Kaum etwas ist so entmutigend beim Dating wie ein richtig schrecklicher, erster Kuss mit einem Menschen, den man bis dato wahnsinnig heiß fand. Zu stürmisch, zu labberig, stinkig oder nass – was die ganz persönlichen Abtörner sind, mag sich unterscheiden, doch eines ist immer gleich: Ist der erste Kuss schlecht, fühlt sich das wie eine kalte Dusche auf alle erogenen Zonen gleichzeitig an. Unwillkürlich fragt man sich: Wird das im Bett jetzt so mies weitergehen?
Denn nicht selten wird vom Küssen auch auf die anderen erotischen Fähigkeiten geschlossen. Naheliegend ist es ja, denn schließlich verrät ein Kuss schon viel über Geschmack, Geruch, Tempo und körperliches Zusammenspiel. Doch ist das zu einfach gedacht? Kann allein das Küssen schon Aufschluss über die Kompatibilität im Bett geben?
Wir sprachen mit Andrea Bräu über das Phänomen. Sie ist Paar- und Sexualtherapeutin in München und arbeitet als Beraterin des Portals "Ashley Madison".
Sie beruhigt erst einmal und rät, einen schlechten Kuss nicht direkt überzubewerten. "Hier ist doch die Situation entscheidend", so die Paartherapeutin. Also: In welchem Kontext kam es zum Kuss? War man entspannt, gestresst, nüchtern oder abgelenkt? Das alles hat Einfluss auf unsere Kuss-Qualitäten, erklärt sie:
Sollte die Knutsch-Situation also nicht optimal gewesen sein, gilt es, ein wenig gnädig miteinander umzugehen. Wer ehrlich ist, weiß auch, dass es manchmal nicht nur der oder die Andere ist, welche:r schlecht performt. In einigen Momenten ist man auch selbst gerade nicht auf der Höhe, sei es körperlich oder emotional.
Zudem sind Küsse subjektiv, lästern über gute oder schlechte Küsser:innen ist daher nicht angebracht. Was sich angenehm anfühlt und was nicht, sei immer nur "die eigene Bewertung", erinnert Andrea Bräu daher. Und im Zweifelsfall probiert man es lieber noch einmal, bevor ein toller Mensch im Dating-Game flöten geht. "Jeder verdient grundsätzlich immer eine zweite Chance, denke ich", sagt die Therapeutin.
Allerdings ist es schon so: Wenn zwei sich auch dann beim Knutschen permanent in die Quere kommen, passt man – zumindest rein mund-akrobatisch – vielleicht einfach nicht zusammen. Das muss sich allerdings nicht Eins-zu-Eins auf Geschlechtsverkehr übertragen, sagt die Expertin:
Wenn nun aber der tollste Mensch der Welt leider auch der oder die mieseste Küsser:in ist, lohnt es sich dennoch dranzubleiben und das freundlich "zu kommunizieren", so Bräu: "Wir alle sind lernfähig und Küssen will gelernt sein!"
Vielleicht braucht es einfach eine Weile, bis sich beide aufeinander einspielen. Vielleicht hatte die Ex-Beziehung beim Küssen Vorlieben, die es nun wieder abzugewöhnen gilt. Kurzum: Eine Verknalltheit nur deshalb aufzugeben, weil der erste Kuss nicht Leinwand-würdig war, wäre vorschnell.
Denn erstens bedeutet ein mieser Kuss nicht, dass alle Küsse für immer mies bleiben. Zweitens bedeutet ein schlechter Kuss nicht, dass auch der Geschlechtsverkehr schlecht werden muss. Und drittens "sagt auch die Kompatibilität im Bett nicht alles über die Beziehung aus", mahnt die Therapeutin, "das nur so am Rande..."