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Hartz 4: Facebook-Gruppe wütet gegen Hartz-4-Empfänger – RTL reagiert deutlich

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Bild: RTL / Getty Images
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825 User gegen eine Familie: Facebook-Gruppe wütet gegen Hartz-IV-Empfänger

14.10.2019, 18:3815.10.2019, 04:43
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Es ist nie angenehm, wenn man merkt, dass einen jemand nicht mag. Selbst wenn es nur eine Person ist, die einem das Gefühl gibt, nicht dazu zu gehören oder ständig Fehler zu machen, kann das ganz schön an einem nagen.

Was nun, wenn es etwa 825 Personen sind? 825 Menschen, die sich in einer eigens gegründeten Gruppe zusammenfinden, um die Taten einer Familie zu kritisieren – oder vielleicht sogar zu verhöhnen?

Genau das ist vor Kurzem auf Facebook geschehen: Dort haben sich 825 Mitglieder zusammengefunden, um das Geschehen der RTL-Armutsshow "Zahltag" zu diskutieren – offen und ehrlich, wie der Gruppenbeschreibung zu entnehmen ist. Im Fokus stand dabei Familie R., die in Selb eine Suppenküche eröffnen wollte. Die Geschäftsidee ist gescheitert, die Familie lebt nun von Hartz IV – wieder einmal. Denn Familie R. lebte schon lange Zeit vom Arbeitslosengeld und wollte sich mithilfe des eigenen Imbisses aus der Armut befreien.

"Zahltag" will Menschen aus Hartz IV helfen
Die Teilnehmer der Sendung leben von Hartz IV. Von RTL bekommt jede teilnehmende Familie einen Koffer voller Geld geschenkt. Die darin enthaltene Summer entspricht dem jährlichen Leistungssatz von Hartz IV – auf einmal ausbezahlt. Mit den bis zu 30.000 Euro pro Koffer sollen sich die Protagonisten mit einer Geschäftsidee selbstständig machen.

Kommentiert wird das Geschehen vom ehemaligen Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky, Ex-Hartz-IV-Bezieherin und "Cindy aus Marzahn"-Darstellerin Ilka Bessin sowie von Gründerberater Felix Thönnessen.

Für Familie R. ist der Traum vom eigenen Betrieb leider geplatzt. Deswegen hieß die ihrem (schon von Anfang an geahntem) Scheitern gewidmete Gruppe auch: "Failtag – Ein Koffer voller Suppe".

Die Beiträge gegen Hartz-IV-Empfänger in der Gruppe wirken abfällig

Liest man sich die Diskussionen in der Gruppe durch, findet man ein buntes Sammelsurium aus schadenfrohen Kommentaren, den ein oder anderen witzigen Spruch – und Beiträge, die an die Grenze der Beleidigung gehen. Wenn sie nicht sogar schon beleidigend sind.

Da wird dann gepostet:

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Bild: Facebook

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Bild: Facebook

Oder:

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Bild: Facebook

Dass Familie R., an die sich die meisten negativen Kommentare richteten, die Facebook-Gruppe verlassen hat, ist nicht ganz überraschend. Manuela R. postete auf ihrer Facebook-Seite sogar folgenden Beitrag:

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Bild: Faceboook

Warum kritisiert man in einer Gruppe Hartz-IV-Empfänger? Gruppengründer antwortet

Was bewegt einen Menschen nun dazu, so eine Gruppe zu gründen? Um das zu erfahren, hat watson mit dem Gründer der Gruppe "Failtag" gesprochen – Daniel G.

Am Telefon klingt Daniel freundlich, gelassen – obwohl sich ein gewisser skeptischer Unterton nicht überhören lässt. Im Hintergrund hört man ein leises Sausen, weil er gerade mit dem Auto von der Arbeit heimfährt. Soweit, so normal.

Was hat Daniel also auf die Idee gebracht, eine Gruppe zu gründen, die sich anscheinend vereint gegen die Protagonisten einer Armuts-Show wendet?

"Ich komme selbst aus der Nähe von Selb und habe in lokalen Facebook-Gruppen Diskussionen über die Eröffnung des 'Selber Eintöpferls' mitverfolgt", erzählt Daniel. Die Gespräche seien der Familie R. gegenüber immer sehr wohlwollend gewesen. Allerdings wurden sie gleich gelöscht, sobald es einen negativen Kommentar gab. Weiterhin sagt Daniel:

"Ich habe dann die Gruppe gegründet, damit es einen Ort gibt, an dem wir das Geschehen in der Sendung begleiten und kommentieren können."

Ein bisschen witzig und auch sarkastisch durften die Diskussionen auch sein, fand Daniel. Das passt auch zur Gruppenbeschreibung, in der es hieß: "Eine menschenliebende Plattform zur offenen und ehrlichen Diskussion über die herzzerreißende Geschichte des In-Lokals Selber Eintöpferl bei der Sendung 'Zahltag – Ein Koffer voller Chancen.'"

Womit Daniel allerdings nicht gerechnet hat, ist, wie groß die Gruppe werden würde: Anfangs dachte er, dass er sich mit 50, vielleicht 100 Mitgliedern austauschen würde. "Dass es über 800 werden, hätte ich nicht gedacht."

Auch, dass die Menschen anfangen würden, Beleidigungen gegen Familie R. oder auch andere "Zahltag"-Teilnehmer auszupacken, hat Daniel überrascht. Erfahrung mit so etwas hat er nicht, das war das erste Mal, dass er so eine Gruppe gegründet hat. Ob er sich denn nicht trotzdem darüber im Klaren gewesen wäre, mit seiner Gründung Hass zu schüren?

"Natürlich war mir bewusst, dass die Mehrheit der Mitglieder negativ gestimmt sein wird. Aber mit so krassen Beleidigungen hätte ich nicht gerechnet. Die Diskussionen in der Gruppe sind schlimmer geworden, als gedacht."

Einige der Kommentare habe Daniel auch gelöscht. Sogar "zwei oder drei" Mitglieder habe er ausgeschlossen. Alle harschen oder beleidigenden Kommentare hat er allerdings nicht gelöscht – weil er sie bei der Menge der Beiträge, weit über 1000, nicht mehr sichten konnte.

Konfrontiert mit den Beispielkommentaren, die auch in diesem Beitrag weiter oben zu finden sind, gibt auch Daniel zu: "Solche Kommentare sind schon eher kritisch zu sehen."

Als Stimmungsmacher sieht sich Daniel dennoch nicht. Sogar Mitleid hat er mit Familie R., die er gar nicht persönlich angreifen will. Gleichzeitig gibt Daniel allerdings auch zu, dass er eine gewisse Schaulust beim Gucken der Sendung empfunden habe.

Es klingt, als hätte Daniel nicht bewusst bösartig gehandelt. Aber unbedacht. Deswegen droht im Herr R. nun mit einer Anzeige.

Das sagt ein Anwalt zu den abfälligen Kommentaren über Hartz-IV-Empfänger

Um zu prüfen, ob die in der Gruppe getroffenen Aussagen strafbar sind, haben wir den Medienanwalt Christian Solmecke die oben genannten Beispielkommentare überprüfen lassen – ohne die Namen derer zu nennen, die sie geäußert haben.

In einer E-Mail schreibt uns der Anwalt, die Kommentare, die wir ihm geschickt, seien mehrheitlich keine Beleidigungen. Die meisten der Aussagen gelten als Meinungsäußerung - wenn auch nicht als besonders nette – zum Beispiel:

"... damit ist die Aussage 'ich könnte kotzen' wohl auch noch von der Meinungsfreiheit gedeckt, auch wenn es sehr unhöflich ist."

Jemanden als "arbeitsscheu" zu bezeichnen, "ist ebenfalls eine zulässige Meinungsäußerung, basierend auf dem Eindruck, welche die äußernde Person von den Protagonisten hatte."

Auch Aussagen zur Intelligenz oder den Talenten der Familie R. dürfen gemacht werden, sofern die Wortwahl nicht besonders herablassend ist – als Beispiel: "für die Worte 'Idiot bzw. Schwachkopf' gab es schon Verurteilungen". Solche Ausdrücke wurden, zumindest soweit watson alle Kommentare erfassen konnte, nicht geäußert.

Trotzdem räumt Solmecke ein:

"Dennoch sind die Aussagen hier zumindest grenzwertig, weil dahinter zumindest auch der Gedanke erkennbar ist, die Familie sei wegen ihrer vermeintlichen Eigenschaften weniger wert als andere Menschen."

Mobbing an sich ist nicht strafbar

Außerdem erklärt der Anwalt: Mobbing an sich ist nicht strafbar. Allerdings können bei Mobbingfällen verschiedene Strafbestände, wie zum Beispiel Verleumdung oder üble Nachrede beim Behaupten falscher Tatsachen, erfüllt sein. Im Falle der Gruppe "Failtag" geht es allerdings nur um Meinungsäußerung, die meisten werden von der Meinungsfreiheit gedeckt – manche sind an der Grenze zur Beleidigung. Grundsätzlich definieren, was beleidigend und damit strafbar ist, kann man nicht immer:

"Wo der Grenzbereich von der Unhöflichkeit zur Beleidigung überschritten ist, ist nicht immer eindeutig."

Selbst wenn die Gruppe und die darin geführten Diskussionen nach einer ersten Einschätzung nicht gegen das Gesetz verstoßen: Man sollte dennoch nicht ignorieren, dass sich hier immerhin mehrere hundert Menschen auf nur eine Familie eingeschossen hat, die an einer TV-Sendung teilgenommen hat, um Hartz IV zu entfliehen, und sich möglicherweise nicht immer geschickt dabei angestellt hat.

Dass die Familie von den Aussagen in der Gruppe getroffen sein müssten, lässt sich anhand der Facebook-Seite von Manuela R.'s erahnen: Mehrmals hat sie die offensichtlich beleidigenden "Failtag"-Kommentare auf ihrer Seite ausgestellt. Die Links dazu existieren allerdings nicht mehr, weil die Gruppe gelöscht wurde. An einer Stelle jedoch veröffentlicht sie einen Screenshot der harschen Beiträge und schreibt dazu:

"Wie kann man den ganzen Tag soviel Rotz ablassen.... Aber über andere lästern die Hobbies haben...."

Auf unsere Anfragen hat die Familie bis heute nicht reagiert.

Das sagt ein Sprecher von RTL zu dem Vorfall

Wie bewertet RTL Gruppen wie "Failtag"? Was tut der Sender, um seine Protagonisten gegen Beleidigungen und Hass im Internet zu schützen?

Gegenüber watson antwortet ein Sprecher des Senders:

"Wir verurteilen anstößige Postings und Beleidigungen im Internet."

Ob sich der Sender aktiv dafür einsetzt, den Protagonisten zur Seite zu stehen oder Beratung anbietet, ist nicht bekannt.

Die "Failtag"-Gruppe wurde mittlerweile gelöscht

Mittlerweile hat Daniel die Gruppe übrigens gelöscht. Mit Ablauf der letzten "Zahltag"-Staffel hat "Failtag" seinen Sinn verloren:

"Ich sehe eine zu große Gefahr, dass von nun an nur persönlich Geschichten über die Familie R. ausgepackt werden. Das war nicht der Sinn der Gruppe."

Auch, wenn die Familie R. mit watson nicht in Kontakt getreten ist: Bei Daniel hat sich Herr R. gemeldet. Mit der Drohung, einen Anwalt gegen ihn einzuschalten. Ob das nicht auch dazu geführt hat, die "Failtag"-Gruppe zu löschen - dazu sagt Daniel nichts. Sollte allerdings eine Anzeige kommen, dann übernehme er die Verantwortung: "Ich bin mir meines Handelns bewusst."

(ak)

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