Wie schaffen es rechtsextreme politische Kräfte, so erfolgreich zu sein? In der Stadt Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt stellt die Alternative für Deutschland (AfD) nun das erste Mal einen Bürgermeister und laut einer aktuellen Insa-Umfrage kommt die AfD auf einen neuen Höchstwert: Mit 21 Prozent der Stimmen liegt sie damit nur noch 4,5 Prozent hinter der CDU.
Es gibt viele Antworten darauf. Eine davon findet man in den Sozialen Medien.
Erfunden wurde das Internet mit der idealistischen Vorstellung, einen freien Raum für alle Menschen der Welt zu schaffen, um sich zu vernetzen und Zugang zu Wissen zu erlangen. Im Jahr 2023 ist es aber auch ein Sammelbecken für Extremismus, Fake News, Hass und Hetze. Heute sind "Social-Media-Dienste (...) zentrale Mittel zur Verbreitung rechtsextremer Propaganda", schreibt jugendschutz.net.
Laut deren Studie aus dem Jahr 2020/2021 fallen 90 Prozent der Meldungen auf Social Media in diese Kategorie. "Rechtsextremismus im Netz erlebt einen traurigen Boom." Vor allem drastische Verstöße überwiegen: Posts von verfassungswidrigen Organisationen, Volksverhetzung und Holocaustleugnung.
Wessen Medienkompetenz nicht groß genug ist, gerät schnell in den Sog gefährlicher sozialer Kräfte.
Jan Rau ist Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Medienforschung. Er warnt im Gespräch mit watson eindrücklich vor digitalem Rechtsextremismus, der "eine substanzielle Bedrohung für unsere Demokratie" darstellt.
Zwar könne man die weltweiten Wahlerfolge rechter Parteien nicht alleine mit der Verbreitung ihrer Inhalte über das Internet begründen. Aber sie wüssten, wie sie es effizient für ihre Zwecke nutzen. "Wir haben kein Problem mit Rechtsextremismus, weil wir das Internet haben. Aber das Internet gibt dem digitalen Rechtsextremismus einen neuen entscheidenden Manövrierraum ", sagt Rau. Es verstärke außerdem politische Konflikte und verschaffe extremen Stimmen mehr Sichtbarkeit.
Vorfälle wie die Attentate von Christchurch und Halle seien "tief in Online-Subkulturen verwurzelte, live-gestreamte rechtsterroristische Anschläge gewesen". Aber auch bei der Stürmung des Capitols in Washington und dem versuchten Sturm auf den Bundestag in Berlin spielten digitale Plattformen eine große Rolle.
Seine Kollegin Josefa Francke erklärt den Erfolg des Rechtsextremismus im digitalen Raum so:
Denn Inhalte, die die viel geklickt werden, bringen Profit. Meist sind das kontroverse Themen wie Sex, Promis und Gewalt. Und Plattformen wollen Nutzer so lange wie möglich auf ihren Seiten halten. Logisch, dass solche Inhalte deshalb häufiger angezeigt werden.
Rechte bedienen sich genau dieser Logik: "Rechtsextreme Inhalte sind oft polarisierend, sie lösen starke Emotionen aus wie Wut oder Angst, egal, welchem politischen Spektrum Lesende sich zuordnen", sagt Francke zu watson. Dementsprechend könnten sie besonders viel Raum auf den Plattformen bekommen und viele Menschen erreichen.
Extremisten suchen nicht nur Aufmerksamkeit im Netz, sondern auch Unterstützer:innen. Gerade Jugendliche sind im Visier. Auf Social Media präsentieren sich Rechte oft als sympathische, offene Menschen und versuchen, Jugendliche zu bekehren.
Céline Wendelgaß kennt dieses Problem. Sie ist Bildungsreferentin bei der Bildungsstätte Anne Frank mit dem Schwerpunkt antisemitismus- und rassismuskritische Bildungsarbeit.
Damit Jugendliche nicht auf politische Radikalisierung von Islamisten oder Rechtsextremen hereinfallen, hat die Bildungsstätte das Spiel "Hidden Codes" entwickelt. Diese App hilft Schüler:innen, subtile Radikalisierungsangebote, also "versteckte Codes" auf Social Media zu erkennen.
Im Spiel erstellt man ein Social Media-Profil und wird dann von den NPCs, den Non-Player-Charactern, angeschrieben und in die Geschichte eingeführt. Im Laufe der Kapitel beobachtet der oder die User:in die Radikalisierung einer anderen Person.
Wendelgaß erklärt:
Zwar sei die Aufmerksamkeit für die Problematik von digitalem Rechtsextremismus inzwischen gestiegen und Instagram habe viele Accounts der Neuen Rechten gesperrt. Doch es gibt genügend andere Plattformen.
Spieler:innen sollen lernen, problematische Codes wie die Zahlen 18, 88 oder die Triskele, ein von Nazis genutztes Symbol, zu erkennen – und richtig einzuordnen. "Es kann oft auch Gründe haben, zum Beispiel Unwissenheit oder das Geburtsjahr im Benutzernamen. Deshalb ist es wichtig, dass man da genauer hinguckt." Wendelgaß spricht von diesen Codes als "Puzzlestücken", die man zusammensetzen muss, um das ganze Bild zu erkennen.
Auch "Digital Streetwork" gehört dazu: Hier sind Sozialarbeitende in Foren aktiv, steigen in Diskussionen ein, hinterfragen rechtsextreme Standpunkte und schaffen Ausstiegsmöglichkeiten.
Vor allem ältere Bevölkerungsgruppen gilt es zu erreichen. Diesen fehlten laut Rechtsextremismusforscher Rau oft Kompetenzen im digitalen Raum. "Wir wissen aus der Forschung, dass unter anderem gerade auch von älteren Generationen problematische Inhalte wie Desinformationen besonders oft geteilt werden."
Präventive Maßnahmen wie Bildungsarbeit sind ein wichtiges Instrument gegen Rechtsextremismus und für eine "wehrhafte Demokratie". Jan Rau fordert, dieses bereits gängige Konzept stärker auf den digitalen Raum zu übertragen. So solle, wenn nötig, auch mit repressiven Instrumenten wie dem Verbot demokratiefeindlicher Parteien eine "demokratische Resilienz" aufgebaut werden.
Trotzdem: Das Internet ist nicht per se schlecht. Erst der oder die Nutzer:in entscheidet darüber, ob es ein Werkzeug zum bösen oder guten Zweck ist. Wie auch immer man gut und böse definiert.
Jan Rau erklärt:
Es kann aber auch eine Chance sein.
Denn auf der anderen Seite hat das Internet Rau zufolge auch "ein wahnsinnig großes demokratisches Potenzial, damit marginalisierte und ausgeschlossene Stimmen neue Sichtbarkeit bekommen".
Von diesem "erweiterten Diskursraum" und "aufgebrochenen Strukturen" über Social Media profitierten auch demokratische Bewegungen wie die Klima-, die feministische oder die antirassistische Bewegung. "Dass wir diesen Raum schützen und ermöglichen, ist eine genauso wichtige Aufgabe, wie das autoritäre Potenzial einzudämmen."
Weitere wichtige Bausteine im Kampf gegen digitalen Rechtsextremismus sind Transparenz, beispielsweise durch Datenzugänge für Forschende, und repressive Interventionen wie Verbote. Erste Schritte in diese Richtung gibt es bereits.
Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und Digital Services Act (DSA), dem Gesetz über digitale Dienste, gebe es inzwischen strengere Rahmenbedingungen der Bundesregierung, wie die Plattformen ihre Inhaltsmoderation gestalten müssen, erklärt Francke. Menschenrechte müssen beispielsweise in den Nutzungsbedingungen berücksichtigt werden. "Anstatt lediglich repressiv vorzugehen, schafft die Plattform prozedurale Garantien, um ein sicheres Umfeld für alle Nutzenden zu schaffen."