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Gefälschte Impfnachweise, dubiose Zertifikate – Apothekerin über Impfgegner-Tricks

Ein Blick reicht für Experten oft, um eine Fälschung zu erkennen.
Ein Blick reicht für Experten oft, um eine Fälschung zu erkennen.Bild: www.imago-images.de / Rainer Droese
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"Da war dann klar, dass irgendwas nicht stimmen kann": Apothekerin erzählt, wie Impfgegner versuchen, Impfnachweise zu fälschen

29.12.2021, 11:0829.12.2021, 15:23
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Das deutsche Impfbuch feiert sein Comeback. Während das kleine, gelbe Heftchen vor der Corona-Pandemie meist vergessen in irgendwelchen Schubladen oder Papierstapeln lag – man erinnere sich an die Kampagne "Deutschland sucht den Impfpass" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung – ist es nun zum bedeutenden Ausweisdokument aufgestiegen. Inzwischen kann man sogar vielerorts schick designte Schutzhüllen für das gelbe Impfbuch kaufen.

Doch nicht alle finden das gelbe Heft aus Kindertagen überhaupt wieder oder können es noch verwenden, vielleicht ist es beschädigt oder gar schon voll. Ein druckfrisches, neues Impfbuch kann allerdings inzwischen bereits verdächtig wirken, denn die Fälle von gefälschten Impfdokumenten mit einer angeblichen Covid-Impfung steigen rasant an. Wie die Tageszeitung "taz" in einer Umfrage unter den Landeskriminalämtern herausfand, ermitteln die Behörden derzeit bundesweit in mehr als 11.000 Fällen wegen gefälschter Impfzertifikate.

Ein Problem, an das vor der Pandemie mangels Notwendigkeit kaum jemand dachte: Die klassischen gelben Impfbücher sind leicht zu fälschen. Die Kontrollmöglichkeiten wurden erst vor kurzem verbessert. Apotheken, die diese Impfnachweise meist digitalisieren, sind ungewollt in die Rolle der Aufpasser geraten. Doch leicht ist dieser Job nicht.

"In Einzelfällen berichten uns Apotheker und Apothekerinnen davon, dass auf einen aufgedeckten Fälschungsversuch aggressiv reagiert wird"
Ursula Sellerberg, Sprecherin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände

Die Angst vor aggressiven Impfgegnern

Was tun, wenn Apotheker erkennen, dass sie gefälschte Impf-Dokumente vor sich haben? "Der erste, gesetzlich vorgeschriebene Schritt ist, die Ausgabe des Impfzertifikats in der Apotheke zu verweigern. Ob der oder die Apotheker oder Apothekerin in dann eine Anzeige erstattet, ist eine Frage des Ermessens", erklärt Ursula Sellerberg, Sprecherin der ABDA, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Denn theoretisch unterliegen Apotheker der Schweigepflicht und dürfen keine Gesundheitsdaten preisgeben.

Dass diese Entscheidung den Apothekern und Apothekerinnen nicht leicht fällt, kann man gut verstehen – viele Impfgegner zeigen eine starke Gewaltbereitschaft. Das zeigt sich immer wieder bei Protesten der "Querdenker", aber eben auch in Alltagssituationen. Bis hin zu Extremen – man denke nur an den Mord an einem Tankstellenmitarbeiter in Idar-Oberstein. "In Einzelfällen berichten uns Apotheker und Apothekerinnen davon, dass auf einen aufgedeckten Fälschungsversuch aggressiv reagiert wird", sagt auch Sellerberg.

Auch digitale Impfnachweise können gefälscht werden (Symbolbild).
Auch digitale Impfnachweise können gefälscht werden (Symbolbild). Bild: iStockphoto / romrodinka

Hinweise auf Fälschungen gibt es zwar schon, doch die Betrüger werden besser, die Überprüfung schwieriger. Die gelben Impfpässe sind extrem leicht zu fälschen, weil sie keine Sicherheitsmerkmale enthalten. "Man überlegt sich auch zweimal, ob man jemanden anzeigt, wenn man sich nicht ganz sicher ist, das ist ja peinlich", sagt Barbara S. (Name v.d.Red. geändert) , eine Apothekerin aus Oberbayern zu watson. Seit Mitte Dezember können Apotheken-Angestellte aber über einen Webserver die Chargennummer von Impfungen überprüfen und so Fälschungen leichter aufdecken. Entwickelt wurde diese neue Funktion in Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das die Impfstoffe chargenweise freigibt.

Was ist eine Charge und welche Rolle spielt sie?
Eine Charge ist eine bestimmte Menge an Impfstoffdosen, die in einem Produktionsgang unter identischen Bedingungen entstanden sind, die mit einer Chargennummer gekennzeichnet wird. Die Chargennummer ist auch auf dem Aufkleber im Impfpass aufgedruckt ist. So kann nun geprüft werden, ob es die Chargennummer im Impfpass tatsächlich gibt und ob sie im genannten Zeitraum verabreicht wurde.

"Aber auch damit lässt sich leider nicht jede Fälschung mit hundertprozentiger Sicherheit entdecken", so die ABDA-Sprecherin gegenüber watson. Vor allem, wenn Impfzertifikate bereits digitalisiert wurden, sei es nur sehr schwer, Fälschungen noch nachzuweisen.

Sprunghafter Anstieg von Impfpassfälschungen seit November

Das LKA Bayern ermittelt laut Anfrage von watson derzeit in 3.500 Fällen von gefälschten Impfzertifikaten. Laut einer eigenen Umfrage der Tageszeitung taz waren es Anfang September erst 110 Fälle im gesamten Jahr 2021. Ähnlich sieht es in Nordrhein-Westfalen mit 2.495 Fällen aus, fast die Hälfte davon wurde seit Ende November erfasst. In Berlin sind es dagegen nur 1.028 Fälle und selbst im kleinen Schleswig-Holstein wird in 550 Fällen ermittelt – zwei Drittel davon fielen in den letzten vier Wochen an. Die Polizei vermutet eine großen Dunkelziffer: So wurden in Sachsen, dem Land mit der höchsten Impfverweigerer-Quote, nur 126 Fälle von gefälschten Impfpässen entdeckt.

Der gelbe Impfpass ist für Betrüger leicht zu fälschen.
Der gelbe Impfpass ist für Betrüger leicht zu fälschen. Bild: iStockphoto / romrodinka

Gerade Grenzgebiete zu anderen Ländern, wie beispielsweise Bayern, kämpfen mit Fälschungsdelikten, wie das dortige Landeskriminalamt angibt. Das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West in Kempten meldete für den Landkreis Lindau am Bodensee, dass bei mehr als drei Vierteln der etwa 100 registrierten Betrugsversuche die Beschuldigten im Ausland wohnten. Oft würden in solchen Fällen vermeintliche Impfnachweise von deutschen Impfzentren oder Arztpraxen vorgelegt, teilte das bayerische LKA mit.

Warum Impfbetrüger aus Österreich und der Schweiz gerade in deutschen Apotheken Pässe fälschen, ist bislang nicht klar. Allerdings gebe es Hinweise auf einen Handel mit gefälschten Impfpässen aus Deutschland in die Nachbarländer. Bei Postsendungen und Kurierfahrten sei es schon "zu umfangreichen Sicherstellungen von gefälschten Impfnachweisen mit Eintragungen aus deutschen Impfzentren beziehungsweise Arztpraxen" gekommen, teilte das LKA laut einem Bericht des Bayerischen Rundfunks BR mit.

"Die Polizei gerufen haben wir nie, man kennt sich hier ja. Teilweise haben Kolleginnen die Kunden schon auf Fälschungen angesprochen, aber ein Unrechtsbewusstsein hatten die nicht"
Barbara, Angestellte in einer Apotheke, gegenüber watson

Das kann auch Barbara bestätigen, die in einer Apotheke in Oberbayern arbeitet: "Gerade in letzter Zeit sind immer mehr Leute mit gefälschten Impfbüchern gekommen", erzählt sie im Gespräch mit watson. Das erste Mal sei einer Kollegin eine Fälschung aufgefallen, weil ein bekannter Impfgegner, der viel auf Facebook gegen die Covid-Impfung wetterte, plötzlich mit einem Impfnachweis in der Apotheke aufgetaucht sei. "Da war dann klar, dass irgendwas nicht stimmen kann."

Viele Leute würden aber auch mit "so komischen Genesenen-Bescheiden aus dem Ausland wie Slowenien oder Österreich auftauchen" und ein Impfzertifikat verlangen. "Es ist schon irgendwie lustig, dass Leute kriminelle Energien entwickeln, von denen man es nie gedacht hätte", sagt Barbara. Eine Zeit lang wurde nicht viel nachgefragt bei den Impfnachweisen, doch dann habe das LKA regelmäßige Informationen über die Fälschungen verbreitet, die laut der Apothekerin inzwischen immer besser geworden sind.

"Die Polizei gerufen haben wir nie, man kennt sich hier ja. Teilweise haben Kolleginnen die Kunden schon auf Fälschungen angesprochen, aber ein Unrechtsbewusstsein hatten die nicht", erzählt sie gegenüber watson. Barbaras Arbeitgeber hat inzwischen beschlossen, dass sie in ihrer Apotheke keine Impfzertifikate mehr ausstellen, "weil sich zum Schluss die Fälle schon so gehäuft haben, dass wir gesagt haben, du kannst ja nicht wegen jedem Fall die Polizei rufen, das ist ja affig. Vor allem, wenn der Verdacht dann nicht stimmt, das wäre schon peinlich, hier kommen ja lauter Einheimische her." Das sehen andere wohl genauso. In der ganzen Region gibt es inzwischen nur noch eine Apotheke – die noch Impfnachweise von einheimischen Ärzten akzeptiert – und einen Arzt, der überhaupt Impfzertifikate ausstellt.

Zwischen 25 und 350 Euro für einen Impfpass

Das Angebot für gefälschte Impfnachweise ist inzwischen groß. Es ist nicht schwer, an eine Fälschung zu kommen. Dafür braucht man weder Dealer noch Darknet: Wer die Messenger-App Telegram auf dem Handy hat, findet blitzschnell eine von vielen, öffentlich zugänglichen Gruppen, die gefälschte Impfpässe anbieten.

Auf Telegram findet man eine Vielzahl von Anbietern von gefälschten Impfzertifikaten.
Auf Telegram findet man eine Vielzahl von Anbietern von gefälschten Impfzertifikaten.watson
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Obwohl seit Ende November bei der Nutzung eines falschen Impfpasses eine Geldstrafe oder bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe und für einen "gewerbsmäßigen" Handel bis zu fünf Jahre Haft drohen, sind viele Menschen mit Foto und Klarnamen in den Telegram-Foren unterwegs. Das Berliner Landeskriminalamt verwies gegenüber der tageszeitung taz darauf, dass die Fälschungen nicht nur bei Telegram, sondern auch bei Whatsapp oder Ebay-Kleinanzeigen zum Kauf angeboten würden – zu Preisen zwischen 50 und 350 Euro, oft auch in Kryptowährung.

Digitale Nachweise seien dabei teurer als die gelben Impfbücher aus Papier, die "über kaum urkundentechnische Sicherheitsmerkmale, wie wir sie zum Beispiel vom Personalausweis oder vom Pass kennen" verfügen, erklärt eine Sprecherin des LKA Bayern gegenüber watson. "Das macht das Fälschen natürlich einfacher."

"Eine Vielzahl der Fälle wurde in der Tat von Apotheken festgestellt, bei denen aufgrund des gefälschten Impfpasses ein digitales Impfzertifikat ausgestellt werden sollte. Fälschungen werden aber auch von Bürgerinnen und Bürgern gemeldet, die im Internet auf entsprechende Angebote aufmerksam werden. Zudem werden Fälschungen auch bei polizeilichen Kontrollen festgestellt."
Sprecherin des LKA Bayern gegenüber watson

Die Polizei hat sich auf die neue Betrugsmasche bereits eingestellt: Inzwischen kann auch sie auf der internen Plattform Extrapol Chargennummern von Covid-Impfungen auf Echtheit prüfen. Die Beamten seien laut LKA Bayern speziell ausgebildet, um Fälschungen zu erkennen und würden verstärke Kontrollen der Corona-Zugangsregeln vornehmen. Die Polizei rät trotzdem dazu, seinen Impfpass nicht öffentlich zu verbreiten, um den Klau von Chargennummern zu verhindern – erste Anzeigen seien bereits eingegangen.

Ursula Sellerberg, die Sprecherin der ABDA, bedauert im Gespräch mit watson, dass es keine besseren Möglichkeiten zur Kontrolle gibt: "Das Fälschen der Impfausweise wäre erschwert, wenn wir eine elektronische, zentrale Datenbank wie ein 'Impfregister' hätten. Dieses gibt es bislang nicht, unter anderem aus datenschutzrechtlichen Gründen." So bleiben bislang nur strengere Kontrollen von Apotheken und Polizei, um die Betrüger abzuschrecken.

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