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Mode von Ragwear mit Kristallen: Label unterstützt gefährliches Weltbild

Ragwear ist eine Streetwear Modemarke, die auf den ersten Blick ganz normal erscheint. (Symbolbild)
Ragwear ist eine Streetwear Modemarke, die auf den ersten Blick ganz normal erscheint. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / gpointstudio
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Schwurbel-Mode mit Kristallen: Ragwear unterstützt gefährliches Weltbild

09.03.2024, 12:06
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Was würdest du davon halten, wenn du dir ein Shirt von einer Modemarke bestellst und plötzlich erfährst, dass darin esoterische Symbole und Steine vernäht sind?

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Genau das ist Kund:innen der Modemarke Ragwear passiert. Die Firma des Gründers Holger Brodkorb verkauft nach eigenen Angaben nachhaltige und vegane Street-Wear-Mode – mit dem besonderes Etwas, wie es scheint. Denn es gibt beispielsweise auch die Crystal Kollektion. Dort heißt es:

"Turbulente Zeiten stressen uns und bringen uns aus dem Gleichgewicht. (...) In die Kleidungsstücke dieser Kollektion haben wir wertvolle Mineralien eingearbeitet, mit der Absicht, zu stärken und zu unterstützen. Auch wenn es nur darum geht, sich von einem stressigen Tag zu entspannen, können diese Steine mit ihren natürlichen Energien helfen, dass du dich ausgeglichener und mehr in Kontakt mit dir selbst fühlst."

Heißt konkret: In die Ragwear-Kleidungsstücke sind Mineralien eingenäht, die dir helfen sollen, mit deinem Leben klarzukommen.

Doch nicht nur Kristalle verbergen sich in der Kleidung von Ragwear, sondern auch versteckte Botschaften: Auf einigen Knöpfen prangt beispielsweise eine Venus-Blume, die Selbstliebe, Gleichgewicht in der Partnerschaft und Weiblichkeit verströmen soll.

Dann gibt es Labels in Shirts oder Hosen mit der "528Hz Liebesfrequenz". Diese würden laut Beschreibung seit Jahrhunderten in der Alternativmedizin eingesetzt. "Die Tonfrequenz von 528Hz kann glücklich machen, die Gesundheit fördern und soll sogar zur Regeneration der DNA beitragen."

Ragwear wirbt mit "wertvollen" Energiesteinen
Ragwear wirbt mit "wertvollen" Energiesteinenbild: screenshot / ragwear

Und nicht nur das, auch Schutzsymbole gegen das angeblich schädliche 5G-Netzwerk findet man ganz unauffällig eingenäht. Das Elektrosmog-Symbol soll eine "abschirmende Wirkung" haben, "um störende oder behindernde hoch- und niederfrequente Strahlungen zu kompensieren". Und das Jerusalem Kreuz werde "zur Harmonisierung von geopathischen und anderen Störfeldern sowie zum Schutz vor negativen Einflüssen im weitesten Sinne eingesetzt".

Auf der Webseite prangen die Worte des Gründers und Geschäftsführers Holger Brodkorb:

"Die spirituellen Symbole in unseren Kollektionen können helfen, die Auswirkungen schädlicher Energien, denen viele von uns im Alltag ausgesetzt sind, zu reduzieren. Ich möchte mit ragwear einen positiven Beitrag leisten, indem ich den Menschen mehr Stabilität in ihrem Leben gebe."

Brodkorb wollte sich auf watson-Nachfrage nicht zum Thema äußern.

Esoterische Geheimbotschaften sorgen für Missfallen bei Kunden

Eine Userin auf der Social Media App "Bluesky" war über diese Entdeckung jedenfalls überhaupt nicht entzückt.

Auch andere User drückten in ihren Kommentaren Missfallen aus. Eine ehemalige Ragwear-Kundin schrieb: "Ich hatte ein Shirt von denen, da wusste ich das aber nicht. Danach wollte ich es nicht mehr anziehen. Ich wollte nämlich keine Werbeträgerin für die sein. Ja, man hätte argumentieren können, dass das Geld ja schon ausgegeben war. Aber ich war echt sauer."

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bild: screenshot / blue sky

Die reale Gefahr hinter esoterischen Versprechen

Die Publizistin und Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun findet solche Werbestrategien "hochproblematisch". Auf den ersten Blick könne man natürlich sagen: Wem schadet es, wenn man ein laut Ragwewear "kleines Helferlein" im stressigen Alltag nutzt, solange es niemand anderem schadet. Doch die Co-Autorin des Buches "Gefährlicher Glaube: Die radikale Gedankenwelt der Esoterik" erklärt:

"Das Problem ist, dass Esoterik an sich suggeriert, es könnte Probleme lösen, die einfach nicht durch Esoterik zu lösen sind. Wenn ich mich unsicher fühle, sollte ich vielleicht darüber nachdenken, über meine Probleme zu sprechen oder zu schauen, ob ich mich in Lebenssituation befinde, die mir nicht guttut. Da hilft dann auch kein T-Shirt."
Katharina Nocun ist Autorin mehrerer Bücher, unter anderem zu Fake News und Esoterik.
Katharina Nocun ist Autorin mehrerer Bücher, unter anderem zu Fake News und Esoterik.bild: gordon welters

So sei nicht die Esoterik an sich das Problem, sondern, dass man nie wisse, wer sie nutzte. Teilweise werde in der Esoterik auch eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Egal, welche Probleme man habe, heißt es oft: Du musst erst mal bei dir gucken.

Der Kontext, in dem sich der Mensch befinde, sei entscheidend: "Gerade in Bezug auf psychisches Wohlbefinden muss man sagen, dass esoterische Versprechen bei Menschen in sehr schwierigen Lebenssituationen zum Problem werden können. Weil dann die wahren Ursachen von Problemen nicht oder falsch behandelt werden." Oder wenn jemand die Frage, ob und bei welcher Bank er einen Kredit aufnehmen solle, davon abhängig macht, wie die Sterne stehen.

"Dabei wird vergessen, dass im Mittelalter oder auch in der Antike gerade in Bezug auf Gesundheit und Wohlbefinden oft hochproblematische Dinge propagiert wurden."

Nocun hatte bei der Buchrecherche selbst ein einschneidendes Erlebnis: Auf einer Esoterikmesse behauptete sie, ihre Tante hätte Krebs, und fragte, ob es dagegen Kristalle gäbe. Der Verkäufer wollte ihr prompt kostspielige rosafarbene Steine dagegen verkaufen. "Da merkt man schnell: So harmlos ist das dann im Zweifel nicht. Aber solche Versprechen werden in der Regel eher mündlich gemacht." Jedoch betont sie, nicht alle esoterischen Anbieter würden so weit gehen.

Esoterik: Antike Methoden statt wissenschaftliche Belege

In Deutschland sind Heilsversprechungen verboten. Deshalb sind viele Anbieter:innen auch sehr vorsichtig in der Formulierung, wenn sie esoterische Produkte bewerben. "Was auffällt, ist, dass oft keine direkten Heilsversprechen gemacht werden", sagt Nocun. Oft heiße es nur, ein Produkt könne bei einem Problem helfen oder unterstützen, es werde ihm eine gewisse Wirkung zugeschrieben.

Einige Hersteller gehen jedoch weiter und suggerieren konkret, ein Produkt könne Gesundheitsprobleme beheben. Um sich rechtlich abzusichern, befindet sich auf solchen Webseiten häufig noch ein Hinweis dafür, dass es keine wissenschaftlichen Beweise für die Wirkung der Produkte gibt.

Ragwear lockt Kund:innen mit vermeintlichen Schutz-Funktionen ihrer Kleidung.
Ragwear lockt Kund:innen mit vermeintlichen Schutz-Funktionen ihrer Kleidung. bild: Screenshot / ragwear

Doch Nocun weiß: Wenn man vermeintlich altes oder antikes Wissen für den Beweis der Wirkung heranzieht, halten viele Menschen eine Information oder ein Produkt trotzdem für seriös.

"Dabei wird vergessen, dass im Mittelalter oder auch in der Antike gerade in Bezug auf Gesundheit und Wohlbefinden oft hochproblematische Dinge propagiert wurden. Das fängt an bei Aderlass bis hin zur Einnahme von Quecksilber gegen Syphilis. Aber auch einige Größen aus dem Mittelalter oder der Antike wie Paracelsus hat hochproblematische Dinge propagiert: Zum Beispiel, dass man Wunden mit Mumienbalsam einreiben soll."

Esoterik-Markt ist riesig und verspricht hohe Gewinne

Der Markt mit esoterischen Produkten ist riesig. Nocun spricht von angebliche Kraftsymbolen und Mandala-ähnlichen Formen, nicht nur auf Kleidung, sondern auch für Trinkflaschen oder als Aufkleber für Handys. "Da werden etwa Barcodes aus Angst vor vermeintlicher Strahlung durchgestrichen oder Kleidung mit eingewebten Silberfäden verkauft."

Durch große Anbieter wie Modefirmen, oder auch, dass Homöopathie von der Krankenkasse übernommen werde, werde die Esoterik leider oft normalisiert. Obwohl die Esoterik ein Nischengebiet ist, komme sie auch oft im Mainstream vor, wie man bei Vorhersager:innen im Fernsehen oder Horoskopen in Zeitungen sehe. Auch bei den Jugendlichen auf Tiktok boomt Esoterik, wie man an millionenfachen Hashtags wie #witchtok oder #crystaltok sieht.

Man müsse laut Nocun jedoch unterscheiden zwischen Anbietern, die einfach opportunistisch sind und selber auch nicht an die Wirkung glauben, sondern Geld verdienen wollen und Leuten, die auch selber daran glauben. "Wobei: Für die Betroffenen ändert sich im Zweifel wenig dadurch, ob der Anbieter überzeugt ist oder nicht", erweitert Nocun ihren eigenen Gedanken, "weil es hilft ja trotzdem nichts."

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