Auf Weihnachtsfotos fallen sich verliebte Paare stets im Schneegestöber kichernd in die Arme, doch in Wahrheit kommt es unter vielen Mistelzweigen "alle Jahre wieder" eher zum Krach als zum Kuss. Ob es die Eifersucht rund um die Betriebsfeier ist, der Ärger um Weihnachtsdeko oder die Wut über ein missglücktes Geschenk – im Advent herrscht bei vielen Liebespaaren die miese Laune vor.
Warum ist die Weihnachtszeit so ein guter Nährboden für Streit in der Beziehung? Watson fragte bei Vera Matt nach. Sie ist Paartherapeutin und betreibt eine psychotherapeutische Praxis in Brandenburg.
Das Problem ist ihr aus der Praxis bekannt. Sie sagt: "Es sind vor allem die hohen Erwartungen, die uns um die Ohren fliegen. Das Jahr soll romantisch und festlich ausklingen, wir wünschen uns Harmonie untereinander. Doch wie soll das gehen in einer Zeit, die betriebsamer und stressiger ist, als der Rest des Jahres?"
Besonders vor Weihnachten herrsche in vielen Bereichen des Lebens, "so etwas wie eine Jahresend-Panik", erläutert die Therapeutin. Nicht nur, dass es Einladungen auf Betriebsfeste, Schrottwichteln und Weihnachtsmärkte hagelt, "meistens ist auch auf der Arbeit richtig viel Stress angesagt, es müssen noch tausend Dinge erledigt werden und da liegen die Nerven jedes Einzelnen bereits blank", sagt Vera Matt. Ideale Voraussetzungen für einen Beziehungsstreit also.
Wenn jetzt noch eine Diskussion aufkommt, wer privat was zu erledigen hat, ist der Konflikt vorprogrammiert. Wer kümmert sich um die Geschenke? Feiern wir zusammen? Bei deinen oder meinen Eltern? Besorgen wir einen Weihnachtsbaum? Verschicken wir Karten?
Im Advent müssen viele Fragen ausgehandelt werden und das unter Zeitdruck. "Und leider ist es nicht nur die Hektik der verstreichenden Tage, sondern auch emotionaler Druck von außen, zum Beispiel von den Familien", beobachtet Vera Matt.
Denn: Auch die jeweiligen Angehörigen haben ganz spezielle Erwartungen, was das Weihnachtsfest betrifft. Und diese mit den Interessen des Paares unter einen Hut zu bringen, ist nicht nur ein terminlicher Balanceakt. "Bei der Verhandlung um die Weihnachtstage, geht es vielen Schwiegereltern auch um Hierarchie. Das sind nonverbale Revierkämpfe, in die Paare hineingezogen werden", beobachtet die Paartherapeutin. Sie erklärt:
Verschiedene Familien bedeuten noch dazu ganz eigene Traditionen und so stehen Paare oft besonders an Weihnachten vor dem Dilemma, dass die Art und Weise, wie sie selbst die Adventszeit gewohnt sind und auch weiterhin verbringen möchten, unterschiedlicher nicht sein könnte.
"Viele Paare streiten um die Weihnachtsrituale", erzählt Vera Matt. "Wenn die Partnerin schon im November Plätzchenrezepte googelt und in einen Backrausch verfällt, er aber eigentlich abnehmen will, zum Beispiel. Oder sie die Deko gerne schlicht und traditionell mag, ihr Freund aber mit blinkenden Lichterketten auffährt. Was festlich ist, da sind sich Paare oft uneins."
Und nicht zuletzt spielt auch ein natürlicher Faktor eine Rolle: die Dunkelheit des Winters. "Die Sonne geht spät auf und früh unter, ungünstigerweise verbringen wir die wenigen Sonnenstunden des Tages auch noch am Arbeitsplatz. Das drückt aufs Gemüt", so Vera Matt. Wer aber keine Sonne und kein Vitamin D tankt, bekommt schlechte Laune.
"Die gefühlt ewige Dunkelheit und die künstliche Beleuchtung ist für die Seele nicht so schön", sagt die Therapeutin. "Vorausgesetzt, es wird dieses Jahr überhaupt beleuchtet und man streitet sich als Paar nicht allein schon wegen der bevorstehenden Stromrechnung ... Ich sehe da schon ganz neues Konfliktpotential."
Bei so viel schlechten Voraussetzungen hilft eigentlich nur noch eines – kurz innehalten, sich in die Augen schauen und offen aussprechen, was wohl jedes Paar schon mal im Auge des Adventssturms gedacht hat: "Ein Wahnsinn dieses Weihnachten, oder?" Denn manchmal reicht es schon zu wissen, dass der Andere zwar auch keine Lösung für das Problem hat, es aber gemeinsam mit dir aussitzen wird.