Noch fünf Wochen läuft das erste Sommersemester in Präsenz – nach vier Digitalsemestern aufgrund der Pandemie. Die Hörsäle und Bibliotheken sind voll, das Leben auf dem Campus zurückgekehrt.
Haben die vergangenen zwei Jahre die Ansichten von Studierenden zu Uni-Veranstaltungen verändert? Video Calls und digitale Lernmaterialien prägten die letzten Semester. Jetzt heißt es wieder Anwesenheitsplicht, Bibliothek-Alltag und Mensaessen. Was sagen Studierende zur Rückkehr in den Unialltag, wie er vor Corona war?
Stefan Grob, Sprecher des Deutschen Studentenwerks, sagt auf Nachfrage von watson:
In einer repräsentativen Umfrage, die das Meinungsforschungsunternehmen Civey im Auftrag von watson durchführte, beantworteten Studierende folgende Frage: Sollten Veranstaltungen zukünftig in Präsenz oder online stattfinden?
Die Ergebnisse zeigen, dass Studierenden für die kommenden Semester neben dem sozialem Miteinander vor allem die Flexibilität in der Form der Lehre, ob Distanz oder vor Ort, wichtig ist.
36 Prozent der Befragten waren demnach der Ansicht, dass Veranstaltungen "eindeutig" in Präsenz stattfinden sollten, 9 Prozent waren "eher" dafür. Eine Mehrheit von 46 Prozent Prozent wünscht sich ein hybrides Modell. Nur 4 Prozent favorisierten hingegen eindeutig, vollständig auf Online-Unterricht umzusteigen.
Starteten viele Universitäten noch mit Maskenpflicht ins Sommersemester, wurde diese mittlerweile vielerorts wieder aufgehoben. Die lockeren Corona-Maßnahmen stellen allerdings ein Problem für Risikogruppen dar, wenn sie nicht auf Online-Unterricht ausweichen können.
So bieten zwar einige Unis an, dass man sich mithilfe eines Attests von der Präsenzpflicht befreien lassen kann. Wenn allerdings kein Online-Unterricht angeboten wird, fallen betroffene Personen in den Lehrinhalten zurück.
Nach Ost- und Westdeutschland ausgewertet, gab es ebenfalls kleine Unterschiede in der Umfrage zu Online- oder Präsenzunterricht. Im Westen waren 43 Prozent der Befragten der Ansicht, man solle wieder in den Präsenzunterricht. Im Osten war eine Mehrheit von 51 Prozent dafür.
Der Anteil derer, die sich für reinen Online-Unterricht aussprechen, liegt im Westen bei 9 Prozent und im Osten bei 5 Prozent. Unterschiedliche Meinungen gab es im Osten und Westen auch zum hybriden Modell. 41 Prozent der Studierenden im Osten und 48 Prozent aus dem Westen würden diese Unterrichtsform präferieren.
Der Blick in dünn besiedelte Regionen zeigt, dass dort der Wunsch nach direkter sozialer Interaktion beim Studium möglicherweise nicht so hoch ist. 16 Prozent, und damit doppelt so viel als in der Gesamtauswertung, wünschen sich dort zukünftig einen Online-Unterricht. Möglicherweise liegt der Grund aber auch in der räumlichen Distanz zu den Universitätsstandorten, der für den Unterricht in Präsenz zurückgelegt werden müsste.
Nach Geschlecht ausgewertet, ergab die Frage nach der Unterrichtsform an Universitäten, dass sich mit 47 Prozent vor allem Männer Veranstaltungen in Präsenz wünschen. 43 Prozent von ihnen würden die Hybrid-Form bevorzugen. Bei Frauen ist letzteres der Favorit, jede Zweite würde eine Mischform in der Lehre begrüßen. 42 Prozent der weiblichen Studierenden haben sich für Präsenzveranstaltungen ausgesprochen.
Das Ergebnis passt zu einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse KKH von Dezember 2021. Diese ergab, dass weibliche Studentinnen deutlich mehr unter den Corona-Maßnahmen litten als männliche. 70 Prozent der Frauen und 59 Prozent der Männer gaben an, dass sie seit der Krise häufiger demotiviert seien. Zudem sagte die Hälfte der betroffenen Frauen, dass sie unter depressiven Verstimmungen litten, bei den Männern waren es nur 31 Prozent.
Von körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Verspannungen als Folge des Pandemie-Stresses berichtete jede dritte Studentin, allerdings nur jeder fünfte Student.
Auch das Deutsche Studentenwerk (DSW) warnte im Mai 2022 vor der psychischen Belastung der Studierenden durch soziale Isolation während der Pandemie. So heißt es in einer Pressemitteilung: "Nach vier Pandemie-Semestern sind die psychische Belastungssituation sowie die finanziellen und studienorganisatorischen Problemlagen vieler Studierender existenziell."
Dr. Andrea Diekhof, Geschäftsführerin des Studentenwerks Leipzig und Mitglied im DSW-Verbandsrat beschreibt die Notlage vieler Studierender im Online-Studium so:
Es gehe nicht allein darum, sich im erzwungenen Online-Studium eine Tagesstruktur zu geben, oder regelmäßige soziale Kontakte und den Austausch mit Mitstudierenden zu organisieren. "Es geht ums Existenzielle."