Wie willst du leben? Was steckt in dir? Wie entsteht Gemeinschaft? Und wie können wir die Welt verändern? Mit diesen Fragen beschäftigten sich junge Menschen fünf Monate lang auf einem Biolandhof bei Kassel. Sie sind Teilnehmer:innen des "Bachelor of Being" kurz Bob.
Gerade ging der zweite Jahrgang mit 25 Jugendlichen im Alter zwischen 18 und 25 zu Ende. Sie traten an, um sich ein halbes Jahr "den wesentlichen Fragen des Lebens zu widmen", wie es auf der Website heißt. Module heißen unter anderem "Ich mit mir selbst" oder "Lebensfreude".
Der Bachelor of Being ist kein alternativer Bachelor-Studiengang, wie der Name vielleicht vermuten lässt, sondern ein Kurs zur Selbstfindung, angelehnt an das skandinavische Modell der "Folkehojskole", zu Deutsch "Volkshochschule". Die Folkehojskole gibt es seit 150 Jahren – und zwar kostenlos. Jeder dänische:r Bürger:in darf dort einige Monate an seiner persönlichen Weiterentwicklung arbeiten.
Bob-Mitgründer Wolf Schneider erklärt im Gespräch mit watson die Ziele des "Bachelor of Being", die eine "Folkehojskole 2.0" sein soll: "Hier sollen junge Leute nach Schulabschluss eine philosophisch-weltanschauliche und introspektive Orientierung ohne Benotung finden können." Er sagt, die Skandinavier hätten ihr Bildungskonzept der Folkehojskole sogar aus Deutschland – von Wilhelm von Humboldt, Goethe und Schiller.
Das Bob ist sozusagen also ein neues, altes Konzept der Bildung. Aber auch praktische Skills lernen die Jugendlichen auf dem Hof – wie Kochen, Bauen oder sogar Gebärdensprache. Jede:r soll dort etwas von seinem Wissen an die anderen weitergeben.
Obwohl sie kein Geld für Marketing hatten, sei das Bob gut angekommen. Die Bewerber:innen seien "schon schwerpunktmäßig linksgrün", sagt Wolf. "Es sind Leute, die gesellschaftskritisch sind, praktisch und eher sensibel." Die meisten hätten gerade ihr Abitur gemacht, es gebe auch mal jemanden mit abgebrochener Lehre, das sei jedoch seltener.
Die erste Gruppe "Bobbies", wie sie sich selbst spielerisch nennen, hat nun ein halbes Jahr wichtige Dinge des Lebens gelernt – sowohl philosophisch als auch handwerklich.
Henning, 21, hat gerade den letzten Tag des Kurses hinter sich. Er sagt, ihm habe dieses halbe Jahr gutgetan: "Ich habe das Gefühl, meine Begabungen und Interessen besser zu kennen und mir selbst auch mehr zu vertrauen. Ich weiß jetzt eher, in welchem Bereich ich einen Platz finden kann."
Hennings Abitur fiel zeitlich genau auf den Anfang der Corona-Pandemie. Ein Faktor, der die Berufsorientierung in dieser entscheidenden Lebensphase nicht gerade erleichterte.
Stattdessen wohnte Henning weiterhin zu Hause und schrieb sich nach dem Abitur 2020 für einen Studiengang an der Universität ein. Nach kurzer Zeit brach er ihn wieder ab. Heute sagt er, er habe sich nichts anderes getraut. "Ich habe immer das niedrigschwelligste gemacht, einfach, um irgendwas zu machen."
Es folgte ein Semester Evangelische Theologie, aber auch das fühlte sich für Henning falsch an. "Ich hatte das Gefühl, nicht wirklich bereit dafür zu sein und so viele andere Probleme oder Entwicklungsaufgaben in mir zu spüren. Ich hatte auch das Gefühl, ich möchte etwas erleben, ich möchte raus und nicht studieren."
Der Bachelor of Being dagegen fühlte sich für Henning sofort richtig an. Nachdem er zwei Wochen lang ein gratis Bob-Camp besucht hatte, finanziert vom Bundesfamilienministerium, wollte er sich sofort für das ganze Programm einschreiben.
Seine Mutter war sofort begeistert von der Idee ihres Sprösslings, sein Vater zögerlich. Henning erzählt: "Mein Vater sagte: 'Erfahrungen kannst du auch draußen in der Welt, im Studium oder irgendwo anders sammeln, da musst du nicht zum Bob gehen'" Schließlich stimmten sie jedoch zu, Hennings Zeit der Selbstfindung beim Beachelor of Being zu finanzieren.
Wolf Schneider kennt diesen Druck, der oft – unbewusst oder bewusst – von den Eltern auf die Kinder ausgeübt wird. Er sagt:
Natürlich könne man Standardwege gehen, Jura, Medizin oder BWL studieren. "Aber viele haben das Gefühl, dass sie damit das alte Modell der Gesellschaft unterstützen, ein System, das gerade an vielen Stellen kollabiert." Sie hätten Angst, Teil eines Systems zu sein, dem sie inhaltlich vielleicht gar nicht zustimmen. Wolf Schneider ist sich sicher, dass so etwas ohnehin nur zum Burnout führen kann. "Das wollen wir verhindern."
Weniger Arbeitsjahre bedeuten allerdings weniger Rentenpunkte: "Unsere Gesellschaft muss sich das leisten können", sagt Wolf dazu. Statistiken zeigten, dass eine Orientierungszeit gerade in diesem Alter sehr wichtig sei. "Wenn man einen Bildungs- oder Berufsweg geht, mit dem man überhaupt nicht übereinstimmt, hat man später krasse Wechsel. Dann ist die Rente auch nicht groß."
Um sich selbst besser kennenzulernen, gibt es im Bachelor of Being "Spots", also einwöchige Seminare mit unterschiedlichen Themen. Henning erzählt, ihm habe der Spot Biografie und Prägung am besten gefallen: "Da haben wir (...) in unsere Kindheit und Jugend zurückgeschaut, sind das ganze Leben einmal abgegangen." Vor allem mit der Zeit in der Grundschule habe er sich identifizieren können. Dort habe er ein "Gefühl von Selbstwert, ein Gefühl, angenommen zu sein und in Beziehungen vertrauen zu können", wiederentdeckt. "Das hat mir sehr geholfen."
Ein anderer Spot im Bob war Tod und Vergänglichkeit. Zwei Dozenten der Integralis-Akademie, einem Weiterbildungsinstitut für menschliches Bewusstsein, führten dafür über drei Tage ein Ritual mit den Jugendlichen durch. Mit Übungen und "viel Drumherum" sollten sich die jungen Bobbies in die Lage hineinversetzen, in zwei Tagen zu sterben:
Henning erzählt, durch das Ritual habe er ganz neue Fragen an das Leben gestellt. "Diese Realität, dass wir sterben werden, führt neu ins Leben rein. Man begreift die Qualität und das Geschenk des Lebens." Im Nachgang wurde das Thema zusammen verarbeitet und im Team darüber gesprochen. "Einige haben mir gesagt: Ich kam nicht dazu, das richtig zu verarbeiten und es ist zu viel", berichtet Henning. Er selber empfand den Spot aber als "positive Herausforderung".
Bevor sie wieder in die Welt entlassen werden, lernen die Jugendlichen beim Bob zum Schluss noch praktische Dinge – etwa zum Thema Mietverträge, Steuererklärung, Autokauf oder ethische Geldanlage.
Was er jetzt, nach dem Bachelor of Being, konkret mit seinem Leben machen will, weiß Henning weiterhin nicht. Erst einmal will er sich noch mehr orientieren, zum Beispiel vier Wochen auf dem Bauernhof seines Onkels mithelfen. "Danach werde ich wahrscheinlich jobben, Praktika machen oder andere Angebote wahrnehmen, wo man auf irgendeine Weise Erfahrungen sammeln kann." Die Suche nach sich selbst, sie kann manchmal dauern.