Es gibt Menschen, die Jahrzehnte in einen romantischen Traum investieren, der sich wohl nie erfüllt, nämlich dass ihr bester Freund oder ihre beste Freundin sich eines Tages wie vom Donner gerührt zu ihnen umdreht und erkennt, dass das eigentlich Liebe ist.
Das Verharren in heimliches Verliebtsein ist schwer auszuhalten. Sowohl für den oder die Betroffenen als auch für alle Zuschauer:innen, die sich denken: "Quäle dich doch bitte nicht so." Denn was gibt es Schlimmeres, als ganz nah dran zu sein und doch nie als Objekt der Begierde erkannt zu werden – wie schädlich für den Selbstwert, wie blockierend für das Liebesleben.
Doch dahinter steckt die unstillbare Hoffnung, dass sich Freundschaft eben doch zu Liebe entwickelt und Gefühle von Platon zu Eros hinüberwandern. Und zwar, ohne dass man die eigene Verknalltheit offenbart. Ist das möglich? Kann eine Freundschaft in einer Beziehung enden?
Psychologe Christian Hemschemeier arbeitet als Paartherapeut und coacht auch in Online-Kursen. Wir sprachen mit ihm über späte Reue und die blanke Panik, sich verletzlich zu machen.
Er findet, das größte Problem an heimlicher Liebe sei das Wort "heimlich". "Denn wenn man nicht offen ausspricht, dass man mehr möchte, kann das Gegenüber darauf ja gar nicht reagieren", gibt Hemschemeier zu Bedenken. Logisch. Daher lautet sein Rat eindeutig: "Sag' es! In jedem Fall."
Natürlich mache man sich verletzlich, wenn man zugibt: "'Ich stelle mir eigentlich mehr vor mit dir', aber alles andere ist unehrlich und Energieverschwendung", ist der Therapeut überzeugt.
In seiner Praxis würde er in Bezug auf dieses Thema große Unterschiede zwischen Männern und Frauen erkennen, zumindest bei heterosexuellen Beziehungen. Er führt seine Beobachtungen aus:
Demnach seien es häufiger, natürlich nicht immer, die Männer, die sich beklagen in der vermeintlichen "Friendzone" gelandet zu sein. Ein Problem, was man selbst beheben könnte, wie der Experte mahnt.
"Ich empfehle den meisten Leuten, sich aus der Freundschaft zu verabschieden, wenn dahinter in Wirklichkeit enttäuschte romantische Hoffnungen stecken", sagt Hemschemeier dazu ganz simpel. "Das ist bei sehr alten, wichtigen Freundschaften natürlich schmerzhaft, völlig klar. Aber eine Freundschaft mit Hintergedanken ist im Grunde für beide Seiten unangenehm."
Ein Part wird vielleicht irgendwann feststellen, dass ihm nur so geduldig zugehört wurde, weil eigentlich Hoffnung auf Sex bestand. Der andere Part leidet wiederum darunter, trotz Nähe keine körperliche Zuneigung zu bekommen, muss sich im schlimmsten Fall Dating-Geschichten anhören.
Das alles führe "nirgendwohin", so Hemschemeier deutlich:
Er rät Klient:innen daher, dass sie direkt mit offenen Karten spielen sollten, wenn sich beim Kennenlernen einer neuen Person schon abzeichnet, dass es – entgegen dem eigenen Willen – rein platonisch wird.
"Es ist tausendmal besser, sofort zu sagen: 'Nein, ich möchte mehr als Freundschaft von dir. Dann nehme ich lieber Abstand'", erklärt der Experte. "Das ist stark, souverän und vor allem ehrlich."
Es sei nichts peinlich oder unangemessen daran, die eigenen Wünsche klar zu vertreten. Im Gegenteil. Es könne durchaus sein, dass man mit dieser selbstbewussten Art "die Wahrnehmung von sich selbst noch einmal verändert und man plötzlich doch wieder interessant wird", glaubt Hemschemeier.
So oder so seien ab dem Moment "zumindest die Fronten geklärt". Der oder die Andere hat nun die Chance, angemessen zu reagieren.
Manche würden aber auch deshalb nicht laut aussprechen, was sie wollen, weil sie schon ahnen, dass die Antwort ein "Nein" wäre. "Klar, Ablehnung fühlt sich immer Scheiße an", sagt der Psychologe. "Aber viele Menschen haben eine völlig überzogene Angst vor einem Korb. Das ist gar kein großes Drama, passiert jedem, gehört zum Dating dazu."
Man solle sich eher mal überlegen, wie man als 80-Jährige:r auf diese Zeit zurückschaut. Die meisten Menschen bereuten schließlich nicht, was sie getan, sondern unterlassen hätten, gibt Hemschemeier zu Bedenken: "Und was uns heute unangenehm ist, ist dann gar nicht mehr schlimm. Vieles war eher nötig, um Klarheit zu haben oder abzuschließen."
Einen letzten Aspekt dürfe man bei der ganzen Angst vor Abfuhr auch nicht ganz vergessen, tröstet der Paartherapeut zum Schluss noch: "Im besten Fall rennt man mit einem Liebesgeständnis eine offene Tür ein, weil nur darauf gewartet wurde. Soll es ja auch geben …"