"Und wie lange bist du schon Single?" Diese Frage, die gerne auf ersten Dates gestellt wird, treibt manchem Alleinstehenden den Schweiß auf die Stirn. Denn zwei, drei Jahre solo durchs Leben zu gehen, scheint allgemein akzeptiert.
Werden daraus aber fünf, sechs oder gar zwölf Jahre, fällt die Reaktion oft anders aus. Wenn über einen langen Zeitraum tatsächlich keine Beziehung mehr gefunden wurde, obwohl (und das ist natürlich entscheidend!) der Wunsch danach bestand – stimmt dann etwas mit dieser Person nicht?!
Die unausgesprochene Frage, die sich im Gesicht des Gegenübers zeigt, springt leider allzu oft auf einen selbst zurück: Warum bin gerade ich Dauersingle, während alle anderen früher oder später wieder jemanden finden? "Das kann einfach Pech sein", sagt Ulrike Scheuermann und gibt damit erst einmal Entwarnung.
Sie ist Diplom-Psychologin und Emotionscoach. "Längst nicht alles hängt vom eigenen Handeln oder Auftreten ab", glaubt sie. "Das ist ein Trugschluss, der uns zum Beispiel in den Sozialen Medien in Marketing-Strategien verschiedenster Anbieter suggeriert wird." Angebote wie: "Finde deinen Traumpartner mit diesen einfachen drei Schritten", würden auf genau diese Unsicherheit abzielen.
Und trotzdem: Manchmal steckt tatsächlich etwas dahinter, wenn ein Mensch lange erfolglos auf dem Singlemarkt unterwegs ist. Bei watson erklärt Ulrike Scheuermann, welche vier Gründe sie häufig beobachtet.
Wie wichtig soziale Kontakte für Menschen sind, hat die Buchautorin erst kürzlich niedergeschrieben ("Freunde machen gesund", Knaur Verlag), doch auch in Sachen Partnersuche schlägt es sich nieder, wenn man schlecht vernetzt ist, sagt sie.
"Es kann sein, dass jemand aufgrund von Schüchternheit, sozialer Unsicherheit oder starker Introvertiertheit nicht genug unter Leute geht", berichtet Scheuermann über einige Langzeitsingles. Diese sehr zurückgezogenen Menschen hätten "dadurch kaum Gelegenheit, jemanden kennenzulernen."
Ein weiterer Grund können ungelöste Ängste aus der Vergangenheit sein. "Viele Menschen fassen aufgrund negativer früherer Erfahrungen schwer Vertrauen, sodass es ihnen noch heute schwerfällt, das Beste oder zumindest gute Absichten von einer anderen Person zu erwarten", sagt Scheuermann, die vor 25 Jahren den Berliner Krisendienst mit aufbaute. "Dann wird es schwer, Nähe zuzulassen."
Das Gemeine daran ist, dass dieses misstrauische Verhalten genau das herbeiruft, was verhindert werden sollte. Wie bei einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung torpediert die misstrauische Person eine sich anbahnende Liebe, bevor sie überhaupt entstehen kann.
"Wer als Schutz einen Panzer aus Misstrauen und Argwohn aufbaut, um nicht wieder enttäuscht oder verletzt zu werden, erntet vom anderen selten Vertrauen und Offenheit", erklärt Scheuermann über den Teufelskreis. "So kann sich ein für vielleicht kurze Zeit positiver Beziehungsbeginn schnell ins Gegenteil verkehren."
Um das Muster zu durchbrechen, braucht es vor allem: Mut und die Bereitschaft, einem anderen Menschen wirklich Vertrauen zu schenken. Auch auf die Gefahr hin, dass man dabei falsch liegt. "Es gibt hier keine andere Chance, als trotz allem wieder bereit zu sein, neu zu vertrauen und sich zu öffnen – und damit verletzlich zu sein, Scham und Kränkungen zu riskieren", so die Psychologin abschließend.
"Ich erlebe in meiner psychologischen Praxis außerdem, dass jemand ein Idealbild vom Traumprinzen oder der Traumprinzessin im Kopf hat und dadurch die echten und in Frage kommenden Personen direkt vor der Nase nicht erkennen kann", erklärt die Psychologin ein weiteres Muster einiger Dauersingles.
Schlechter Musikgeschmack, ein ungeschickter Witz oder das ausbleibende Gefühlsfeuerwerk beim ersten Sex – Dates werden sofort aussortiert, weil sie dem Ideal, das man sich im Kopf zusammengebastelt hat, nicht entsprechen oder sie nicht spannend genug wirken. Chancen auf eine wirkliche Liebe werden so verpasst. "Der zugewandte und hilfsbereite Freund kommt dann nicht infrage, weil er nicht cool und unerreichbar genug wirkt", beobachtet Scheuermann.
Manchmal handelt es sich bei dieser Suche nach dem Ideal um einen romantischen Irrweg, manchmal aber auch um einen unbewussten Selbstschutz, so die Therapeutin. "Und damit sind wir eventuell wieder beim vorherigen Punkt ..."
Es gibt aber noch einen wichtigen Grund, der zum Dauersingletum verleitet, sagt Ulrike Scheuermann: "Vielleicht will jemand im Grunde nicht wirklich eine Paarbeziehung, oder es geht jemandem besser ohne eine solche."
"Oft wirkt ein starker sozialer, gesellschaftlicher Druck, man müsse eine Partnerschaft pflegen", sagt die Psychologin. Dauersingles begeben sich dann – sei es den Eltern, den Freunden oder eigenen Glaubenssätzen zuliebe – nur vorgeblich und halbherzig auf die Suche nach einer Beziehung.
In Wirklichkeit wollen sie gar keinen Partner. "Es muss ja auch nicht sein", gibt Scheuermann zu Bedenken, schließlich gibt es noch "Freunde, Nachbarn, Kollegen und Familie", mit denen man "innige Beziehungen aufbauen" könnte. Diese sind nämlich nicht nur Liebespaaren vorbehalten.