
Auch Australien hat ein Mallorca, wo die Menschen sehr häufig Urlaub machen. Bild: chatgpt / ki
Die Auswanderin
Unsere Kollegin Franziska Wohlfarth hat bei watson gekündigt, weil sie nach Australien ausgewandert ist. Ganz weg ist sie aber nicht: In ihrer Kolumne "Die Auswanderin" berichtet sie einmal im Monat von ihren Erlebnissen aus Down Under.
22.07.2024, 07:1521.07.2024, 15:55
Während ich mit Decke und Tee eingemummelt auf der Couch sitze und (mehr oder weniger erfolgreich) versuche, den Winter in Melbourne zu überstehen, sehe ich auf Instagram tagtäglich, wie meine europäischen Freund:innen an Gelato schlecken, sich an Stränden die Sonne ins Gesicht scheinen lassen und in malerischen Altstädten an Aperol Spritz schlürfen.
Deutschland ist im Reisefieber und auch meine Eltern genießen momentan ihren Sommerurlaub. Während eines Videocalls mit der ganzen Familie hielten sie neulich die Kamera aus ihrem Hotelfenster und offenbarten einen atemberaubenden Ausblick auf reihenweise Palmen, feinen Sandstrand und türkisblaues Wasser, was sich bis zum Horizont erstreckte. "Lässt dich so ein Ausblick nicht inzwischen kalt?", fragte mich mein Bruder als Reaktion auf meine bewundernden "Ohs" und "Ahs".

In Deutschland ist die Reiselaune derzeit groß.Bild: pexels/Riccardo
Eine berechtigte Frage in Anbetracht der Tatsache, dass ich in Australien lebe. Wenn ich Palmen sehen möchte, muss ich nur aus dem Fenster schauen und der nächste Sandstrand mit türkisblauem Wasser ist auch nicht allzu weit weg. Lohnt es sich da überhaupt, wegzufahren? Und wo macht man eigentlich Urlaub, wenn man bereits in einem Urlaubsland lebt?
Watson ist jetzt auf Whatsapp
Jetzt auf Whatsapp und Instagram: dein watson-Update! Wir versorgen dich
hier auf Whatsapp mit den watson-Highlights des Tages. Nur einmal pro Tag – kein Spam, kein Blabla, nur sieben Links. Versprochen! Du möchtest lieber auf Instagram informiert werden?
Hier findest du unseren Broadcast-Channel.
Bali – das Mallorca der Australier
Eimerweise Alkohol, fragwürdige Partymusik und rot verbrannte Oberkörper in Tanktops: Was für die Deutschen der Ballermann ist, ist für Australier:innen die indonesische Insel Bali – den Ort, an dem man Google-Übersetzer und Duolingo getrost deinstallieren kann, weil neben Indonesisch sowieso alle um einen herum Englisch sprechen.
Per Direktflug reisen jede Menge Australier:innen jedes Jahr ins asiatische Urlaubsparadies, um dort zu entspannen und mit anderen Australier:innen ausgelassen zu feiern. Wer als Australier:in noch nicht auf Bali war, gehört eindeutig zur Minderheit.

Viele junge Australier:innen machen Partyurlaub auf Bali. bild: pexels/Wendy Wei
Die Flugtickets sind dabei so günstig, dass es für viele Australier:innen zum Teil kosteneffizienter ist, nach Bali zu fliegen, als innerhalb des eigenen Landes von A nach B zu reisen. Neulich hatte ich Besuch von Freunden aus Adelaide, der Hauptstadt des australischen Bundesstaates South Australia. Als wir dabei waren unser nächstes Wiedersehen zu planen, schlug eine Freundin (halb im Scherz und halb im Ernst) vor, dass man sich ja auf Bali treffen könne, um Geld zu sparen. Schließlich seien Flugtickets, Unterkunft und Verpflegung dort günstiger, als wenn wir uns innerhalb von Australien verabreden würden.
"Euro-Summer" ist voll im Trend
Deutlich teurere, weiter entfernte, doch ähnlich beliebte Reiseziele sind auch einige der europäischen Länder. Die Tatsache, dass ich aus Deutschland komme, nehmen viele Australier:innen zum Anlass, um von ihrer Europa-Reise zu schwärmen, die sie vor fünf Jahren unternommen haben und die sie nun zu jeder Gelegenheit versuchen, in den Mittelpunkt der Unterhaltung stellen.

Während Europäer:innen nach Australien reisen, reisen Australier:innen nach Europa. bild: pexels/Eminent Luggage
Erinnert sich noch jemand an die alten Witze, in denen sich über "Lisa (18) aus Australien" lustig gemacht wurde? Die privilegierte, weiße Frau, die nach dem Abi ins Ausland gereist ist und sich dort "selbst gefunden hat" war lange Zeit Mittelpunkt vieler (teils misogyner) Facebook-Memes und Jodel-Posts. Doch das Phänomen existiert nicht nur in Deutschland, sondern auch in Australien – nur, dass "Lisa (18)" eben nicht von Kängurus und Surfstunden an der Gold Coast schwärmt, sondern von romantischen Altstädten und günstigem Bier.
Viele Australier:innen fliehen über den Winter nach Europa. Der sogenannte "Euro-Summer" erfreut sich großer Beliebtheit und das absolut zu Recht. Das einzige Problem, was ich bei der ganzen Schwärmerei habe, ist, dass Leute oftmals vergessen, dass Europa kein Land, sondern eben ein vielfältiger Kontinent ist. Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich innerlich bereits meine Augen verdrehe, wenn mir jemand von seinem "Urlaub in Europa" erzählt und davon, wie toll es dort doch sei. Wo genau ist es toll? In Italien? In Slowenien? Estland?
"Genießt euren 'Euro-Summer', euren Aperol Spritz und eure 'Mamma Mia'-Outfits. Aber bitte hört auf, Europa als eine homogene Masse zu betrachten."
Mir ist bewusst, dass viele Reisende sich nicht auf einen Ort beschränken, sondern mehrere Länder durchkreuzen. Der Begriff "Europa" wird also stellvertretend für eine Reihe an Ländern verwendet. Dennoch finde ich es unfassbar irritierend, wenn Australier:innen behaupten, dass sie bereits "überall" in Europa gewesen wären und ich später herausfinde, dass "überall" eigentlich nur Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich und vielleicht noch die Niederlande einschließt.
Mein Appell an alle Australier:innen ist deshalb: Genießt euren "Euro-Summer", euren Aperol Spritz und eure "Mamma Mia"-Outfits. Aber bitte hört auf, Europa als eine homogene Masse zu betrachten.
Zu Hause ist es am schönsten
Zu Beginn habe ich die Frage gestellt, in welchem Land man Urlaub machen soll, wenn man bereits in einem Urlaubsland lebt. Und die Antwort ist eigentlich ziemlich offensichtlich: Zuhause. Australien ist so unfassbar groß und vielfältig, dass es eigentlich immer etwas Neues zu entdecken gibt. Viele Australier:innen verbringen ihren Urlaub deshalb im eigenen Land; sei es in einer Großstadt, im Regenwald, in der Wüste oder am Strand.

Die Gold Coast gilt als eine der schönsten australischen Städte.bild: pexels/Abstract Vibe
Denn auch wenn 85 Prozent der Bewohner:innen Australiens an der Küste leben und der Blick aufs Meer für viele deshalb zum Alltag dazu gehört, so ist das Gras auf der anderen Seite immer grüner – und der Strand auf der anderen Seite von Australien immer weißer.
Deswegen werde ich mich auch niemals an Palmen, feinem Sand und türkisblauem Wasser sattsehen können. Denn falls irgendwann der Tag kommen sollte, an dem mich der Strand in Melbourne kaltlässt, dann gibt es immer noch etliche Weitere, an denen ich mich stattdessen erfreuen kann.
(fw)
Das Jahr ist noch frisch, der perfekte Zeitpunkt also, um Urlaubspläne zu schmieden. Hierzulande kriecht die Kälte noch in die Knochen, Aussichten auf südeuropäische Strände können aber zumindest für warme Gedanken sorgen. Urlaubsvisionen sind doch eine schöne Form von Eskapismus.