Eigentlich habe ich keine Familie – zumindest fühlt sich das manchmal so an, weil meine Tochter so weit entfernt wohnt. Ich lebe in Essen, sie ist zum Studium nach München gegangen und lebt mittlerweile in Berlin. Weil ich von Hartz IV lebe, verfüge ich nicht über genügend finanzielle Mittel, um sie regelmäßig zu besuchen.
Nun könnte ich natürlich von meiner Tochter verlangen, dass sie ihre gesamte Freizeit opfert, um mich zu besuchen und auch für die damit verbundenen Kosten aufkommt, weil sie das könnte. Das will ich aber nicht. Ich sehe mich nicht in der Position, meiner Tochter ständig unter die Nase zu reiben: Du hast mehr Geld als ich, also mach mal.
Die Tatsache, dass ich von Hartz IV lebe, hat in den letzten Jahren also dazu geführt, dass wir uns ein wenig voneinander entfremdet haben. Einfach, weil sich unsere Leben so entwickelt haben, dass wir unseren Alltag nicht miteinander teilen können. Ich kann es mir nicht leisten, so stark am Alltag meiner Tochter teilzunehmen, wie ich es mir eigentlich wünschen würde.
Das hängt nicht nur mit der Distanz zusammen, die uns trennt. Auch so könnte ich so viele Dinge, die meine Tochter interessieren, nicht mitmachen – ins Theater gehen zum Beispiel, oder mal ins Restaurant. Und auch wenn sie mich da bestimmt zu einladen würde, wenn ich fragen würde – ich frage ungern.
Mir ist es generell wichtig, dass jede von uns ihre Eigenständigkeit bewahrt. Deswegen finde ich es auch in Ordnung, dass meine Tochter zum Studium weggezogen ist und auch jetzt ihr eigenes Ding macht: Genauso wenig, wie sie abhängig von mir sein soll, möchte ich abhängig von ihr sein. Dass ich finanziell vom Staat abhängig bin, finde ich schon schlimm genug.
Als ich das letzte Mal meinen Vollzeit-Job verlor, hatte ich noch die Hoffnung, dass ich eine neue Stelle finden würde. In den letzten Jahren schwand diese Hoffnung allerdings immer mehr. Mittlerweile, mit 63 Jahren, glaube ich nicht mehr daran, noch Arbeit zu finden – das ist wohl ein Fakt, den ich akzeptieren muss.
Dass ich dadurch weniger Geld zur Verfügung habe, finde ich nicht einmal schlimm. Auch als ich noch gearbeitet habe, habe ich nicht viel verdient, ich brauche nicht viel Luxus in meinem Alltag. Mir hat es mehr weh getan, meine Tochter finanziell nicht unterstützen zu können.
Deswegen beruhigt es mich umso mehr, dass sie auf meine Hilfe nicht angewiesen ist.
Protokoll: Agatha Kremplewski