Demisexuell beim Dating: Was genau bedeutet das?

Körperliche Nähe ohne emotionale Verbindung ist für Demisexuelle völlig reizlos.Bild: pexels / Анастасия Быкова

Warum Dating für demisexuelle Menschen oft langsamer funktioniert

Julia Dombrowsky

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Manch sexuelle Orientierung wird erst im Vergleich zu anderen offensichtlich. Zum Beispiel, wenn eine Freundin darüber spricht, wie sexy jemand ist, der gerade erst den Club betreten hat. Oder ein Freund vom One-Night-Stand schwärmt.

"Wie kann man nur irgendwen anziehend finden, den man nicht kennt?", fragst du dich unwillkürlich. Erotische Fantasien von attraktiven Unbekannten sind dir fremd.

Wenn du jemals jemanden küssen wolltest, kanntest du diese Person immer schon sehr gut. Kommt dir bekannt vor?

Dann bist du vielleicht demisexuell und deine sexuelle Lust ist untrennbar mit emotionaler Nähe verbunden.

Sexual-Coach Mignon KowollikBild: PR / Anri Coza

Was steckt hinter dem Phänomen? Was bedeutet das beim Dating? Wir haben darüber mit Mignon Kowollik gesprochen. Sie arbeitet als Sexual-Coach für Paare und Singles in Hamburg.

Sie sagt: "Demisexuell zu sein bedeutet, Liebe und Sexualität in einem besonderen Gleichgewicht zu erleben. Es geht dabei nicht nur um Freundschaft oder Sympathie, sondern um eine tiefere Bindung, die Vertrauen und Nähe umfasst."

Keine Lust ohne Liebe: die Definition von Demisexualität

Während sich viele Menschen schon als Teenager für Stars begeistern, sich in Tagträumen an den Schwarm verlieren oder auch Passant:innen auf der Straße in Sekundenschnelle sexy finden können, gilt das für Demisexuelle nicht.

"Für demisexuelle Menschen steht die emotionale Komponente vor der körperlichen Anziehung – sie brauchen Zeit, um diese Verbindung aufzubauen", erklärt Kowollik. One-Night-Stands oder unverbindliches Dating fällt ihnen entsprechend schwer, da es für sie nicht ausreicht, jemanden hübsch oder wohlriechend zu finden, um ihm oder ihr nahe sein zu wollen.

Demisexuelle Menschen brauchen eine langfristige, emotionale Bindung, bevor sie überhaupt Lust entwickeln. Das ist eine klar definierte sexuelle Orientierung, nicht einfach frigide, spießig oder oldschool, wie die Expertin erklärt. Dennoch würde Demisexualität oft missinterpretiert:

Klar, im Prinzip geht es den meisten Menschen so, dass sie eine emotionale Verbindung bevorzugen, wenn sie sich körperlich fallenlassen. Liebe und Lust hängt bei der Mehrheit der Menschen eng miteinander zusammen.

Demisexualität befindet sich auf dem Spektrum der Asexualität

Der Unterschied ist aber, dass Demisexuelle ohne ebenjene Gefühlsebene überhaupt keine sexuelle Lust empfinden können, während sich der Mainstream auch schon durch pornografische Bilder erregen lässt, durch Abbildungen von Brüsten, Stöhngeräuschen oder Moschus-Parfum. Diese rein äußeren Faktoren sind für demisexuelle Personen erotisch uninteressant.

Manch demisexuelle:r Mensch hat sogar insgesamt wenig bis gar keine Lust auf Sex, weshalb Demisexualität auch auf dem Spektrum der Asexualität verortet wird (laut Demisexuality Resource Center).

Doch einige mögen Sex durchaus und können ihn dann – mit der für sie richtigen Person – auch sehr genießen. "Für viele, die Gefühle und Sex nicht trennen können, ist Intimität eine Verlängerung der eigenen Emotionen", erklärt Sexual-Coach Kowollik weiter. "Sie erleben Sexualität als etwas tief Verbundenes, bei dem Körper und Herz miteinander verschmelzen."

Wie schnell diese Anziehung erfolgt, ist hoch individuell. Manch demisexuelle Person benötigt nur einen kurzen, aber intensiven Kennenlernzeitraum, andere benötigen Jahre der emotionalen Intimität, um sich überhaupt körperlich hingezogen zu fühlen.

"Biologisch betrachtet spielen Hormone wie Oxytocin, das sogenannte Bindungshormon, ebenfalls eine Rolle", erklärt die Expertin. Dieses wird während intimer Momente ausgeschüttet und fördert das Gefühl von Verbundenheit. Aber auch "persönliche Werte und Erfahrungen prägen, wie wir Nähe und Sexualität empfinden".

Wichtig zu betonen: Zwar gibt es für demisexuelle Menschen keine sexuelle Lust ohne emotionale Verbindung, aber durchaus emotionale Verbindungen ohne Lust, wie eben platonische Freundschaften. Große emotionale Nähe ist also auch in der Demisexualität noch lange kein Garant für Lust auf Sex.

Herausforderungen und Chancen für demisexuelle Singles

Wer sich selbst als demisexuell identifiziert, mag auf dem Dating-Markt deutlich mehr Zeit benötigen, einen passenden Menschen für sich zu finden, andererseits beugt die Verbindlichkeit auch emotionalem Chaos vor, wie die Expertin tröstet.

Sie berät mitunter auch das Portal Ashley Madison und weiß, dass es vielen Menschen schwerfällt, sich ihren Gefühlen sicher zu sein, auch wenn sie bereits Sex hätten. So würden zum Beispiel 35 Prozent aller offen nicht-monogamen Mitglieder eine sekundäre Beziehung trotz Verknalltheit weiterführen, "um zu sehen, ob es sich um vorübergehende Gefühle" handele.

Sie hofften also, durch Sex mehr über ihre Gefühle zu lernen, nicht andersrum. Das kann anstrengend sein. Für demisexuelle Menschen wären solche Szenarien von vornerein nichts.

"Letztendlich ist es weder richtig noch falsch, Gefühle und Sexualität zu verbinden oder zu trennen", sagt die Expertin jedoch. Wichtig sei es, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und sie auch entsprechend zu kommunizieren. Der Sexual-Coach fasst zusammen:

Das ist schwieriger als es klingt. Denn natürlich wollen viele Menschen beim Kennenlernen gerne hören, wie attraktiv sie sind, fühlen sich mitunter verunsichert, wenn Bestätigung ausbleibt. Im Zweifelsfall passt es dann aber einfach nicht.

Sex soll allen Beteiligten Spaß machen. Wenn es dafür eine lange Kennenlernphase und echte emotionale Nähe braucht, ist das zu akzeptieren. Mignon: "Sexualität ist so individuell wie wir selbst. Das Schöne daran ist, dass es Raum für jede Facette gibt – auch für eine, die tiefer als nur die körperliche Ebene geht."