"Lass' deine Hobbit-Füße unter deiner Decke" oder "Und gleich wird das Handy gezückt! Kopfrechnen ist echt nicht deine Stärke, was Schatz?" – Egal ob vor anderen oder in den eigenen vier Wänden, viele Paare haben eine ziemlich grobe Art miteinander zu sprechen.
Sich gegenseitig mit Marotten oder Schwächen aufzuziehen, im Vorbeigehen zu kneifen oder sogar nachzuäffen soll oft zeigen, wie gut man sich kennt und dass man eine so unerschütterliche Bindung zueinander hat, dass man sich so etwas herausnehmen darf.
Auch unter engen Freunden ist diese Form der Stichelei durchaus verbreitet. Doch was für einige ein Zeichen der Nähe ist, gilt bei anderen als totales No-Go. Und manchmal bleibt auch bei einem vermeintlichen Scherz das schale Gefühl zurück: "Autsch. Das war zu fies."
Wie schmal ist der Grat zwischen flirtigem Necken und toxischer Abwertung wirklich? Wir fragten den Psychologen Christian Hemschemeier. Er arbeitet als Paartherapeut und coacht auch in Online-Kursen.
Das sei eine "schwierige Frage", sagt er. Denn tatsächlich gehört eine humoristische Grenzüberschreitung zum Liebes-Repertoire zahlreicher Paare. Aus gutem Grund, wie der Psychologe sagt: "Ein liebevolles Necken ist sehr sexy für viele Menschen."
Eigentlich seltsam, denn schließlich wünscht sich jede:r in der Theorie eine:n respektvolle:n Partner:in, der sensibel und unterstützend ist. Doch im Rahmen eines Flirts gelten unbewusst oft andere Regeln, wie Hemschemeier ausführt:
Das sei besonders im Gespräch, zum Beispiel bei Dates, auffällig. "Eine gewisse Frechheit und Frische in der Sprache, das finden viele anziehend", sagt der Paartherapeut. Dazu gehört für manche durchaus auch eine kleine Provokation.
Klein ist hier jedoch das Schlüsselwort, denn: "Es ist tatsächlich ein sehr schmaler Grat, ab wann die Witze zu viel werden und sich das Gegenüber – mitunter zu Recht – nur noch kritisiert fühlt", mahnt Hemschemeier.
Jemanden spielerisch zu necken, ohne ihn dabei zu verletzen, das ist eine hohe Kunst. Zudem ist die Toleranzschwelle bei jedem Menschen unterschiedlich hoch und wunde Punkte sind nicht immer bekannt. "Wenn man merkt, das hat mir jetzt echt wehgetan, sollte man das in jedem Fall sofort ansprechen", rät Hemschemeier daher.
Gerade zum Beginn einer Beziehung können unabsichtliche Patzer durchaus noch passieren. Den Ärger hinunterzuschlucken, hilft aber nicht, sonst lernt der oder die Andere nie, wie weit er oder sie gehen darf. "Beide müssen sich genügend kennenlernen, um zu wissen: Wo ist die Grenze?", sagt der Psychologe dazu. Denn die liege "bei jedem Paar woanders."
Es kann also sein, dass der Ex selbstironisch mit seinem Haarausfall umging, deshalb muss der Neue aber noch lange nicht darüber lachen können. Dasselbe gilt für Kochkünste, Tanzkünste, etc. Wer einen wunden Punkt bei dem oder der Liebsten identifiziert hat, sollte tunlichst nicht mehr hineinbohren, auch nicht für den schnellen Lacher. Hemschemeier führt aus:
Denn es gäbe durchaus Beziehungen, in denen ebenjener Respekt verloren gegangen ist (oder auch niemals da war). In solchen Fällen wird aus dem fröhlichen Flirten schnell ein echtes Problem.
"Necken ist necken", sagt der Psychologe dazu. "Wenn aber ständig auf Schwächen von mir, am besten noch vor anderen Menschen auf einer Party, herumgetrampelt wird, dann ist das kein Necken mehr. Ganz klar."
Problematisch wird es spätestens dann, wenn die verursachte Verletzung im Anschluss auch noch abgetan wird. "Auf die Grenzüberschreitung angesprochen, wird manchmal gesagt: 'Hab' dich nicht so. Das war doch nur ein Spaß", erzählt Christian Hemschemeier. Doch die Begründung, man habe es doch nur witzig gemeint, ist manchmal – man ahnt es schon – reine Ausrede:
Oft liegt das Bauchgefühl richtig bei der Frage: Ist mein:e Partner:in hier wirklich aus Versehen einen Schritt zu weit gegangen? Oder sollte mir das, unter dem Deckmantel des Schalks, mit Absicht wehtun?
"Wer dennoch unsicher ist, ob er 'zu sensibel' ist, kann ja mal die Anekdote im Freundeskreis erzählen. Manchmal erkennt man dann schnell, ob die das ihrerseits eher witzig finden – oder völlig entsetzt sind", rät Hemschemeier.
Was sich liebt, das neckt sich, hieß es früher. Doch was sich liebt, das neckt sich nur, solange beide noch darüber lachen, wäre wohl die treffendere Formulierung. Und wem das jetzt alles zu kompliziert ist, kann sich ja mal in einem Humor üben, der ebenfalls sehr sexy ist und anderen garantiert nicht wehtut: Selbstironie.