Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlägt aktuell Alarm: Sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphilis sind weltweit auf dem Vormarsch. Die Zahl der jährlichen Neuinfektionen von Syphilis sei von rund 7,1 Millionen (2020) auf acht Millionen (2022) gestiegen.
"Die steigende Inzidenz von Syphilis gibt Anlass zu großer Sorge", sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Laut des Berichts seiner Organisation stecken sich täglich insgesamt mehr als eine Million Menschen mit Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydien oder Trichomoniasis an. Auch die HIV-Neuinfektionen würden zu langsam sinken.
Schaut man sich online um, hat man das Gefühl, unsere Gesellschaft – insbesondere die Jugend – sei sexuell so aufgeklärt wie noch nie. Der Zugang zu Informationen ist heute leicht.
Aber warum sind die Fallzahlen dann so hoch?
Daniel Nagel ist Mitgründer des Vereins "F/A/Q", der seit vielen Jahren Aufklärungsarbeit rund um sexuell übertragbare Krankheiten leistet.
Er sagt: Scham spielt immer noch eine große Rolle. "Der Zugang zu Informationen ist leicht, aber es gibt sehr viel Scham, Tabuisierung und auch Unwissen. Das entsteht auch durch die Verwendung falscher Quellen."
Erhebungen von F/A/Q zufolge informieren sich mehr als 80 Prozent der jungen Menschen zu Gesundheitsinhalten auf Social Media. "Auf der anderen Seite gaben mehr als 40 Prozent der Befragten an, sich im Gespräch mit medizinischem Fachpersonal schonmal verlegen oder beschämt gefühlt zu haben", sagt Nagel.
Wenn seine Organisation in Schulen aufkläre, sorgten sich viele Schüler:innen meist nur um eine Schwangerschaftsverhütung. Die Sorge vor einer Ansteckung mit Krankheiten ist zweitrangig. Zudem sei Sex heute verfügbarer. "Durch Dating-Apps hat man die Möglichkeit, sehr schnell Menschen zu treffen und Sex zu haben." Auch das könne in die gestiegenen Fallzahlen hineinspielen.
F/A/Q versucht deshalb, Menschen dort aufzugreifen und zu informieren, wo sie unterwegs sind: auf Social Media. Mit "Edutainment" – also einem Mix aus unterhaltenden und aufklärenden Inhalten – will der Verein die Jugend erreichen.
Gemeinsam mit den Machern von "Sex Education" starteten sie eine Kampagne, in der Serieninhalte zum Thema Sex und Gesundheit aufgegriffen wurden. Sie zeigen Präsenz beim Coachella und nehmen auch mentale Gesundheit in den Fokus. Dazu kooperieren sie mit den Elevator Boys, die auf Instagram und Tiktok offen über mentale Probleme reden.
"Es ist wichtig, jungen Menschen das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind. Dass sexuelle und mentale Probleme total normal sind, damit sie sich aktiv mit ihren Gefühlen, Ängsten und Sorgen auseinandersetzen, ohne sich dafür zu schämen", sagt Nagel. Vorbilder wie die Elevator Boys oder Digital Safe Spaces, in denen sich Gleichgesinnte austauschen, seien da eine große Hilfe.
Oft fehlt es an Wissen, woran man Geschlechtskrankheiten erkennt. Wer die Symptome kennt, kann rechtzeitig reagieren und ärztliche Hilfe aufsuchen.
Die Syphilis ist eine Geschlechtskrankheit, die durch Bakterien übertragen wird. Das kann über kleine Verletzungen in der Haut oder Schleimhaut passieren, zum Beispiel beim ungeschützten Vaginal- oder Analverkehr.
Die Symptome fallen sehr unterschiedlich aus, manchmal bleibt die Krankheit sogar unerkannt. Wer ein kleines Geschwür an Penis, Scheide, Analbereich oder Mund bemerkt, sollte das checken lassen. Auch die Lymphknoten können geschwollen sein. Später folgen Symptome wie Fieber und Hautausschläge.
Mit Antibiotika ist die Krankheit gut behandelbar. Bleibt sie jedoch unbehandelt, kann die Syphilis schwere, lebensbedrohliche Folgen haben.
Tripper, auch Gonorrhö genannt, wird ebenfalls beim Vaginal- oder Analverkehr sowie beim Oralverkehr übertragen. Die Infektion fällt meist durch Jucken oder Brennen sowie Eiterbildung und Ausfluss auf. Auch eine Entzündung der Prostata ist möglich, die durch Schmerzen am Damm, in der Blasengegend, beim Stuhlgang und häufiges Wasserlassen auffällt.
Bei Frauen treten in 50 Prozent der Fälle keine Symptome auf. Wenn doch, sind es meist Schmerzen beim und häufiges Wasserlassen, sowie Ausfluss und Schmierblutungen. Unbehandelt kann Tripper zu Unfruchtbarkeit führen.
Auch von Chlamydien haben sicher viele schon einmal gehört – obwohl die Infektion meist ohne auffällige Symptome verläuft. Indizien können Ausfluss aus der Harnröhre und der Vagina sowie Jucken, Brennen und Schmerzen beim Wasserlassen sein. Unbehandelt können Chlamydien zu Entzündungen des Unterleibs, der Prostata, Hoden und Nebenhoden sowie zu Unfruchtbarkeit führen.
Prävention ist das A und O, sagt Daniel Nagel. Regelmäßige Check-ups sind jedoch in Zeiten von überlasteten Arztpraxen oft nicht möglich, unbegründete Tests müssen meist aus eigener Tasche bezahlt werden.
Männer gingen generell seltener zu Mediziner:innen. "Wenn ich als junger Mann zum Urologen gehe, sagt der: 'Was wollen Sie hier? Kommen Sie in 30 Jahren wieder'." Da viele Frauen mittlerweile auf hormonelle Verhütungsmethoden wie die Pille verzichten und dementsprechend seltener ein Rezept von Ärzt:innen benötigen, würde auch ihr Anschluss an Arztpraxen weniger.
Um sich zu schützen, ist die Verhütung mit Kondomen oder Femidomen beim Vaginal- und Analverkehr ratsam. Auch für Sexspielzeuge sollte man diese nutzen und die Toys zudem nach jedem Gebrauch gründlich reinigen. Kondome und Femidome reduzieren das Risiko einer Übertragung, schützen aber nicht vollständig. Gerade Menschen, die wechselnde Sexualpartner:innen haben, sollten sich daher regelmäßig testen lassen.
Frauen unter 25 Jahren haben die Möglichkeit, sich einmal jährlich kostenlos auf Chlamydien testen zu lassen. Gegen Humane Papillomviren (kurz: HPV), die maßgeblich an der Entstehung von Gebärmutterhalbskrebs beteiligt sind, gibt es Impfungen. Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, sich mit HIV anzustecken, können durch die Einnahme von PrEP vorsorgen. Zu solchen Themen sollte der Rat in einer Arztpraxis eingeholt werden.
"Als junger Mensch kann ich gesunde Routinen entwickeln, um gegen Brust- oder Hodenkrebs vorzusorgen. Ich kann meinen Körper unter der Dusche mal anfassen und überlegen: Fühlt sich das normal an?", sagt Daniel Nagel. Wer auf Körpersignale höre, könne viele Krankheiten frühzeitig erkennen und medizinische Hilfe suchen.
(mit Material der dpa)