In jedem Freundeskreis gibt es vermutlich diese eine Person, die ihre Freund:innen quasi in Echtzeit an Nachrichten des Dates teilhaben lässt, die eigentlich nur für sie oder ihn bestimmt waren.
Von "Was soll ich jetzt antworten?", über "Wie meinst du, hat er das gemeint?" bis hin zu: "Und dann hat sie mir dieses Foto geschickt", sind alle quasi im Live-Ticker bei der Unterhaltung dabei. Freund:innen erhalten Screenshots, Voicemails werden weitergeleitet und der Freundeskreis zur Interpretation ganzer Dialoge aufgefordert.
Ein wenig seltsam fühlt es sich ja an, in derart intime Gespräche hineingezogen zu werden, die einen gar nichts angehen. Dennoch ist das Phänomen verbreitet. Ist es ein Vertrauensbruch, den Chatverlauf eines Flirts ohne dessen Wissen mit Freund:innen zu teilen? Kann es uns im Dating-Game helfen oder verwirrt das eher? Und warum tun wir das überhaupt?
Wir fragten den Psychologen Christian Hemschemeier. Er arbeitet als Paartherapeut und coacht auch in Online-Kursen. Auch seine Patient:innen wollen manchmal seine Meinung zu einem Chatverlauf wissen.
Manchmal passiert es: Da trudelt eine neue Nachricht des Flirts zum falschen Zeitpunkt ein und schon sitzen da sechs Leute zusammen über dem Handy und beratschlagen, wie diese Message wohl zu verstehen sei.
Ist es noch normal, die eigene Flirt-Geschichte im Kollektiv zu bequatschen? "Ich finde das total in Ordnung", sagt Christian Hemschemeier und erläutert:
Dating-Geschichten und die dazugehörigen Chats zu teilen, macht uns also schlicht Spaß und das ist an sich nicht verwerflich. "Ich glaube allerdings nicht, dass es viel bringt", sagt der Therapeut zum praktischen Nutzen der Beratschlagung.
Zum einen, weil der oder die Hinzugezogene vielleicht ganz andere Kriterien in der Liebe wichtig findet als man selbst, aber auch "weil es fast nie von ein paar Sätzen abhängt, wie eine Datinggeschichte weiter verläuft."
Die große Erkenntnis braucht man aus Gruppen-Interpretationen also nicht zu erwarten: "Aber schlimm finde ich das überhaupt nicht", sagt der Psychologe.
Allerdings gibt es natürlich auch hier eine Schmerzensgrenze. "Wenn der Andere sehr persönlichen Geheimnisse hat, die man dann hinter dem Rücken mit den eigenen Freunden teilt, ist das blöd", sagt Hemschemeier.
Er hat ein schweres Kindheitstrauma? Sie hat ein Nacktfoto geschickt? So etwas weiterzuleiten, ist ein Vertrauensbruch. Der Paartherapeut fasst zusammen:
Aber meistens gehe es ja nicht darum, den Anderen oder die Andere bloßzustellen, sondern darum, sich Rat einzuholen. "Wenn man gerade mit dem Date Stress hat und sich bei Freunden rückversichert: 'Guck mal, kann ich die Antwort so abschicken?', ist das nicht schädlich", meint der Paartherapeut. "Meistens geht es ja nur darum, wie irgendwelche Sätze formuliert werden."
Ein bisschen Tratschen und ein bisschen Teilen ist also aus Expertensicht beim Dating halb so wild. Wenn das nicht gute Nachrichten für das nächste Freund:innen-Dinner sind.