Ich kehre wieder nach Deutschland zurück – jedoch nur für einen Besuch. Vor nur wenigen Wochen habe ich das Flugticket gebucht, was mich im Dezember diesen Jahres an den Frankfurter Flughafen und einen Monat später wieder zurück nach Melbourne bringen wird. Nach fast zwei Jahren in Australien ist es dann an der Zeit, dass ich mich mal wieder bei meinen Freund:innen und meiner Familie blicken lasse und die Feiertage sind der perfekte Anlass dafür.
Wer meine Texte schon etwas länger verfolgt, weiß, dass ich mich mit dem australischen Weihnachtsfest im Sommer bisher noch nicht so richtig anfreunden konnte. Mit jedem Tag, der vergeht, steigt deshalb die Vorfreude auf meine Reise nach Deutschland und die besinnliche Zeit mit meinen Liebsten.
Doch auch wenn die positiven Gefühle überwiegen, so schwingt beim Blick auf den bevorstehenden Besuch auch etwas Sorge mit. Ich frage mich, was sich in Deutschland während meiner Abreise wohl verändert haben wird. Wird es alles so sein wie früher? Werde ich mit meinen Freund:innen genauso ungehemmt lachen können, wie damals? Oder werden mir bekannte Straßenecken auf einmal fremd vorkommen?
Wird es sich anfühlen, wie eine Rückkehr in die "Heimat"? Und was bedeutet dieses Wort überhaupt?
Die Frage nach Zugehörigkeit und danach, wo ich mich "zu Hause" fühle, beschäftigt mich schon seit einer ganzen Weile. Das Gefühl, nirgendwo so richtig ankommen zu können, verfolgt mich. Als ich vor wenigen Jahren den Entschluss gefasst habe nach Australien auszuwandern, befand ich mich lange Zeit in einer Art Limbo.
Noch als ich in Deutschland war, hatte ich das Gefühl, in der Schwebe zu hängen und mich nirgendwo so richtig niederlassen zu können – schließlich würde ich ja früher oder später sowieso nach Australien ziehen. Meine Wohnung richtete ich mit den günstigsten Ikea-Möbeln ein, weil ich wusste, dass ich sie sowieso bald wieder verkaufen würde. Schwere Bücher wurden mit Bedacht gekauft, in der Angst, dass sie später die Gewichtsgrenze des Koffers sprengen könnten. Alles, was ich mir aufbaute, fühlte sich vergänglich an. Je konkreter meine Auswanderungspläne wurden, desto mehr zerbröckelte das Konstrukt von Heimat, was ich mir zuvor errichtet hatte.
Was übrig blieb, war die Hoffnung darauf, mein neues Zuhause in Melbourne zu finden, und endlich Wurzeln schlagen zu können. Doch auch hier konnte ich dem Limbo der Zugehörigkeit nicht entkommen.
Insbesondere zu Beginn meiner Zeit in Australien bestand ein großer Teil meiner Identität daraus, Deutsche zu sein. Auf Partys wurde ich als "Franzi aus Deutschland" vorgestellt und Unterhaltungen drehten sich oft fast ausschließlich um mein Herkunftsland. Obwohl ich nun also in Australien lebte, war ich trotzdem eine Fremde. Popkulturelle Referenzen gingen an mir verloren, australische Sprichwörter mussten mir erklärt werden und wenn ich "no worries" sagte, fühlte ich mich wie eine Hochstaplerin.
Dafür war ich die einzige, die im Auto zu Peter Fox laut mitsang, ich bekam Seitenblicke, wenn ich im Restaurant nach Sprudel- statt stillem Wasser fragte und meine direkte, deutsche Art wurde oft als unhöflich aufgefasst. In Australien war ich diejenige, die aus Deutschland stammte, aber Deutschland fühlte sich auch nicht mehr an wie zu Hause.
Für viele Leute ist der Ort Heimat, an dem sie aufgewachsen sind oder dort, wo ihre kulturellen Wurzeln liegen. Für andere ist ihr Zuhause der Ort, an dem sie im Erwachsenenalter hingezogen sind, wo sie ihren Job, ihr Haus und ihr soziales Netzwerk haben.
Für jemanden, der ans andere Ende der Welt gezogen ist, ist das Konzept von zu Hause nicht ganz so schwarz und weiß. Wenn ich als Auswanderin Heimweh habe, dann habe ich keine konkrete Vorstellung von dem, was ich vermisse. Keine Wohnung oder Straße, nach denen ich mich sehne. Heimweh hat für mich viel mehr mit Nostalgie zu tun: Ich vermisse eine Version meines Lebens, die nicht mehr existiert und zu der ich nicht mehr zurückkehren kann – selbst wenn ich wieder nach Deutschland ziehen würde.
Mein Leben wird nie wieder werden, wie es war, bevor ich Deutschland verlassen habe: Mein Kinderzimmer wurde komplett umgestaltet, fast alle meine Freund:innen sind weggezogen und kaum jemand geht noch zur Uni. Wenn ich Heimweh habe, dann vermisse ich also keinen konkreten Ort; ich vermisse die Menschen und Erinnerungen, die ich mit jenem Ort verbinde.
Kurz nachdem ich nach Australien gezogen bin, hat es sich so angefühlt, als würde ich in der Schwebe hängen; als würde ich nirgendwo so richtig hingehören. Dieses Gefühl habe ich inzwischen nicht mehr – zumindest nicht mehr ganz so oft. Ich habe für mich herausgefunden, dass zu Hause kein Ort ist, sondern ein Konzept, das sich auch verändern kann. Weder Australien noch Deutschland sind mein Zuhause; stattdessen sind es meine Familie, meine Freund:innen, mein:e Partner:in und die Erfahrungen, die ich gemeinsam mit ihnen sammle. Ungeachtet von Ländergrenzen oder Aufenthaltstiteln.
Ich bin dankbar für die tollen Menschen, die mich in Australien umgeben. Und ich bin dankbar für diejenigen, die in Deutschland auf mich warten. Sie sind der Grund dafür, dass ich überall zu Hause bin. Doch sie sind auch der Grund dafür, dass mich das Gefühl von Heimweh immer verfolgen wird. Das ist der Preis, den man als Auswanderin zahlt: Egal wo man ist, ein Teil seiner selbst wird immer am anderen Ende der Welt bleiben.