Der Feminismus in Europa hat ja mittlerweile schon wirklich viel erreicht. Frauen dürfen seit mehreren Jahrzehnten alleine (!) Auto fahren, Hosen tragen und an Wahlen teilnehmen. In einigen Unternehmen dürfen sie sogar – man mag es kaum glauben – Führungspositionen bekleiden.
Bei einem Blick auf Social Media kann man an dieser Realität beizeiten zweifeln, auch noch im Jahr 2025. Dort bestimmen noch immer vor allem normschöne Frauen das Narrativ. Noch gravierender: Unter Hashtags wie #tradwive wird das Frauenbild aus den 50ern romantisiert.
Allerhöchste Zeit also, dass Frauen auf Social Media sich so zeigen, wie sie sind: Mit einer Dose Fisch in der Hand, die sie sich dann genüsslich in einem Rutsch hinter die rot geschminkten Lippen zimmern. Moment, was?
Richtig gelesen, der neue Trend auf Tiktok sind Fischdosen. Konkreter: Sardinenbüchsen. Unter dem Hashtag #Sardinesummer sammeln sich aktuell immer mehr Videos von vor allem weiblichen Personen, die den schmalen Meeresfisch mit großer Leidenschaft vor der Kamera verzehren.
Was viele bis vor Kurzem mit dem übel riechenden Lieblingsschmaus von Männern Mitte 50 assoziierten, wird nun schon als neuer "It-Girl Snack" gefeiert. Laut "USA Today" sind die Suchanfragen für "Sardinentasche mit Perlen" auf Google zuletzt um 300 Prozent gestiegen.
Tatsächlich geht es bei der neuen Sardinenliebe nämlich nicht nur um Kulinarisches. Als vollwertige Anhängerin des "Sardine Girl Summer" lässt man sich auch mit Taschen, Kleidern und Geschirr im Fisch-Look blicken.
Ganz neu ist der Trend zwar nicht. In Frankreich, Spanien und Italien nutzen Designer:innen das maritime Motiv schon seit Längerem. Wie so oft bei Hypes auf Social Media kann auch niemand so wirklich erklären, warum gerade jetzt die gesamte Online-Community darin eine neue Leidenschaft findet.
US-Medien spekulieren ihrerseits darüber, dass der Sardinensommer als "recession indicator" fungiert. Unter diesem Titel sammeln Online-User:innen aktuell Kleidungsstücke und It-Pieces, die vermeintlich den wirtschaftlichen Abwärtstrend in den USA widerspiegeln. Sardinen sind vergleichsweise günstige, aber dennoch gesunde Fische und passen damit genau in dieses Bild.
"Sardinen sind sehr bescheidene Fische", erklärt Guido Bonsaver, Professor für italienische Kulturgeschichte an der Universität von Oxford in England gegenüber "USA Today". Das Offenbaren der kleinen Meeresbewohner auf Kleidung und Accessoires vermittle daher ebenso eine Haltung der Einfachheit.
Der "Sardine Girl Summer" wird an manchen Stellen sogar schon als Abkehr von Luxusgütern verstanden.
Wirklich wasserdicht ist diese Argumentation allerdings nicht. Zwar gibt es mittlerweile auch Sardinenkleider von Billiganbietern wie Temu oder Shein. Wer will, kann bei Marken wie Staud aber gerne auch mal 400 Euro für ein Kleid mit Fischmotiv zahlen.
Ist der "Sardine Girl Summer" also eine kostengünstige Form des Eskapismus oder doch nur eine weitere Sternstunde des Kapitalismus? Wohlwollend betrachtet ist es wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.
In Wirklichkeit ist der Sardinentrend aber wohl einfach ein Modetrend wie jeder andere – frisch aus der Kuriositätenmaschine Tiktok.