Während Tourist:innen in Airbnb-Apartments frühstücken, kämpfen viele Spanier:innen mit der alltäglichen Realität: steigende Mieten, wachsende Armut, Verdrängung aus ihren Vierteln. Wohnungen sind für Unternehmer:innen und Vermieter:innen zur profitablen Ware geworden, das einfache Wohnen für Einheimische ist hingegen vielerorts kaum bezahlbar.
In über 40 spanischen Großstädten protestierten am Samstag zahlreiche Menschen bei Großdemonstrationen. Die Botschaft in Städten wie Barcelona oder Málaga: "Pinchemos la burbuja del alquiler" (Lasst uns die Mietblase platzen lassen). Denn das Netzwerk "Movimiento de Vivienda", ein Zusammenschluss aus Mietervereinigungen und sozialen Bewegungen, hat zu Protesten für bezahlbaren Wohnraum aufgerufen.
Einer der Gründe für die heftig ansteigenden Mietpreise bei geringem Wohnungsaufkommen ist der Tourismus. In der südspanischen Stadt Málaga hat sich die Zahl der Ferienwohnungen auf Plattformen wie Airbnb oder Booking.com seit Beginn der Corona-Pandemie mehr als verdoppelt, während die Mieten für Einheimische um 40 Prozent gestiegen sind.
Tourismusforscher Enrique Navarro von der Universität Málaga bestätigt gegenüber "Zeit Online" den Zusammenhang: "Es lässt sich die Steigerung der Mieten zu 55 Prozent durch die wachsende Zahl der Ferienappartements erklären."
Mittlerweile gibt es in der Stadt mit rund 600.000 Einwohner:innen, etwa 15.000 Ferienwohnungen. Das übertrifft sogar Tourismus-Hotspot Barcelona, eine Millionenmetropole.
Doch auch dort sorgt der Tourismus für massive Ausiwrkungen auf Einwohner:innen. Das Wirtschaftsinstitut IEB stellte bereits 2019 fest, dass in Stadtteilen mit besonders vielen Ferienwohnungen die Mieten im Schnitt um sieben Prozent gestiegen waren
"Durch Airbnb haben Barcelonas Eigentümer erst verstanden, wie rentabel ihr Besitz in einer touristisch interessanten Stadt sein kann", erklärt Josep Lladós, Wirtschaftswissenschaftler an der Universitat Oberta de Catalunya gegenüber "Zeit Online".
Während Barcelona den Ferienwohnungsmarkt seit Jahren streng reguliert, hinkt Málaga hinterher. Bereits 2014 hat die katalanische Hauptstadt die Vergabe von Lizenzen für touristische Vermietung gestoppt.
Unter der früheren Bürgermeisterin Ada Colau wurden illegale Unterkünfte aufgespürt und mit Geldstrafen von bis zu 600.000 Euro sanktioniert. Die Zahl dieser Appartements sank dadurch von etwa 9000 auf rund 300. Der aktuelle sozialistische Bürgermeister Jaume Collboni geht noch weiter: Ab November 2028 verlieren alle knapp 10.000 verbleibenden Lizenzen ihre Gültigkeit.
Ganz anders in Málaga: Zwar hat die Stadt seit Januar 2024 eine Quotenregelung eingeführt, wonach neue Lizenzen nur in Vierteln mit weniger als acht Prozent Ferienwohnungen vergeben werden dürfen. Doch für die rund 13.000 bestehenden Lizenzen ändert sich nichts.
Carmen Casero, Stadträtin der konservativen Partido Popular, lehnt harte Maßnahmen wie in Barcelona ab. Gegenüber "Zeit Online" nimmt sie die Eigentümer:innen in Schutz: "Wenn viele lieber an Touristen als an Einheimische vermieten, liegt das vielleicht auch an der unsicheren Rechtslage und der geringen Rendite". Eine Stichelei gegen die Regierung rund um Ministerpräsident Pedro Sánchez.
Im Jahr 2023 hatte die spanische Linksregierung ein neues Wohnraumgesetz verabschiedet, das Mietanpassungen auf 2,28 Prozent pro Jahr begrenzt und Mietpreisbremsen ermöglicht. In Barcelona sind die Mieten seither um 6,4 Prozent gesunken, in ganz Katalonien um 3,7 Prozent.
Der Markt bleibt dennoch angespannt. Laut der Immobilienplattform Idealista ist die durchschnittliche Miete in Spanien in den vergangenen zehn Jahren um 100 Prozent gestiegen – bei nur 20 Prozent Lohnzuwachs. Wohnraum ist für viele Spanier:innen zur größten Sorge geworden.
Die Lösung des Problems ist eben nicht der Mangel an Wohnraum, zumindest wenn es nach Gonzalo Álvarez von der Mieterorganisation Sindicato de Inquilinas e Inquilinos geht. Er sagt dem "BBC": "Es fehlt nicht an Wohnungen, sie werden gekapert – von touristischen Vermietungen auf der einen Seite und von Geierfonds und Banken auf der anderen."
Seine Organisation fordert drastische Zwangsmaßnahmen gegen Spekulant:innen und droht mit einem landesweiten Mieterstreik.
Der Frust auf den Balearen ist schon lange groß. Zuletzt kritisierten auf Mallorca Aktivist:innen in einem offenen Brief laut "Euronews": "Die Gier und der Geiz von Hoteliers, Politikern, Immobilieninvestoren und Schmarotzern aller Art haben das Ökosystem der Insel verschlechtert, die öffentlichen Dienste überlastet und die Gentrifizierung ausgelöst". Tourist:innen sollten die Insel meiden, so die Aufforderung.
Auch auf den Kanarischen Inseln brodelt es. Laut dem spanischen Statistikamt sind dort 33,8 Prozent der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht – mehr als in fast jeder anderen Region Spaniens.
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez spricht inzwischen von einer "gesellschaftlichen Notlage". Er betont: "Die Spanier wollen, dass der Wohnungsmarkt nach dem Gesetz der Vernunft funktioniert, nach sozialer Gerechtigkeit, nicht nach dem Gesetz des Dschungels."
Um den Immobilienmarkt vor spekulativen Käufen zu schützen, plant Spanien daher eine 100-prozentige Steuer auf Immobilienkäufe durch Nicht-EU-Bürger:innen.