Die Zukunftsangst kickt. Angesichts der nicht nur politisch wilden Weltlage ist das auch kein Wunder: Klimakrise, Kriege, Inflation. Zudem ist zuletzt die Ampel-Regierung zerbrochen – und die (saure) Kirsche auf der Krisentorte ist für viele, dass Donald Trump wieder US-Präsident wird.
Zukunftsangst und Unsicherheitsgefühle sind in solch einer Situation mehr als verständlich. Das weiß auch die Sozialpsychologin und Forscherin am CeMAS-Center, Pia Lamberty.
Sie ist überzeugt, dass wir dennoch nicht machtlos sind. Es gibt viele Dinge, die junge Menschen tun können, damit die Angst und andere negative Gefühle nicht Überhand nehmen. Im Gespräch mit watson spricht sie über Zukunftsangst sowie Strategien und Tipps, um damit positiv umzugehen.
"Man sieht auf verschiedenen Parametern, dass Ängste zunehmen", warnt die Sozialpsychologin. Auch psychische Erkrankungen würden aktuell weiter ansteigen. Menschen berichten Lamberty zufolge davon, wie ausgelaugt sie sind oder wie die tatsächliche und gefühlte Instabilität sie belastet.
Zahlen belegen dies: Die aktuelle Shell-Studie macht etwa deutlich, dass eine große Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland Angst vor einem Krieg in Europa hat. Für rund 81 Prozent der Befragten ist dies sogar die größte Sorge. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 waren es noch 46 Prozent.
Doch auch andere Ereignisse können auf die Psyche drücken: Klimakrise, Inflation, Gaza-Krieg und zuletzt auch das Ampel-Aus sowie die US-Wahl mit dem Sieg von Donald Trump. Zu den neuen Entwicklungen in den USA sagt die Sozialpsychologin: "Ohne genaue Zahlen zu haben, man hat schon gesehen, dass viele Menschen davon sehr bestürzt waren."
Belastend sei das vor allem deshalb, weil all diese Ereignisse nicht isoliert auf uns einprasseln.
Es kommen aktuell viele besorgniserregende Entwicklungen zusammen, die Angst in Wellen auslösen können. Während neue Nachrichten auf junge Menschen wirken, verschwinden gleichzeitig andere wie die Klimakrise und der Ukraine-Krieg nicht. Die negativen Ereignisse gepaart mit pessimistischen Zukunftsaussichten "wabern" dann im Inneren.
Die Folge: "Man merkt, dass man mehr belastet ist. Vielleicht ist man nicht mehr so leistungsfähig, wie man es von sich kennt – oder hat an vielen Dingen keinen Spaß mehr. Vielleicht kann man gar nicht so genau benennen, welcher der Faktoren das jetzt eigentlich auslöst", beschreibt die Sozialpsychologin mögliche Gefühle.
Um dem negativen Strudel zu entgehen, hilft es Lamberty zufolge, sich "Krisen-Skills" anzueignen. Hilfreich findet sie dabei vor allem die Theorie der Salutogenese von Aaron Antonovsky, die aus drei Säulen besteht:
Die Säulen geben eine grobe Orientierung, es sind "Tools an der Hand, um nicht komplett zu zerbrechen", erklärt Lamberty.
Doch es gibt noch weitere, konkrete Tipps: etwa eine "politische Playlist" zu erstellen für verschiedene "politische Gefühle" wie Wut, Hoffnung, Trauer oder Freude. Denn Musik hat Einfluss auf die Psyche und kann helfen.
Auch Grenzen zu setzen sei wichtig, insbesondere beim Social-Media-Konsum. Inhalte dort seien häufig enorm emotionalisiert, mitunter zu viel für die menschliche Psyche. Man müsse diesem endlosen Loop aus katastrophisierenden Zukunftsbildern entkommen:
Es hilft außerdem, sich zu fragen, was einem ganz persönlich guttut. Bin ich eher haptisch veranlagt und hilft es, etwas mit den Händen zu tun? Oder spreche ich besonders auf bestimmte Gerüche an? Hilft Meditation oder Bewegung? In weniger gestressten Zeiten eine Antwort darauf zu finden, ist ein weiteres Tool für Krisenzeiten.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Fähigkeit, zu erkennen, wenn es einem nicht gut geht und gegebenenfalls Unterstützung suchen. Etwa durch Gespräche mit Freunden, Bekannten, der Familie und psychotherapeutischer Hilfe. Oder bei einem Kriseninterventionsteam, wenn es ganz schlimm ist.
Doch woran merkt man, dass es höchste Zeit ist, sich professionelle Hilfe zu suchen? "Wenn ein großer Leidensdruck da ist, wenn man beispielsweise merkt, man kriegt seinen Alltag gar nicht mehr geregelt und alles ist eine Belastung", sagt Lamberty. Auch Schlafprobleme, mehr Alkohol- oder Substanzenkonsum und natürlich Suizidgedanken sind dringende Anzeichen.
Die Psychologin nennt Anlaufstellen:
"Auch wenn es jemandem im Umfeld nicht gut geht, sollte man das ansprechen und Unterstützung anbieten", sagt sie.
Der Zugang zu psychotherapeutischer Hilfe und Unterstützung müsste jedoch dringend ausgebaut werden. Denn: "Die Wartelisten sind enorm lang, das ist desaströs in Zeiten wie diesen."
Die Gesellschaft als Ganzes muss ebenfalls etwas tun. Zunächst sei es wichtig, ein politisches Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass viele Menschen derzeit belastet sind und Ängste haben. "Damit muss umgegangen werden, sonst werden Tür und Tor geöffnet für populistische Akteure", sagt Lamberty. Reale Gefahren dürften nicht kleingeredet werden. Als Beispiel nennt sie etwa Russland als Bedrohung.
Wie sprechen wir über Krieg? Welche Rolle spielen Rüstungsunternehmen? Welche moralischen Grenzen gibt es und welche Rolle spielt Social Media? Das könnten Fragen sein, die beantwortet werden müssten. "Auch im Schul- und Bildungskontext muss sich verstärkt damit auseinandergesetzt werden", stellt sie klar. In Deutschland herrsche noch Hemmung.
Was auch unterschätzt werde: als Gesellschaft wieder Visionen entwickeln, also konkret die Zukunft gestalten, statt nur akute Brandherde zu löschen. Eine bessere Welt zu denken und darauf hinzuarbeiten, helfe. Lamberty stellt klar: "Es ist so wichtig, dass man die Hoffnung nicht ganz verliert."