Manchmal verraten Zahlen mehr als einem lieb ist: Das wahre Alter zum Beispiel, den Kontostand am Ende des Monats oder auch das Ausmaß an Langeweile. Letzteres lässt sich erstaunlich gut ablesen, wenn man das Anzeigenaufkommen von Second-Hand-Onlinediensten kennt. Und da diese 2020 rasant stiegen, liegt eine Vermutung nahe: Die Deutschen sind im Corona-Jahr in eine wahre Entrümplungswut verfallen, damit ihnen nicht die Decke auf den Kopf fällt.
Für die Betreiber von Flohmarkt-Apps wie Vinted (ehemals Kleiderkreisel und Mamikreisel), Momox oder Ebay sind das wunderbare Nachrichten, denn sie profitierten von der pandemiebedingten Isolation in den eigenen vier Wänden. Watson sprach mit ihnen über explodierende User-Zahlen im Lockdown und welche Produkte besonders begehrt waren.
"Wir sind dieses Jahr von Rekord zu Rekord geeilt", sagt Ebay-Sprecher Pierre Du Bois gegenüber watson. "Nach Merkels Pressekonferenz zum ersten Lockdown gab es zwar kurz einen Einbruch, doch schon zwei Wochen später hatte sich das normalisiert – seitdem steigt die Nutzung."
So sei im zweiten Jahresquartal die Zahl der Seitenaufrufe um mehr als 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, auch die Zahl der aufgegebenen Anzeigen habe sich "zum Teil verdreifacht", sagt er.
Die Bewegungen auf Ebay seien auch sonst geradezu ein "Seismograf" für Wetter, Feiertage und andere äußere Faktoren wie eben nun Corona, berichtet Du Bois. Am 1. Mai seien dann alle "Anzeigentreiber" zusammengekommen: Feiertag, schlechtes Wetter und Corona-Maßnahmen: "Da erlebten wir ein Allzeithoch mit 1,5 Millionen neuen Anzeigen an nur einem Tag", so Du Bois.
Mittlerweile zählen sie 55,6 Millionen dauerhafte Anzeigen, das sei dem enormen Anstieg seit April zu verdanken, sagt er: "Was wir sonst in einem Jahr erreichten, haben wir jetzt in einem halben Jahr geschafft. Die Deutschen misten nach wie vor aus und der 'Lockdown Light' hat das erneut befeuert."
Doch nicht nur die Zahl der Anzeigen steigen, sondern auch die Nachfrage. Bis zu 50 Prozent mehr Seitenaufrufe hätte Ebay im Vergleich zu 2019 beobachten können, darunter eben auch viele Kaufwillige. Deshalb glaubt Du Bois auch nicht, dass der Anstieg ein Zeichen von finanzieller Not ist. Du Bois dazu:
Eingekauft wurden übrigens vor allem Produkte, die das eigene Heim verschönern, im Frühjahr sei Garten- und Terrassen-Equipment besonders heiß begehrt gewesen. "Was außerdem stark zugenommen hat, war der Ankauf von Unterhaltungsmedien", berichtet er weiter. "Vor allem Brett- und PC-Spiele, Bücher, CD's und Blue-Rays. Also auch hier: Alles gegen die heimische Langeweile."
Der gesteigerte Bedarf an Unterhaltungsmedien kommt auch dem Medienriesen Momox zugute. Deren dazugehörige Onlineshop Medimops erlebte im ersten Lockdown Zahlen "über unseren Erwartungen", wie CEO Heiner Kroke gegenüber watson sagt. "2020 wurden neben Büchern, die übrigens grundsätzlich zur größten Kategorie bei Momox gehören und vergangenes Jahr 64 Prozent des Jahresumsatzes ausmachten, auch viele Spiele nachgefragt."
Einen kurzen Einbruch gab es zwar auch hier direkt zu Beginn der Pandemie, der pendelte sich jedoch schnell wieder ein. "Sicherlich hat hier auch die Unsicherheit der Kunden und Kundinnen bezüglich der Corona-Situation eine Rolle gespielt", vermutet Kroke. Nun würde man jedoch "hervorragend wachsen", auch der derzeitige Lockdown würde daran nichts ändern.
"Wahrscheinlich haben unsere Kunden und Kundinnen die Ausgangsbeschränkungen für den Frühjahrsputz genutzt und um zu Hause Platz zu schaffen", glaubt er in Anbetracht der steigenden Privat-Verkäufe.
Allerdings gehen nicht alle Produkte mehr so gut weg wie früher, was man gerade bei Momox' Kleidungsableger Ubup sehe, erzählt er: "Im Fashion-Segment wurde seit Beginn der Corona-Pandemie eher weniger Businesskleidung geshoppt und daher weniger Marken wie etwa Boss oder Marc O’Polo." Allerdings sagt Kroke auch:
Wer im Homeoffice sitzt, braucht nun mal keinen Anzug tragen. Und wer selten raus geht, investiert weniger in Mode, was auch eine aktuelle Umfrage unter 6000 Teilnehmern durch das Marktforschungsinstitut Kantar und Ubup ergab. Demnach haben knapp ein Drittel der Deutschen (29 Prozent) aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie weniger Kleidung gekauft – egal ob neu oder gebraucht.
Sind deutsche Kleiderschränke durch Corona also deutlich leerer? Das wissen die Betreiber der Second-Hand-App Vinted am besten, denn auch hier zeigte sich eine Entwicklung deutlich: Die Deutschen haben ordentlich ausgemistet.
"Im Zeitraum vom Februar bis Juni 2020 wurde tatsächlich ein höheres Engagement der Community beobachtet", sagt eine Sprecherin der App zu watson. Insgesamt konnte Vinted eine Steigerung um 17 Prozent an Produkt-Listings auf ihren Plattformen in ganz Europa verzeichnen, berichtet sie weiter. "Die deutschen Plattformen Kleiderkreisel und Mamikreisel haben maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen. In Deutschland ist die Community mittlerweile auf 8,5 Millionen Mitglieder angewachsen."
Auch sie vermutet, dass die Zwangs-Zeit daheim von den Deutschen genutzt wurde, um "ihren Kleiderschrank aufzuräumen und ihre Kleidung, Schuhe und Accessoires zu sortieren." Da Flohmärkte ebenfalls ausfielen, blieb den Kunden im Grunde nur noch die Möglichkeit des Online-Verkaufs. Und diese wurde zahlreich genutzt.