachhaltig das Vertrauen der Bürger gewinnen, so sei transparente Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg.

Vertrauen

Beim Stichwort Impfstoff konnten die dänischen Behörden ebenso das Vertrauen ihrer Bürger durch schnelle Reaktion und Transparenz erwerben. Als im März 2021, kurz nach dem Start der Impfkampagne, die ersten Zweifel am Impfstoff von Astrazeneca aufgrund schwerer möglicher Nebenwirkungen aufkamen, handelte die dänische Regierung schnell und entschlossen. Die Impfkampagne wurde sofort gestoppt, der Impfstoff aus dem Verkehr gezogen. "Dies wurde im Wissen gemacht, dass die Impfung in gewissen Alters­klassen Anlass zur Sorge geben könnte, und niemand hat versucht, das unter den Teppich zu kehren. Das erzeugte Vertrauen", sagte Petersen dem Onlinemagazin "Republik". Mit Erfolg: Etwa 95 Prozent der Däninnen und Dänen gaben während der gesamten Zeit der Pandemie an, der Regierung zu vertrauen. Der Vergleich zu Deutschland könnte den Unterschied nicht deutlicher machen: Um die mickrigen zehn Prozent bewegt sich nach Statista der Anteil der Deutschen, die ihrer Regierung vollstes Vertrauen schenken. Ende März 2021, als mitten im Lockdown das Hin und Her um dem Astrazeneca-Impfstoff seinen desaströsen Lauf nahm, lag der Wert zeitweise sogar deutlich unter der 10-Prozent-Marke.

Eine hohe Impfquote

Die Entscheidung, den Impfstoff von Astrazeneca nicht mehr zu verwenden, warf die dänische Impfkampagne zwar um mehrere Wochen zurück. Aber langfristig zahlte sich das rasche und entschlossene Handeln in diesem Punkt aus. Dänemark konnte zum 10. September alle Corona-Maßnahmen aufheben und den Dänen ihre Freiheit zurück geben.

Petersen dazu in der NZZ: "Menschen sind bereit, sich impfen zu lassen, wenn sie den Empfehlungen der Gesundheitsbehörden vertrauen. Dies hat unsere Forschung klar gezeigt. Je stärker eine Person den Behörden vertraut, desto eher ist sie bereit, einer Impfempfehlung Folge zu leisten. Dies gilt übrigens auch, wenn man länderspezifische Daten miteinander vergleicht. Die Dänen haben sehr großes Vertrauen in die Gesundheitsbehörden."

"In Dänemark ging es bei der Impfung weniger um den persönlichen Schutz als darum, das Richtige für die Gesellschaft zu tun. Die Pandemie wurde vor allem als kollektive Bedrohung angesehen."
Michael Bang Petersen über seine Forschungsergebnisse in der NZZ

Gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein

Vertrauen ist wichtig, aber es gibt noch einen anderen Faktor, der in Dänemark zu einer bisher ausgesprochen positiven Krisen-Bilanz geführt hat. Zusammenhalt und Einigkeit haben in der dänischen Politik über Parteigrenzen hinweg die Regierung in ihren Entscheidungen unterstützt, ohne sich, wie in Deutschland, in parteipolitischer Profilierung oder föderalistischem Klein-Klein zu verlieren. Ein gutes Beispiel, dass das gesellschaftliche Verantwortungsbewusstsein in Dänemark während der Krise illustriert, ist der Ablauf der Abstimmung über das weitreichende Notstandsgesetz, das die Premierministerin Frederiksen vor Inkraftsetzung des Lockdowns im März 2020 vom dänischen Parlament verabschieden lassen musste. Von den insgesamt 179 Abgeordneten des Folketing erschienen nur 95 Parlamentarier, um den nötigen Sicherheitsabstand gewährleisten zu können. Die Anwesenden stimmten geschlossen über alle Parteigrenzen hinweg ab, stellvertretend für ihre Mitparlamentarier, aus gesellschaftlicher Verantwortung heraus. "Ich war total gerührt, als ich sah, dass das gesamte Parlament aufgestanden ist und dafür gestimmt hat», sagte Gesundheits­minister Magnus Heunicke laut Republik im Nachhinein über den Ablauf der Abstimmung. "Die Partei­politik wurde beiseite­gelegt, um alles zu tun, um Dänemark sicher durch diese Situation zu bringen."

Michael Bang Petersen bestätigt diese Haltung in der NZZ auch über seine Forschungsergebnisse zur außergewöhnlich hohen Impfbereitschaft der dänischen Bevölkerung: "In Dänemark ging es bei der Impfung weniger um den persönlichen Schutz als darum, das Richtige für die Gesellschaft zu tun. Die Pandemie wurde vor allem als kollektive Bedrohung angesehen."

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