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Doppelinterview

Phenix Kühnert und Suzane über Frauenkörper, Selbstliebe und Solidarität

Phenix Kühnert
Phenix Kühnert ist Influencerin und kämpft gegen starre Gendernormen an. null / Lina Tesch
Doppelinterview

"Retuschiert und glattgezogen": Phenix Kühnert und Sängerin Suzane über Schönheitsideale und Frauenkörper

30.06.2022, 15:32
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Wer in einem Frauenkörper lebt, muss damit rechnen, bewertet, verachtet und kommentiert zu werden. Kein Wunder, dass schon kleine Mädchen oft ein ambivalentes Verhältnis zu ihm entwickeln. Ginge das nicht anders? Phenix Kühnert und Suzane sagen, ja.

Phenix ist Model, Aktivistin und Podcast-Host. Gerade erst hat sie ihr Buch "Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau" veröffentlicht, in dem sie ihr Leben als trans Frau beschreibt. Suzane ist französische Pop-Sängerin. Auf ihrem aktuellen Song "Clit Is Good" singt sie für die Befreiung weiblicher Lust. Zwei Frauen, eine Mission: Schluss mit gesellschaftlichen Restriktionen. Ein Gespräch über Solidarität, pinkelnde Männer und Märchenprinzessinnen – pünktlich zum Ende des Pride Month.

Sängerin SUZANE
Sängerin Suzane ist derzeit als Testimonial für "Teufel" unter dem Motto "Lebe deinen Sound" unterwegs. Bild: Teufel

watson: In welchen Momenten des Lebens ist euch das Frau-Sein besonders bewusst?

Phenix: In den guten! Wenn ich mich so richtig wohl in meiner Haut fühle. Vor allem queere Menschen nennen diese Momente auch Gender-Euphoria. Und das erlebe ich regelmäßig. Suzane: Ich bin mir bewusst, dass ich eine Frau bin, wenn ich mich jeden Morgen schminke, bevor ich aus dem Haus gehe. Wenn ich jeden Monat extreme Schmerzen habe, die ich mit Ibuprofen lindern muss. Wenn ich mit meiner Mutter den Tisch decke, während meine Brüder spielen. Wenn mein "Nein" nicht gehört wird. Wenn ein Mann mir das, was ich gerade gesagt habe, noch einmal erklärt. Wenn es nach 22 Uhr ist und ich nicht mehr allein nach Hause laufen kann.

Welches Verhältnis habt ihr zu eurem Körper? Habt ihr ihn "lieb"?

Suzane: Wie in jeder Beziehung gibt es Höhen und Tiefen. Wir fühlen uns nicht immer wohl miteinander, ich und mein Körper, oft betrachte ich ihn mit wenig Wohlwollen, ich verurteile ihn, ich verstecke ihn, und ich hebe nur diese Mängel hervor. Daran versuche ich mich zu erinnern, wenn ich einmal wieder zu hohe Ansprüche an mich selbst stelle.
Phenix: Ich mag meinen Körper. Auch wenn es nicht immer leicht ist, alles so zu akzeptieren, wie es ist. Besonders schwer ist das, weil mir von verschiedenen Seiten als trans Frau immer wieder deutlich gemacht wird, dass mein Körper "falsch" ist. Aber mein Körper ist goldrichtig.

Das Musikvideo zu Suzanes aktuellem Song "Clit is Good": Nur unter Altersbeschränkung sichtbar, wie die Künstlerin kritisiert. Video: YouTube/Alli Neumann

Frauenkörper werden permanent bewertet. Nicht zuletzt deshalb kämpfen viele Frauen gegen ihn an. Habt ihr euch dabei auch schon erwischt?

Phenix: Natürlich! Ich arbeite auch als Model, ein Bereich, in dem mir Schönheitsideale immer wieder über den Weg laufen. Für mich ist es auch ein sehr starker Moment, dass ich als trans Frau vielen Schönheitsidealen entsprechen kann. Und das ist in der Gesellschaft so nicht vorgesehen.
Suzane: Ja, vor allem wird Frauen beigebracht, schön sein zu müssen. Das beginnt schon sehr früh mit Mantras, die wir alle schon einmal gehört haben, das bekannteste davon: "Wer schön sein will, muss leiden". Frauen scheuen also keine Kosten und Mühen: Diäten, Operationen, all das, um dem einzigen Frauenmodell zu entsprechen, das man überall sieht: retuschiert und glatt gezogen.

"Mein Körper ist goldrichtig."
Phenix Kühnert

Woher kommt dieser Druck?

Suzane: Ich kann mir vorstellen, dass Frauen auch in anderen Epochen ihre Weiblichkeit eingeschränkt leben mussten. Denn der Kult um den Körper und die Schönheit der Frau waren schon immer sehr präsent. Die Frau muss perfekt sein, nicht um sich selbst zu gefallen, sondern um anderen zu gefallen.
Phenix: Ich bin der Überzeugung, dass das so tief verankert ist, dass wir es heute kaum noch wieder aufdröseln können. So viele verschiedene Einflüsse haben dazu geführt. Was ich persönlich ganz aktuell am schwierigsten finde, ist das ständige unterbewusste Vergleichen auf Sozialen Netzwerken.
Suzane: Heutzutage machen es die sozialen Medien tatsächlich nicht einfacher. Alles muss schön sein. Man benutzt Filter, retuschiert Makel. Authentizität ist nicht in Mode!

Wie können wir dem Einhalt gebieten?

Suzane: Auf meinem ersten Album habe ich in "SLT" über die Belästigung von Frauen gesungen, bei "Clit Is Good" habe ich zusammen mit Alli Neumann über die Lust der Frau gesungen. Leider wurde das Video in Frankreich sehr schnell auf YouTube mit einer Altersbeschränkung versehen. Wenn es um das weibliche Vergnügen geht, wird es schnell zum Tabu.
Phenix: Wir brauchen Repräsentation von ehrlicher Diversität. Und ein Bewusstsein dafür, dass entgegen dem, was uns so oft vorgegaukelt wird, die meisten von uns eigentlich gar nicht diesen absurden Schönheitsidealen entsprechen. Und die, die dem entsprechen können, oft nur durch Operationen.

"Wenn es um das weibliche Vergnügen geht, wird es schnell zum Tabu."
Suzane


Suzane: Ändert die Regeln, indem ihr aufhört, das Spiel zu spielen. Bekämpft das Patriarchat, in dem ihr aufhört, euch auf das zu konditionieren, was es von Frauen erwartet. Hört auf zu schweigen und die Zähne zusammenzubeißen, denn Gewalt gegen Frauen wird niemals gehört werden, wenn wir schweigen.

Querverbindung: Alli Neumann ist nicht nur Duett-Partnerin von Suzane, sondern auch mit Phenix befreundet.

Die Entscheidungsgewalt über den eigenen Körper zu besitzen. Was bedeutet das für euch?

Phenix: Als ich jünger war, waren meine Tattoos genau Ausdruck dessen. Mit 18 war das sehr rebellisch. Heute bedeutet es für mich, neben der Freiheit zu tun, was auch immer ich möchte, auch eine Verantwortung mir selbst gegenüber.
Suzane: Frauen kämpfen seit Jahrhunderten dafür, frei über ihren Körper verfügen zu können. Wenn ich sehe, dass die USA das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Frage stellen, denke ich, dass sich die Gesellschaft zurückentwickelt, aber dass Frauen ihren Kampf für die Freiheit fortsetzen müssen.

"Durch das Negativ-Bewerten eines anderen Körpers wird der eigene nicht 'schöner'"
Phenix Kühnert

Auch Frauen bewerten die Körper anderer Frauen oft gnadenlos. Sollten wir untereinander solidarischer werden?

Phenix: Auf jeden Fall! Nicht nur ist es fairer anderen gegenüber, sondern auch sich selbst. Durch das Negativ-Bewerten eines anderen Körpers wird der eigene nicht "schöner". Versprochen.
Suzane: In den Zeichentrickfilmen, die kleine Mädchen sehen, wählt der Prinz immer die schönste Prinzessin aus. Frauen werden in eine unkomfortable Wettbewerbsposition gebracht, was zwangsläufig zu Konkurrenz unter ihnen führt. Eine Frau zu sein bedeutet, ständig in einem Schönheitswettbewerb zu leben – bis zu dem Tag, an dem du nicht mehr jung genug bist, um schön zu sein.

Vermisst ihr irgendwelche Freiheiten, die ein Männerkörper mit sich bringt?

Suzane: Ein Mann kann sich an einem öffentlichen Ort mit nacktem Oberkörper zeigen und es schockiert niemanden. Eine Frau im Mono-Kini am Strand riskiert wiederum, einige Bemerkungen zu erhalten. Ein Mann kann seinen Penis auf der Straße auspacken und gegen eine Wand pinkeln, während eine Frau aus dem Restaurant geworfen wird, weil sie ihr Kind stillt. Es ist unumstritten, dass Männer viel freier in ihrem Körper leben!
Phenix: In meiner Transition hat sich mein Körper verändert: Das, was ich durch die hormonelle Umstellung vermisse, ist es, einfach einen flachen, sportlich anmutenden Bauch zu haben, ohne jeglichen Sport zu treiben.

Flacher Bauch ohne Sport? Das ist das einzige, was Phenix vermisst.

In welchen Momenten fühlt ihr euch schön in eurem Körper?

Suzane: Wenn ich ihn zu meinem eigenen Wohlbefinden nutze, wenn ich ihm erlaube, sich auszudrücken, wenn ich tanze, wenn ich herumlaufe, wenn die Person, die ich liebe, ihn liebevoll ansieht.
Phenix: Ich habe lange mit verschiedenen vermeintlichen Makeln meines Körpers gehadert. Ich schaffe es immer mehr, diese als meine Individualität anzuerkennen und so sogar zu schätzen. Das hätte ich mir früher nie vorstellen können!

"Ein Mann kann seinen Penis auf der Straße auspacken und gegen eine Wand pinkeln, während eine Frau aus dem Restaurant geworfen wird, weil sie ihr Kind stillt."
SUZANE

Gibt es etwas, für das ihr euch bei eurem eigenen Körper im Nachhinein entschuldigen würdet?

Phenix: Die ein oder andere Zigarette in Teenager-Zeiten.
Suzane: Ich entschuldige mich dafür, dass ich immer denke, dass er besser sein könnte, vielleicht sollte ich ihm sagen, dass er nicht perfekt ist, aber dass ich ihn vielleicht eines Tages so lieben werde, wie er ist.

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