Es ist ein paar Wochen her, dass eine australische Stylistin mit ihren Kleidungsratschlägen an die Gen Z einigermaßen viral ging. Maree Ellard hob mahnend auf Tiktok den Zeigefinger, forderte junge Menschen und vor allem Frauen auf, sich im Büro von den Brüsten bis zu den Knien zu bedecken.
Mehrere Medien griffen die Aussagen auf. Ellard betonte, ihr ginge es nicht darum, den weiblichen Körper zu verstecken. (Forderte es aber dennoch.) Man müsse allerdings bedenken, ob man sich in zu kurzen Klamotten frei bewegen könne, ohne unangenehme Einblicke zu gewähren oder sich unwohl zu fühlen.
Der "Business Insider" in den USA fand einen Professor, der anmerkte, dass man "schlampig gekleideten Menschen" im Büro nicht über den Weg traue. Frei nach dem Motto: Wer sich nicht ordentlich anzieht, kann auch nicht gut arbeiten. Fertig waren die Schlagzeilen, die die Runde machten.
Ich habe in dieser Debatte nur eine Frage: Was wollt ihr eigentlich?
Die Diskussionen über angemessene Kleidung bei der Arbeit ist eine, die mir seit Jahren auf den Keks geht. Ohne behaupten zu können, mich selbst davon freimachen zu können. Als ich bei watson zum finalen Vorstellungsgespräch aufschlug, fragte mich meine Frau, ob ich einen Anzug mitnehmen würde. Auch ich hatte darüber schon nachgedacht. Meine Reaktion war: "Das ist ein Nachrichtenportal für junge Menschen. Wenn ich da mit Krawatte komme, nimmt mich doch keiner ernst."
Und fragte mich dennoch: Was ist angemessen, damit meine Kleidung nicht gegen mich spricht? Wie zieht sich ein (zukünftiger) Chefredakteur an?
Bei meinem vorherigen Arbeitgeber, dem "Stern", schrieb ein Kollege einen aufgeregten Kommentar, in dem er sich über Männer echauffierte, die in kurzen Hosen ins Büro kommen. Ich habe damals nur den Kopf geschüttelt – war aber selbst bei watson bis heute kein einziges Mal in kurzen Hosen im Büro. Und im Winter, wenn's draußen schneit, checke ich morgens meinen Kalender, ehe ich entscheide, ob ich wirklich im Hoodie ins Büro gehen kann.
Frauen haben's in der Theorie irgendwie einfacher, weil sie sehr viel tragen können, ohne schief angeschaut zu werden. Offene Schuhe zum Beispiel. Oder beinfreie Outfits. Gleichzeitig ist's für Frauen in der Realität sehr viel komplizierter. Zumindest, wenn sie von den falschen Männern umgeben sind. Ja, auch ich habe schon – auch wenn es eine Weile her ist – Chats in meinem Berufsleben gelesen, in denen sich Männer darüber unterhielten, dass Johanna oder Stefanie oder Melanie heute mit weitem Ausschnitt, ohne BH oder kurzem Rock ins Büro gekommen ist.
Bei watson haben wir dieses Problem nicht. (Zumindest habe ich nicht mal im Ansatz eine solche Situation wahrgenommen.) Aber wir leben da vielleicht auch in einer Heile-Welt-Bubble: In einem Team mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren in Berlin-Mitte gibt es manche Themen nicht, die im Rest Deutschlands existieren.
Ich kann und will nicht ignorieren, dass Klamotten im beruflichen Kontext Reaktionen hervorrufen. Eine Kollegin fragte mich kürzlich verwundert, warum ich "heute so schick angezogen sei". Es waren nur eine schwarze Jeans und ein dunkles Hemd, aber sie vermutete direkt, ich hätte einen wichtigen Termin, von dem sie nichts wisse.
Auf der anderen Seite bemerke ich, wie es der Gen Z oft völlig egal ist, was andere über ihre Klamotten denken könnten. Am lockersten war die Bewerberin, die im Hoodie eines Fußballvereins beim ersten Kennenlerngespräch vor der Kamera saß. (Ich habe sie später eingestellt, auch wenn's der falsche Verein war.)
Es ist nicht zu übersehen, dass sich beim vermeintlichen Dresscode etwas verschoben hat. Eine Generation, die während Corona ins Berufsleben rutschte, schert sich nicht um irgendwelche Vorgaben, die über Jahrzehnte hinweg wichtig waren. Und wir alle haben erlebt, wie sich die Etikette in den Lockdowns verschoben hat.
Zu Beginn saßen die Männer im Hemd vor der Kamera, am Ende tauchte eine Vorgesetzte mit Handtuch auf dem Kopf nach der Mittagspause im Meeting auf, weil sie nach dem Sport noch duschen war und sich in der Zeit verkalkuliert hatte.
Und nun kommt die Frage: Warum auch nicht? Was genau ändert das Outfit von Kolleg:innen an ihrer Kompetenz, ihrer Erfahrung, ihrem Einsatz? Es ist eine rhetorische Frage, denn die Antwort ist zu einfach: nichts! Für mich ist eher die Gegenfrage: Warum genau war das früher wichtig? Und solltet ihr Moralapostel euch nicht endlich mal entspannen und damit klarkommen, dass die Zeiten sich ändern?
Ich verstehe, dass es in manchen Jobs etwas komplizierter ist als im Journalismus. Ja, es wäre ungewöhnlich, wenn die Bankberaterin im Fußball-Hoodie in der Filiale stehen würde. Der "Kontakt zu den Kund:innen" ist für manche Firmen ein Thema. Aber auch hier sehen wir, dass Regeln sich lockern. Selbst die spießigsten Airlines verstehen heute, dass Flugbegleiterinnen nicht nur in kurzen Röcken Getränke servieren können, ohne dass das Flugzeug abstürzt.
Für meine Redaktion wünsche ich mir, dass sich Journalist:innen nicht verstellen wegen ihrer Gesprächspartner:innen. Sollte uns Markus Söder endlich mal eine Zusage für ein Interview geben, dann hoffe ich, dass die Politikredakteurin, die mit ihm sprechen würde, nicht auf die Idee kommt, sich Gedanken zu machen, welches Outfit spießig genug für die CSU ist. Im Gegenteil: Sie ist eine junge, hochintelligente und kompetente junge Redakteurin. Sie soll tragen, was sie will. Und ihr Gegenüber muss damit klarkommen.
Auch hier gilt: Die Zeiten, in denen sich die Jungen nach den Alten richten, damit auch ja keine Boomer:innen verwirrt sind, gehen zu Ende. Erst recht bei solch oberflächlichen Nichtigkeiten wie Kleidung.
Und ja, vielleicht trage auch ich im Sommer endlich mal eine kurze Hose im Büro. Wenigstens zu einem Spätdienst zur Fußball-EM. Da sieht es immerhin niemand.