Die Autorin Josephine Apraku hat gerade das Buch "Kluft und Liebe – Warum soziale Ungleichheit uns in Beziehungen trennt und wie wir zueinanderfinden" veröffentlicht. Darin beschäftigt sie sich mit unterschiedlichen Momenten von Liebesbeziehungen und welche Rolle die Unterdrückung darin spielt.
Im Interview mit watson verrät Josephine, wie wir unser Verhalten verändern können, um mehr Gleichberechtigung in der Beziehung zu leben.
watson: Sind Beziehungen zweier Menschen, die sich lieben, nicht per se gleichberechtigt?
Josephine Apraku: Wir müssen wegkommen von dem Gedanken: Wenn wir uns nur tatsächlich lieben, sind diese Probleme für uns keine Probleme. Sondern wahrnehmen, dass, weil wir ja auf eine bestimmte Art sozialisiert und mit bestimmten Wissensbeständen groß geworden sind, wir uns dem gar nicht entziehen können. Diese Momente der Unterdrückung zeigen sich auch in uns, auf unterschiedliche Art und Weise. Die sind einfach immer da und wir können uns ihnen gar nicht erwehren, selbst wenn wir es wollen. Mein Vorschlag in dem Buch ist, dass wir einen absichtsvollen Umgang damit finden, damit wir dem entgegentreten können.
Wie kann man über Ungleichheit in einer Beziehung sprechen?
Eigentlich sollten wir ja Dinge, die für uns in Beziehungen nicht funktionieren, ansprechen können. Viele von den Momenten, wo wir merken, irgendwas passt hier nicht, knüpfen auch an Unterdrückung an: Zum Beispiel, dass ich als weiblich sozialisierte Person die bin, die sich um Konflikte kümmern muss. Da sind ganz viele Momente, die wir vielleicht nicht direkt mit Unterdrückung verknüpfen, die aber durchaus damit verknüpft sind.
Also eigentlich sollte der Partner auch dein Buch lesen, damit man nicht alles selbst reparieren muss in der Beziehung?
Ich habe gerade ein schönes Zitat von Jacinta Nandi gelesen. Die sagte mit Blick auf Sexismus, dass es oft weiblich sozialisierte Personen sind, die an der Beziehung arbeiten und überlegen: Wie kann ich dazu beitragen, dass diese Beziehung besser wird? Was würde helfen, damit unser Alltag entspannter läuft? Und das ist natürlich wichtig. Aber es muss dazu auch ein Gegenstück geben. Das ist tatsächlich etwas, das durch Unterdrückung ausgelöst wird, dass es Menschen gibt, die zuständig sind, und Menschen, die vermeintlich nicht zuständig sind. Das müssen wir hinterfragen und sagen, wir wollen eine Beziehung führen zu einer Person und diese auch machtkritisch gestalten.
Also sollte man schon vor der Beziehung über solche Punkte sprechen?
Ja. Oder zumindest nicht so tun, als wäre es für uns nicht relevant, die ganze Zeit Sexismus oder Rassismus in der Beziehung zu erleben, sondern das schon zum Thema machen.
Du schreibst in deinem Buch, dass man sich oft in der Beziehung verstellt, um Streit zu vermeiden. Man verbirgt zum Beispiel seinen sozialen Hintergrund oder als schwarze Person seine Wut.
Total. Wir lernen, uns zu verstellen. Ich höre gerade das Buch von Mareike Fallwickel "Die Wut, die bleibt" und da gibt es die Figur der besten Freundin ihrer Mutter, an der das auch sehr stark deutlich wird. Diese lebt zwar ein komplett anderes Lebensmodell, aber erlebt auch diese sexistische Unterdrückung. Ich weiß nicht, wie weit du da bist, ich will nichts verraten ...
Gerade übernimmt die beste Freundin den Haushalt und die Kinderbetreuung der toten Freundin.
Das ist ein total gutes Beispiel: Der Vater der Kinder zieht sich immer weiter raus und sie fängt an, sich dann noch um den zweiten Haushalt zu kümmern. Das sind diese kleinen Momente, in denen wir nicht unbedingt zuerst an Unterdrückung denken. Was eine weiblich sozialisierte Person wahrnimmt, ist: Irgendjemand muss sich jetzt um diese kleinen Menschen kümmern. Und das ist absurderweise in dem Zusammenhang nicht der leibliche Vater der Kinder.
Gibt es denn eine Gruppe, die gar nicht diskriminiert wird, wie den weißen, heterosexuellen Mann?
Diskriminierung kettet uns am Ende des Tages alle an bestimmte Stereotype. Mit der männlichen Sozialisierung geht einher, dass eine Riesengruppe von Menschen darin beschnitten wird, sich in ihren eigenen Emotionen auszukennen. Von daher ist das Eintreten gegen Diskriminierung auch aus einer sehr privilegierten Perspektive ein eigenes Interesse. Denn es bedeutet, ein Mensch werden zu können, mit den ganzen Schattierungen, die dazugehören. Tatsächlich wird man auch stärker und individueller. Es bedeutet, einen eigenen emotionalen Ausdruck zu haben, eigene Gefühle und Bedürfnisse zu haben und die auch verhandeln zu können.
Wird man also immer auf eine Art unterdrückt, beziehungsweise diskriminiert?
Ich glaube ehrlich gesagt, dass Unterdrückung die Normalität ist. Und das ist genau die Herausforderung: Dass wir einen neuen Umgang finden müssen mit etwas, was uns oftmals "normal" erscheint. Deswegen bringe ich relativ zu Beginn das Beispiel mit sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Der Begriff Liebe ist in der Gesellschaft einer, der Gewalt durchaus zulässt: Morde aus Liebe, aus Leidenschaft, Stalking aus Liebe. Wenn diese Stufen der Gewalt immer noch im Rahmen von Liebe verhandelt werden, dann macht das ziemlich viel damit, wie wir mit Unterdrückung in Liebesbeziehungen überhaupt umgehen.
Was kann man dagegen tun?
Die Herausforderung ist, genau diese kleinen Momente wahrzunehmen und zu merken, das macht etwas mit uns in der Beziehung. Das sorgt vielleicht dafür, dass ich das Gefühl habe, bestimmte Sachen nicht ansprechen zu können, weil es sonst einen großen Konflikt gibt. Die Herausforderung ist, den Umgang mit etwas zu finden, was vermeintlich so normal ist. Das ist ziemlich unterschiedlich. Manchmal sind es diese ganz kleinen Momente, aber ich denke zum Beispiel auch an die Verteilung von Elternzeit: Wird dabei eigentlich mitgedacht, dass währenddessen kein Geld mehr in die Rentenversicherung eingezahlt wird? Wird das irgendwie ausgeglichen zwischen den Partnern? In der Regel wird darüber gar nicht gesprochen. Und meistens ist es auch so, dass die Partner, die arbeiten gehen, nicht mal davon wissen.
Wie kann man Ungleichheit in der Beziehung vermeiden?
Es geht darum, Ungleichheit überhaupt in den Blick zu nehmen und aus unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen. Und dann zu überlegen: Welche Arbeit ist daran geknüpft und wie sieht die aus, wenn ich Diskriminierung erfahre? Und wie sieht die aus, wenn von mir diese Diskriminierung, auch unabsichtlich und unwissentlich, ausgeht? Das Wichtige ist, erst mal wahrzunehmen, dass das nicht die privilegierte Person zugunsten der unprivilegierten Person macht. Sondern dass es in meinem eigenen Interesse ist, gegen Diskriminierung einzutreten, wenn ich diese Beziehung möchte.
Und konkrete Handlungen?
Ich sollte das Problem aktiv angehen und einen emotionalen Umgang damit finden, der es mir erlaubt, wieder in Kontakt zu treten und nicht nur mein eigenes Selbstbild zu verteidigen. Das bedeutet zum Beispiel, dass ich, wenn Diskriminierung angesprochen wird, meine eigenen Emotionen besser reguliere. Also nicht immer direkt dem ersten Affekt folgen, von: "Stimmt doch gar nicht, das war gar nicht böse gemeint, du bist so sensibel." Sondern zu sagen: "Ich nehme diesen Gedanken direkt aus meinem Kopf und schmeiße ihn in die Mülltonne." Und mache erst mal eine Pause und überlege: Welche Teile in mir reagieren da gerade drauf? Und inwiefern ist das verknüpft mit meiner Sozialisierung, zum Beispiel als weiße Person, als nicht behinderte Person, als bürgerliche Person?