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Sterbehilfe-Gesetz wird stark kritisiert: Diese Vorschläge sind im Gespräch

Viele Menschen wünschen sich einen Tod ohne Schmerzen.
Viele Menschen wünschen sich einen Tod ohne Schmerzen.Bild: iStockphoto / kieferpix
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Kritik am neuen Gesetz zur Sterbehilfe: Warum die Debatte in die falsche Richtung geht

29.05.2022, 10:0629.05.2022, 10:19
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Mitte Mai wurde im Bundestag ein hoch kontroverses Thema diskutiert: ein neues Gesetz zur Sterbehilfe. Denn das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung wurde in Deutschland 2020 vom Bundesverfassungsgericht gekippt – mit der Begründung, es schränke die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung und damit das Recht auf ein selbst bestimmtes Leben zu sehr ein.

In Deutschland tätige Sterbehilfe-Organisationen sind die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, die Dignitas Deutschland und Sterbehilfe Deutschland. Während erstere die Freitodbegleitungen nur vermittelt, dürfen Dignitas und Sterbehilfe Deutschland selbst mit tödlichen Arzneimitteln Beihilfe zur Selbsttötung leisten. Eine YouGov-Umfrage von 2021 zeigt, dass 72 Prozent der Deutschen eine aktive Sterbehilfe befürworten – mehr als noch 2019.

Dies taten sie nach eigenen Angaben im Jahr 2021 in fast 350 Fällen, bei denen sie Suizide begleitet oder Assistenz für die Selbsttötung vermittelt haben. Als Gründe für den Sterbewunsch der Betroffenen werden darin schwere Erkrankungen, aber auch sogenannte Lebenssattheit genannt. Alle drei Organisationen stellten auch Hilfe für Paare mit einem gemeinsamen Sterbewunsch bereit.

Der deutsche Bundestag steht nun vor der kniffligen Frage: Wie soll man ein Gesetz zum begleiteten Suizid gestalten, um dies möglichst human und rechtlich abgesichert umzusetzen?

Welche Arten der Sterbehilfe gibt es in Deutschland?
Passive Sterbehilfe ist das Sterbenlassen durch Unterlassen oder Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen. Sie ist seit 2010 in Deutschland erlaubt, wenn sie dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht.

Indirekte Sterbehilfe
ist legal und bedeutet das Inkaufnehmen eines verfrühten Todes aufgrund einer schmerzlindernden Behandlung im Einverständnis des Betroffenen.

Assistierter Suizid
ist die Hilfe bei der Selbsttötung, beispielsweise durch das Bereitstellen eines Giftes, das der Suizident selbst zu sich nimmt. In Deutschland ist dies vom Grundsatz her nicht verboten und eine Grauzone.

Aktive Sterbehilfe
ist das Töten eines anderen Menschen auf sein ausdrückliches Verlangen hin mithilfe einer tödlichen Substanz. Diese ist in Deutschland weiterhin verboten

Vivantes-Geschäftsführer zweifelt an Gesetzes-Vorschlägen

Dr. Eibo Krahmer, Geschäftsführer der Vivantes-Gruppe, die auch Hospize betreibt, sagt gegenüber watson dazu: "Alle drei Vorschläge haben erst mal dasselbe Problem." Zwar müsse der Bundestag auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes reagieren, doch eigentlich sei es ursprünglich um etwas ganz anderes gegangen:

"Man wollte ursprünglich das Thema Strafe der Suizidbeihilfe regeln und jetzt ist man wieder darauf [auf die Sterbehilfe] eingeschwenkt und will noch ganz viel nebendran regeln."

Seiner Einschätzung nach hätten die Abgeordneten "jeder für sich bestimmte Bilder im Kopf, in welchen Situationen Sterbehilfe geleistet werden soll."

Diese Ideen versuche man jetzt alle in einen Gesetzentwurf zu packen. "Und verkennt aber dabei, dass die Situation derjenigen, die den Wunsch haben, ihr Leben zu beenden, völlig unterschiedlich sind." Krahmer zweifelt deshalb, ob überhaupt einer der drei Vorschläge allen in diesen Situationen gerecht werden könne.

Eibo Krahmer, Vivantes Geschäftsführer Finanzen, kommt zur Jahres-Pk von Vivantes ins Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum. Vivantes hat das Jahr 2021 mit einem ausgeglichenen Ergebnis von 3,3 Mio. Euro ...
Vivantes Geschäftsführer Eibo KrahmerBild: dpa / Jörg Carstensen

Denn das Thema Sterbehilfe ist äußerst komplex: Wie stellt man sicher, dass niemand aus reiner Profitgier geschäftsmäßige Sterbehilfe durchführt, wie verhindert man die Beeinflussung von schwerkranken Menschen in ihrer Entscheidung? Und ab wann, wie lange und unter welchen Umständen ist solch eine persönliche Entscheidung überhaupt gültig?

Im Bundestag werden derzeit drei Vorschläge diskutiert, ein allgemeingültiges Gesetz zur Sterbehilfe soll bis Oktober beschlossen werden.

Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung

Nach dem Entwurf einer Abgeordnetengruppe um Lars Castellucci (SPD) und Benjamin Strasser (FDP) soll die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe gestellt werden. Um die freie Entscheidung festzustellen, sollen Ausnahmen mit vorherigen fachärztlichen Untersuchungen möglich sein.

Dafür sollen in der Regel zwei Untersuchungen durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Abstand von drei Monaten und eine umfassende ergebnisoffene Beratung vorgegeben werden.

Suizidhilfegesetz

Eine Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP), Petra Sitte (Linke) und Helge Lindh (SPD) schlägt eine Neuregelung außerhalb des Strafrechts vor. Sie soll "das Recht auf einen selbstbestimmten Tod legislativ absichern und klarstellen, dass die Hilfe zur Selbsttötung straffrei möglich ist". Ziel seien autonome und freie Entscheidungen.

Vorgesehen ist ein breites Beratungsangebot. Ärzte sollen Arzneimittel zum Zweck der Selbsttötung dann verschreiben dürfen, wenn sie "von der Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit des Sterbewunsches" ausgehen. Seit der Beratung müssten in der Regel mindestens zehn Tage vergangen sein.

Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben

Die Grünen-Abgeordneten Renate Künast und Katja Keul stellten Eckpunkte für ein "Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben" vor. Es gehe darum, Betroffenen mit klaren Kriterien einen Zugang zu bestimmten Betäubungsmitteln zu verschaffen.

Unterschieden werden solle im Verfahren zwischen Menschen, die an schweren Erkrankungen leiden und Suizidwünschen aus anderen Gründen.

Vor der Abgabe tödlicher Mittel sei laut den Grünen-Politikerinnen eine verpflichtende Beratung angemessen und verhältnismäßig, um die Selbstbestimmtheit und Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches abzusichern.

Patientenschützer äußern sich ablehnend

Laut dem Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, werde allerdings keiner der Vorschläge der vom Verfassungsgericht vorgegebenen Autonomie von Suizidwilligen gerecht. Auch verbiete es sich, das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung an Leidenskriterien zu knüpfen. Ein Schutz vor Fremdbestimmung könne durch eine Beratung ohnehin nicht erzielt werden.

"Wenn das Parlament etwas regeln will, dann muss es das Handeln des Sterbehelfers strafrechtlich in den Fokus rücken."
Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch

Brysch sagte, zwingend erforderlich sei eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Deutschland nicht. "Suizidmittel und Angebote der Unterstützung sind vorhanden." Und: "Wenn das Parlament etwas regeln will, dann muss es das Handeln des Sterbehelfers strafrechtlich in den Fokus rücken", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Jeder Suizidhelfer sollte persönlich garantieren, dass die Entscheidung ohne Einfluss und Druck seitens Dritter zustande gekommen sei.

Bessere Versorgung statt Behilfe zum Suizid

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin plädiert für ein Sterbepräventionsgesetz und Suizidprävention als Lehrinhalt: Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), Prof. Dr. Claudia Bausewein sagte dazu:

"Der Zugang zu Suizidassistenz darf nicht leichter sein als der Zugang zu Suizidprävention und Hospiz- und Palliativversorgung!"

Mehrere Rednerinnen und Redner mahnten in der Bundestagsdebatte ebenfalls zu einem Ausbau von Suizidprävention sowie von Palliativangeboten an. So sagte Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), meist handele es sich bei den Betroffenen um den Wunsch nach einer Pause von einer als unerträglich empfundenen Lebenssituation.

Dies kann auch die Hospiz-Leiterin der Vivantes Gruppe Michaela Schulze bestätigen. Sie wünscht sich zwar eine Straffreiheit für Sterbehilfe leistende Ärzte, erklärt aber gegenüber watson, dass es oft gar nicht so weit kommen muss:

"Die Leute kommen in einem desolaten Zustand an und kriegen hier Zuwendung. Oft sind es gar nicht die Schmerzmittel, sondern die Zuwendung, das Gespräch, etwas Vernünftiges zu Essen, das im Garten sitzen und die Therapie. Plötzlich nehmen sie wieder am Leben teil und merken: Das ist ja doch lebenswert. Und wenn es manchmal nur drei Wochen sind. Aber es sind drei Wochen, die mit sehr viel Leben gefüllt sind."

Üblicherweise berichtet watson.de nicht über Suizide. Wir orientieren uns dabei am Pressekodex. Eine Ausnahme ist beispielsweise dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte von öffentlichem Interesse handelt.

Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der anonymen Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner unter 0800 111 0 111.

(mit Material der dpa)

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