Erschöpft und enttäuscht – kann Liebe irgendwann aufgebraucht sein?
Es gibt kaum etwas Traurigeres, als das Gefühl der absoluten Leere gegenüber einem Menschen, in den man einst leidenschaftlich verliebt war. Keine Freude mehr, keine Wut, keine Schreie, kein Flüstern, keine Liebe, nicht mal Hass. Nur Achselzucken. Ist dieser Punkt der Erschöpfung erreicht, scheint es, als ob kein Weg mehr zurückführt. Kann Liebe irgendwann aufgebraucht sein?
Wir sprachen mit dem Dipl.-Psychologen Michael Cöllen darüber. Der Paar- und Sexualtherapeut aus Hamburg ist auch Autor von "Lieben und Verzeihen – wie sich Paare wiederfinden".
"Liebe selbst ist die größte Ressource im menschlichen Leben", sagt er. Andere "können aufgebraucht werden, nicht aber die Liebe." So liebt eine Mutter nicht jedes Kind weniger, nur weil noch eines kommt. Genauso wenig, wie man Freund:innen nicht liebt, weil man ja schon Geschwister hat. Es handelt sich hier also grundsätzlich um eine unendliche Ressource.
Häufige Enttäuschungen können zum Burnout der Gefühle führen
Aber "durch Missbrauch, Unachtsamkeit, übersteigerten Triebhunger, ungesättigte kindliche Bedürfnisse, durch fehlende Liebeskultur und Liebessprache kann es tatsächlich zur Erschöpfung der Liebe kommen", ergänzt der Therapeut. Auch in Partnerschaften.
Die Liebe zwischen zwei oder mehreren Menschen geht ein, sofern zu viele Verletzungen stattfinden oder es über einen langen Zeitraum oberflächlich bleibt. Cöllen beschreibt dies als "Burnout der Gefühle".
Sich an einen Menschen zu binden, der keine Kultur der Liebe mit dir findet, also keinen "vertieften Austausch von Körper, Geist und Seele" über den Sex hinaus, ist anstrengend und – im emotionalen Sinne – unbefriedigend.
Das Gegenteil, eine lebendige Liebe, "kann nur gedeihen, wenn die fünf Säulen jeder Partnerschaft immer wieder gepflegt werden", erklärt der Psychologe. Diese seien: Körper, Gefühl, Sprache, Seele und qualitative Paarzeit.
In vielen Beziehungen sind nicht alle dieser Komponenten vorhanden, vielleicht auch, weil die Personen sich gar nicht vollumfänglich binden wollen oder können. An der Schnelllebigkeit von Partnerschaftsversuchen lässt sich oft schon ein Muster erkennen. Cöllen sagt:
Um die Erschöpfung zu verhindern, braucht es gesunde Streitkultur
Grundsätzlich ist es möglich, Muster abzulegen. Wer Nähe vermeidet, kann lernen, sich zu öffnen. Wer phlegmatisch wurde, wieder in die Sinnlichkeit finden. Das Problem ist nur, wie der Paartherapeut aus der Praxis weiß: "Wenn es zur Erschöpfung kommt, zum Aufgebraucht-Sein, ist es meist zu spät, die Liebe neu aufzubauen."
Die meisten Menschen haben das schon einmal erlebt. Wurde die Energie aufgebraucht, die Geduld überstrapaziert oder das Vertrauen ein Mal zu oft missbraucht, führt kein Weg mehr zurück in die Liebe. Oft ist dann nicht mal mehr Wut da, sondern nur Resignation.
Deshalb müsse "viel früher, bei den ersten Anzeichen von Krisen mithilfe einer guten Streitkultur den Ermüdungserscheinungen entgegengewirkt werden", sagt Cöllen.
Dazu gehöre es auch den Lieblingsmensch, "herauszufordern, zu konfrontieren, auf keinen Fall aber zu resignieren." Konflikte dürfen nicht mutlos abgebrochen werden. Irgendwann muss eine Auflösung stattfinden, die in die Zukunft führt oder die Vergangenheit zur Ruhe bringt.
"Zu einer guten Streitkultur gehört auch eine Kultur des Verzeihens", mahnt Michael Cöllen. Für viele ist das eine wirklich schwierige Aufgabe, denn:
Ist Resignation erreicht, kein Streit mehr möglich, endet die Liebe
Enttäuschungen und Langeweile sind in langen Partnerschaften geradezu unvermeidbar. Bleibt das Paar miteinander in Kontakt und spricht solche Themen rechtzeitig an, muss das aber kein Problem sein.
Ganz im Gegensatz zum Schweigen, Ignorieren und Lügen. Diese Verhaltensweisen können so frustrieren, dass Gefühle dabei abstumpfen. Dann ist es eigentlich schon ganz egal, was er oder sie fühlt und macht. "Resignation bedeutet das Ende der Liebe", wird der Psychologe deutlich. Das passiert, "wenn die Liebenden nicht rechtzeitig ihre Liebe gepflegt und kultiviert haben. So weit darf es erst gar nicht kommen."
Zusammengefasst erklärt der Psychologe: Grundsätzlich sei Liebe aber auch über Jahrzehnte reaktivierbar, sofern sie gepflegt wird, wie ein "Garten", sagt Cöllen, der ja ebenfalls "viel Wasser und viel Aufmerksamkeit" benötige. Das kann phasenweise anstrengend sein, wird aber belohnt – mit wiederkehrenden Blütezeiten.
Doch gibt sich eine:r oder beide zu lange keine Mühe mehr, aufeinander zuzugehen, sterben die Pflanzen im metaphorischen Garten ab, der Boden wird hart. Dann gibt es tatsächlich keine Lösung mehr als: neue Erde, Neustart.